»Hier.« Das war wieder die erste Stimme. »Kürze sein Leiden ab!«
Ein Schatten fiel über ihn. Nein! Er wollte leben! Verzweifelt versuchte Dilga sich hochzustemmen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht.
»Der hat noch nicht aufgegeben«, lachte der Lakonische erstaunt.
»Wo ist er verletzt?«, brummte ein dunkler Bass. »Ich sehe kein Blut.«
»Zum Schlafen wird er sich hier wohl nicht hingelegt haben.«
»Ob das Marodeure waren?«, sinnierte der Mann, der vorgeschlagen hatte, ihn von seinen Leiden zu erlösen.
Diese Vorstellung schien ihnen Angst zu machen. Der Mann, der sich neben ihn in den Schnee gekniet hatte, stand wieder auf. Eine Weile debattierten sie herum. Dilga konnte nicht mehr verstehen, was sie sagten. Ihre Stimmen entfernten sich immer weiter.
Ein heller Schmerz fuhr plötzlich durch seinen Oberschenkel und holte ihn ins Bewusstsein zurück. Blut lief ihm warm übers Bein. Der mit der dunklen Stimme hockte jetzt neben ihm. Dicht über seinen Schultern hörte Dilga ihn sprechen. Das Wort Oger fiel, dann redete jemand über Kochtöpfe und sie lachten rau. Wieder drohten ihm seine Sinne zu entgleiten.
Mit schier übermenschlicher Kraft gelang es ihm die Augen aufzureißen. Über ihm schwebte ein breites Gesicht, das zur Hälfte hinter einem wilden schwarzen Bart verschwand. Dunkle Augen starrten ihn überrascht an. Hinter dem Bärtigen stand ein Mann mit einer Mütze und einer Axt, die er zum Schlag erhoben hatte.
»He!« Der Bärtige lächelte kurz.
Dilgas Augäpfel verdrehten sich in ihren Höhlen. Die Welt kreiste um ihn herum, dann wurde es dunkel.
*
Das Erste, was Dilga registrierte, war die angenehme Wärme und der Geruch nach Essen. Er lebte! Erleichtert öffnete er die Augen. Über sich sah er eine hölzerne Decke an der Würste zum Trocknen hingen. Die Männer, deren Stimmen er gehört hatte, hatten ihn gerettet. Matt schloss er die Augen wieder und horchte in sich hinein.
Er war nackt. Man hatte seine Wunden verbunden und ihn in eine Decke gewickelt. Vorsichtig versuchte er die Finger und Zehen zu bewegen. Die Taubheit war aus seinem Körper verschwunden und er schien sich auch nichts gebrochen zu haben. Einen Augenblick genoss er die Geborgenheit, dann öffnete er seine Augen ein zweites Mal.
Diesmal schaute er sich um. Er war in einer einfachen Hütte. Sie hatte nur einen Raum und einen offenen Dachboden. Oben konnte er mehrere Schlafstellen erkennen. Einfache, mit Stroh gefüllte Matratzen, wie die, auf der er lag. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Es gab einen Tisch mit zwei Bänken, ein paar Regale und einen Kamin, in dem ein behagliches Feuer brannte. Außerdem hing ein Topf über den Flammen, aus dem es verlockend duftete. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.
Am Tisch stand ein grobschlächtiger Riese und säbelte mit einem Messer dicke Scheiben von einem Brotlaib ab, die er auf einige Teller verteilte. Vorsichtig hob Dilga den Kopf.
Der Mann hörte ihn und wandte sich zu ihm um. »Wieder alle Sinne beisammen?«
Dilga nickte. Er fühlte sich schwach, aber sonst gut. »Danke!«, sagte er.
»Wofür?«, fragte der Riese erstaunt.
»Dafür, dass du mich gerettet hast.«
Das Grinsen wurde eine Spur bösartig. »Da dankst du dem Falschen. Das war nicht meine Idee. Mort wollte dich nicht deinem Schicksal überlassen.« Der Mann nahm eine flache Schüssel und kam zu ihm herüber. »Schaffst du das allein oder muss ich dich füttern?«
Es gelang Dilga sich soweit aufzurichten, dass er die Schale entgegennehmen konnte. Mit Genuss schlürfte er etwas von der kräftigen Fleischsuppe. Sie war würzig und schmeckte köstlich.
Der Mann zog sich einen Schemel heran und setzte sich neben ihn. »Mein Name ist Barton.«
»Dilga«, erwiderte er, ohne im Essen inne zu halten.
»Du musst mir ein paar Fragen beantworten, Dilga.«
Er kaute einen dicken Fleischbrocken und bekundete sein Einverständnis mit einem Nicken.
»Wer bist du und wie bist du in diese Lage gekommen?«
Jetzt musste er vorsichtig sein. Er hatte keine Ahnung, was das für Männer waren. Womöglich gehörten sie zu Oleg. Kurz fasste er die Ereignisse zusammen. Dass er seinen Dienstherrn verärgert hatte, geflohen war und einige Monster getroffen hatte.
»Ein Söldner«, stellte Barton fest und verzog das Gesicht.
Dilga konnte es ihm nicht verdenken. Die meisten Söldner waren keine Zierde der Menschheit.
»Für Oleg hast du gearbeitet?«, fragte Barton misstrauisch und sah ihn eigenartig an. »Du redest von dem Oligarchen aus Tyralon?«
Wie Barton den Namen aussprach, verriet Dilga, dass er den Mann nicht schätzte. Aber da war noch etwas anderes in seinen Augen und seiner Stimme. Etwas, das Dilga nicht deuten konnte. Er schlürfte den Rest Suppe, gab Barton die leere Schüssel zurück und nickte schweigend.
Barton blieb sitzen und drehte die leere Schale in seinen Händen. »Wir sind hier in Askalon!«, sagte er schließlich.
Es dauerte einen Moment, bis Dilga diese Information verarbeitet hatte. Askalon! Die Monsterberge trennten das Königreich von Tyralon. Er war auf der anderen Seite der Berge. Das war doch nicht möglich! Oder doch? Es war wenigstens vier Tage her, dass Milana seine Fesseln gelöst hatte.
Draußen näherten sich Schritte. »Da kommen die anderen.« Barton machte keine Anstalten aufzustehen.
Krachend flog die Tür auf und vier Männer kamen in die Hütte. Sie trugen schwere Nagelstiefel, grobe Hosen und waren in dicke Mäntel gehüllt. Um ihre Gesichter hatten sie Schals geschlungen, so dass man nur ihre rot gefrorenen Nasen und die Augen sah. Trotzdem erkannte Dilga den mit dem wilden schwarzen Bart, der sich über ihn gebeugt hatte.
»Unser Gast ist wach«, brummte der Bärtige mit seinem tiefen Bass. Er wickelte seinen Schal ab und hängte den Mantel an einen Haken neben der Tür.
»Das ist Mort. Ihm verdankst du dein Leben«, erklärte Barton und deutete auf den Schwarzbart.
»Wir hatten wenig Hoffnung, dass du es schaffst«, sagte Mort und kam zum Bett herüber. »Du bist immer noch ziemlich blass!«
Die anderen Drei schälten sich aus ihren Mänteln und gesellten sich zu Mort. Mit Ausnahme von einem, der eine speckige Mütze auf seiner Glatze trug, waren sie genau solche Hünen wie Barton. Grobschlächtige Männer, deren Muskelberge ihre Bewegungen linkisch wirken ließen.
Barton stellte sie ihm vor. Bela, der auch ohne seine grauen Haare als Ältester der Fünf zu erkennen war. Arndt, dessen misstrauischer Blick ihn förmlich durchbohrte und Sägg, der Kleinste der Runde. Er war der mit der hohen Stimme, die vorgeschlagen hatte, ihn von seinem Leiden zu erlösen. Die Fünf waren Holzfäller, die das ganze Jahr über in den Monsterbergen lebten. »Unser Gast heißt Dilga«, führte Barton die Vorstellung fort. »Er ist ein Söldner und aus Tyralon geflohen.«
Sie starrten ihn an. Genauso, wie zuvor Barton.
»Tyralon?« Arndt dehnte die Silben des Wortes.
»Wie?«, fragte Sägg. Ihr Misstrauen war greifbar.
»Vielleicht setzen wir uns an den Tisch, dann kann er uns beim Essen mit seiner Geschichte unterhalten.« Mort deutete mit dem Kopf zum Tisch. Ohne Zweifel war er der Anführer der Gruppe. »Bist du kräftig genug, um dich zu uns zu setzen und zu antworten?«
Dilga nickte. »Wo sind meine Sachen?« Fragend sah er Barton an.
»Ich hab sie gewaschen und geflickt.« Barton stand jetzt am Feuer und füllte eine Suppenterrine aus dem Kessel. »Du kriegst sie nachher wieder.« Er stellte die Terrine auf den Tisch und füllte die Schalen.
Dilga blieb nichts anderes übrig, als sich in die Wolldecke gewickelt an den Tisch zu setzen. Eingezwängt zwischen Bela und Barton nahm er eine weitere gefüllte Suppenschale entgegen. Mort reichte ihm eine Scheibe Brot dazu. Die Männer langten kräftig zu, während sie seiner Erzählung lauschten. Außer der Suppe, gab es Brot, Schmalz, Zwiebeln und saures Bier.
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