»Einem Satyr bist du entkommen«, stellte Mort anerkennend fest. »Das sind die schlimmsten Monster hier in den Bergen!«
Das bezweifelte Dilga, doch bis er diese Männer besser kannte, behielt er seine Einschätzung lieber für sich.
Sie stellten ihm weitere Fragen, vergewisserten sich, dass sie seine Geschichte richtig verstanden hatten. Es fiel ihnen sichtlich schwer ihm zu glauben.
»Wieso musstest du aus Tyralon fliehen?«, wechselte Mort das Thema.
Bisher hatte er sich nur wenig am Gespräch beteiligt. Jetzt brachte seine Frage die anderen zum Schweigen. Dilga spürte ihre Blicke und überlegte sich seine Antwort sorgfältig.
»Ich hab mich ungebührlich verhalten und Oleg beleidigt.« Das war eine Erklärung, die sie glauben konnten und sie war nicht weit von der Wahrheit entfernt. Milanas Begehren abzulehnen, stand ihm nach den Bräuchen nicht zu.
»Hast du ihn bestohlen?«, hakte Sägg nach.
Dilga schüttelte den Kopf. Er war müde und hatte keine Lust, noch länger auf ihre Fragen zu antworten. Außerdem stieg ihm das Bier zu Kopf.
»Du fällst ja vor Müdigkeit fast von der Bank«, meinte Barton mitfühlend. »Ich denke wir sollten ihn jetzt in Ruhe lassen. Schließlich ist er gerade erst aufgewacht.« Dankbar nickte er Barton zu.
*
Dank Bartons Kochkünsten, erholte sich Dilga in wenigen Tagen. Heute wollte er zum ersten Mal die Hütte verlassen. Mort hatte ihm zu seinen eigenen Sachen noch einen gefütterten Umhang, einen Schal und ein paar dicke Socken gegeben. Die Sachen waren nicht neu und an einigen Stellen geflickt, gleichwohl waren sie großzügige Geschenke. Die Männer hatten selbst nicht viel und im Winter war ihr Leben hart. Trotzdem hatten sie bisher nicht einmal eine Gegenleistung von ihm verlangt und das machte ihm Sorgen.
Sie hatten Angst vor ihm, je mehr er zu Kräften kam. Mit Ausnahme von Bela vielleicht. Der Alte unterschied sich in mancherlei Hinsicht von seinen Kameraden. Dilga band sich den Schal um und verließ die Hütte. Vor der Tür blieb er einen Moment stehen und genoss die frische Luft und die Wintersonne. Der Platz vor dem Haus war sorgfältig vom Schnee befreit worden, so dass Dilga die abgedeckten Beete sehen konnte. Bela baute hier, gemeinsam mit Barton, zum Sommer hin Kräuter und Gemüse an. Das hatten sie ihm am vergangenen Abend erzählt.
Ein breiter Weg, der an der Tür begann, führte den Berg hinunter. Nach rechts lief ein kleiner Pfad zu einem Schuppen. Dort bewahrten die Männer ihren Vorrat an Brennholz auf. Vor dem Verschlag standen mehrere große Körbe, in denen sie Späne und andere Holzabfälle sammelten. Daneben stapelten sich die Baumstämme, die sie im Spätsommer und im Herbst geschlagen hatten. Beeindruckt betrachtete Dilga die Baumgiganten. Allein sie zu fällen musste eine Menge Arbeit gewesen sein. Ganz zu schweigen davon, sie anschließend hierher zu schleppen. Das konnten die Männer unmöglich ohne ein Zugtier geschafft haben.
Er ging zu dem Stapel hinüber. Die Äste entfernten sie bereits im Wald, soviel wusste er aus seiner Kindheit. Dilga legte eine Hand an einen der rauen Stämme und versank einen Moment in seinen Erinnerungen. Holzfäller! Die waren fast so geheimnisvoll gewesen wie Gaukler und Söldner. Sie kamen nur selten ins Dorf und blieben für sich, auch wenn sie Familie unter den Bauern und Handwerkern hatten. Mort und seine Leute schienen das ähnlich zu halten.
Dilga schüttelte die Erinnerung ab und setzte seine Runde um das Haus fort. Auf der Rückseite reichte der Wald fast bis an die Hütte heran. Hier lag alles im Schatten und der Schnee türmte sich an der Wand. Er zog seinen Umhang fester zu und beeilte sich wieder in die Sonne zu kommen. Auf der Vorderseite, neben dem einzigen Fenster, hatte er eine Bank gesehen. Jetzt saß Mort dort und rauchte. Dilga zögerte einen Moment, dann setzte er sich zu ihm.
»Die Anderen werden bald zurück sein«, meinte Mort schmauchend.
Bela war mit Arndt und Sägg losgezogen, um ihre Fallen zu kontrollieren. Die Männer gehörten zum Eigengut des Königs und hatten von ihm die Erlaubnis zur Jagd. »Fangt ihr viel?«
Mort schüttelte den Kopf. »Im Sommer geht es noch, aber im Winter höchstens mal ein halb verhungertes Kaninchen oder einen Vogel, dem zum Fliegen die Kraft fehlt.«
»Ich habe gesehen, dass ihr einen Jagdbogen habt.«
»Der gehört Barton«, lachte Mort. »Den hat er sich als Tilgung einer Schuld aufschwatzen lassen. Er dachte, er könnte damit unseren Speiseplan aufbessern. Aber außer ein paar Bäumen und Sträuchern hat er nicht viel geschossen.«
Dilga fiel in das Lachen ein. Die meisten unterschätzten, welche Fertigkeit es verlangte mit einem Bogen umzugehen. Mort bot ihm seinen Tabaksbeutel an und er schüttelte den Kopf. Rauchen war keine gute Idee wenn man hin und wieder unentdeckt bleiben wollte. Der Rauch haftete einem noch nach Tagen an. Da half auch das geschickteste Schleichen nichts, wenn man von diesem Gestank umgeben war.
»Wie hattest du vor, durch den Winter zu kommen?«, fragte Mort neugierig. Das Wort Marodeur lag in der Luft, auch wenn Mort es nicht direkt aussprach.
»Darüber habe ich bisher noch nicht nachgedacht«, antwortete Dilga ausweichend.
»Hast du dich schon einmal durch Stehlen am Leben gehalten?«, bohrte Mort direkt.
Endlich war es heraus. Die Männer fürchteten, was er tun könnte, jetzt da er wieder gesund war. »Ich ermorde niemanden. Schon gar nicht, wenn er mein Leben gerettet hat«, stellte er klar.
Mort zog bedächtig an seiner Pfeife und stieß den Rauch in Kringeln aus. »Habe ich darauf dein Wort?«, fragte er, nach einem kurzen Schweigen.
»Aye. Ich gebe dir mein Wort und das Versprechen, dass ich nicht tatenlos zusehen werde, wenn man euch schaden will.«
*
Die Drei hatten kein Glück gehabt. Durchgefroren und erschöpft kehrten sie zur Hütte zurück. Dilga half Mort gerade dabei, einen der Strohsäcke, die ihnen als Bettstatt dienten, neu zu stopfen. Barton hatte die Rückkehrer ebenfalls gehört und lugte voller Hoffnung aus der Bodenluke, die in den Keller führte. Dort bewahrten sie den Hauptteil ihrer Vorräte auf; eingelegtes Gemüse, gepökeltes Fleisch, lagerfähiges Obst und Käse. Am Vortag war Dilga mit Barton zusammen unten gewesen, um drei größere Schinken und das Rückenteil eines Rindes umzulagern. Im Winter musste man vor allem Fleisch und Käse regelmäßig kontrollieren, damit sich keine Maden oder andere Schädlinge daran gütlich taten.
»Essen wir halt Gemüsesuppe.« Barton klettere aus dem Loch und legte einen halben Laib Käse auf den Tisch. »Ich reibe etwas davon rein, dann wird es schön sämig.«
»Ich hätte gern mal wieder ein gescheites Stück Fleisch«, maulte Arndt.
»Wie wäre es mit Wild oder einem fetten Vogel?«, fragte Dilga beiläufig.
»Oh ja! Mit Soße und frischen Beeren.« Sägg schnalzte mit der Zunge und setzte sich auf seinen Platz. Er zog sein Messer aus dem Gürtel und kratzte eine großzügige Portion Schmalz aus dem Tontopf.
»Du meinst das ernst?«, stellte Barton erstaunt fest.
»Wenn du mir deinen Bogen leihst.« Das Feixen verstummte. Sie begriffen, dass er keinen Spaß machte.
»Du würdest für uns jagen?«, hakte Barton ungläubig nach.
»Ich steh in eurer Schuld und ich möchte sie gern abtragen.«
»Ich schenk dir das Ding, wenn es dafür Fleisch gibt«, versprach Barton mit leuchtenden Augen.
»Ich kann dir auch beibringen, wie man mit einem Bogen schießt«, bot Dilga Barton an. Barton winkte lachend ab. Er kramte den Bogen hinter der Kiste mit den Lederresten hervor. Dilga nahm ihn und testete die Zugkraft der Sehne. »Die muss in absehbarer Zeit ausgetauscht werden.« Er hob den Bogen und visierte eine der Würste an der Decke an. »Und etwas zum Schießen wäre auch nicht schlecht.«
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