1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Er wich dem Stoß aus, packte Morts Handgelenke und verdrehte sie mit einem Ruck. Mort schrie vor Schmerz auf und ließ ihn los. Dilga rammte dem schwereren Mann den Ellbogen in den Magen und drehte ihn auf den Rücken. Mit einer schnellen Bewegung hockte er über Mort und schlug zu. Er traf genau die Spitze des Kinns. Sofort erschlaffte Morts Körper unter ihm. Dilga spürte jemanden hinter sich und warf sich zur Seite. Aus dem Augenwinkel sah er Arndts Axt an seinem Kopf vorbeisausen. Er sprang auf und riss das Messer aus dem Gürtel.
»He, he!« Bela stand plötzlich zwischen ihnen, den Rücken Dilga zugewandt.
»Geh mir aus dem Weg!« Arndts Stimme war kalt, aber die Hand mit der Axt zitterte.
»Erst legst du die Axt weg.«
»Er wollte Mort umbringen!«
»Blödsinn!« Barton trat neben Arndt und entwand ihm mühelos die Axt.
*
Ohne hinzusehen wich Dilga einer vereisten Pfütze aus. Wie gewohnt, hatte er die Hütte früh am Morgen verlassen, um zu einem Streifzug in die Umgebung aufzubrechen. Heute hatte er sich für eine längere Tour, den Berg hinauf, entschieden. Er brauchte Ruhe, um über den Vorfall mit dem kleinen Satyr nachzudenken. Über Morts irrationalen Hass und vor allem Arndts Reaktion. Barton war dabei der ideale Begleiter. Er stapfte schweigend hinter ihm her.
Ihm war es auch zu verdanken, dass die Sache glimpflich abgelaufen war. Er und Bela hatten Arndt zur Räson gebracht und mit ihrem Einschreiten auch verhindert, dass Sägg sich auf Arndts Seite schlug. Dilga war der Blick nicht entgangen, mit dem Sägg ihn über Morts bewusstlosen Körper hinweg angesehen hatte. Mort selbst hatte sich mittlerweile bei ihm entschuldigt, ohne aber seine Reaktion zu erklären. Dilga bog einen Ast zur Seite und ließ ihn gedankenlos zurückschnellen.
»Dilga?«
Er blieb stehen und wandte sich um. Barton stand ein Stück hinter ihm, den Ast quer vor der Brust. Sein ganzer Umhang war vorn mit Schnee besprenkelt. »Tut mir leid.« Er unterdrückte ein Grinsen. Barton bot ein komisches Bild, wie er dort stand.
Der Holzfäller drückte den Ast einfach mit der Brust beiseite, als er sich wieder in Bewegung setzte. »Ich habe den Eindruck, du würdest es nicht einmal merken, wenn du mitten in irgendein Tier hinein rennst.« Barton blieb vor ihm stehen und sah auf ihn herab. »Machst du dir immer noch Gedanken, wegen gestern?«
Dilga nickte.
»Machen wir eine Pause.« Ohne auf seine Zustimmung zu warten, fegte Barton mit der Hand die Schneeschicht von einem Baumstumpf. Er hockte sich darauf und kramte etwas Stockfleisch aus seinem Beutel.
»Weiß Mort das?« Grinsend nahm Dilga das Stück entgegen, das Barton ihm hinhielt. Mort verwaltete die Lebensmittel und mit dem Fleisch war er sehr geizig. Selbst jetzt noch, wo Dilga für Nachschub sorgte.
Barton feixte. »Das nehme ich auf meine Kappe.« Gutgelaunt biss er in das salzige Stück.
Dilga setzte sich neben ihn. »Warum hat Mort so heftig reagiert?«, fragte er unvermittelt. Diese Frage ließ ihn nicht los, seit er dem kleinen Satyr geholfen hatte.
Barton verstand ihn, ohne dass er näher auf den Zwischenfall eingehen musste. »Morts Eltern hüteten für ihr Dorf die Schafe. Sie lebten den ganzen Sommer mit ihren Kindern in den Bergen. Dort sind sie getötet worden«, erklärte er. »Es muss ein richtiges Massaker gewesen sein.« Gedankenverloren starrte er auf seine fellbezogenen Stiefel. »Mort war damals sechzehn und hatte gerade bei den Holzfällern angefangen.«
»Seine Eltern sind von einem Satyr getötet worden?«, fragte Dilga skeptisch.
»Das weiß man nicht«, antwortete Barton ehrlich. »Der Vogt hat das damals untersuchen lassen, aber man hat nicht herausfinden können, was passiert war.« Achselzuckend fügte er hinzu: »Jedenfalls brauchte Mort jemanden, den er dafür hassen konnte. Da boten die Satyr sich an.«
»Weil man sie für Monster hält«, mutmaßte Dilga. Es war immer und überall dasselbe, wenn etwas schief lief oder Katastrophen passierten, gab man dem Unbekannten die Schuld.
»Du hältst sie nicht für Monster?«, fragte Barton überrascht.
»Nein«, antwortete er einsilbig.
»Wieso nicht?«, wollte Barton wissen.
Kurzentschlossen erzählte er Barton von seiner Begegnung mit einem sprechenden Satyr.
Der Holzfäller pfiff leise durch die Zähne. »Meine Oma hat immer gesagt, dass sie es können«, sinnierte er mit weicher Stimme. »Sie war der liebste Mensch, den man sich denken kann. Und wahrscheinlich die einzige im Dorf, die das Verbot des Königs guthieß.«
Auf seinen fragenden Blick hin erklärte Barton, dass auch die Menschen in Askalon den Satyr früher Opfer dargebracht hatten. »Oh, keine Jungfrauen oder so«, beschwichtigte Barton. »Man hat das genutzt um unliebsame Leute los zu werden. Oder Verbrecher.«
»Und die Leute halten sich an das Verbot?« Dilga stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. Es war einfach zu kalt, um lange auf einem Fleck zu sitzen. Zumal die Sonne sich heute nicht sehen ließ.
»Oh ja«, bestätigte Barton nachdrücklich und folgte seinem Beispiel. »Man merkt, dass du nicht von hier bist. Niemand, der bei Verstand ist, missachtet ein Verbot des Königs. Das trauen sich nicht einmal seine Edlen.«
Das überraschte ihn. In Taisin, wo er zuletzt für die Herzogin geritten war, galt Askalons Herrscher als sehr milde. Eine Spur im Schnee lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Er hockte sich hin, um sie zu untersuchen.
Hoffnungsvoll blickte Barton ihm über die Schulter. »Und? Reh? Hase? Hirsch?«
»Bär!« Dilga runzelte die Stirn. »Dem sollten wir mit diesem Bogen besser nicht begegnen.«
»Ich hab doch meine Axt!«
»Du willst gegen einen Bären kämpfen? Im Nahkampf?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Barton grinste. »Ich werfe dir die Axt zu und klettere auf den nächsten Baum. Du rettest uns dann.«
»Ich bin sicher vor dir auf dem Baum!«
Aus Bartons Grinsen wurde ein Lachen. Er bemühte sich, Dilga nicht im Weg zu stehen, als der den Spuren folgte.
»Der Bär ist weg!«
Barton blickte zu den Baumkronen hinauf. »Die Sonne auch fast und ich hab Hunger.«
»Schon gut.« Dilga nickte gespielt ernst. »Ich werde mich konzentrieren.«
»Gut.« Barton rieb seine Hände aneinander. »Das ist wirklich eine lausige Kälte heute.«
»Da drüben ist eine Lichtung.« Er deutete ein Stück den Berg hinunter. »Vielleicht finden wir da ein paar unvorsichtige Wildschweine.« Die Tageszeit war die Richtige für Schweine. Kurz vor Sonnenuntergang verließen sie ihr Versteck um nach Futter zu suchen.
»Lecker!« Barton stapfte los.
Die Lichtung öffnete sich vor ihnen. Ein paar Hasen hoppelten durch den Schnee. Das war besser als gar nichts. Dilga nahm den Bogen von der Schulter. Einer der Hasen richtete sich plötzlich auf. Aber er witterte nicht in ihre Richtung. Er wandte ihm und Barton die Seite zu. Dilga ließ den Bogen wieder sinken. Man tat gut daran, auf solche Zeichen von Wildtieren zu achten. Sie hatten viel feinere Sinne als ein Mensch. Im selben Moment hörte er das Knacken der Äste. Etwas Großes brach dort durch den Wald. Die Hasen wirbelten herum und flohen. Er duckte sich und zog Barton mit zu Boden.
»Sollten wir nicht auf einen Baum?« Ängstlich blickte der Holzfäller in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
Dilga legte warnend einen Finger auf die Lippen. Wenn das der Bär war, würde ihnen ein Baum nicht unbedingt helfen. Bären konnten klettern. Der Wind stand günstig. Was auch immer dort kam, konnte ihre Witterung nicht aufnehmen. Gebannt beobachtete er den Waldrand. Die Äste der Bäume bewegten sich. Dann stand ein ausgewachsener Satyr am Rand der Lichtung. Barton zitterte. Dilga ließ den Arm auf seinem Rücken liegen und drückte ihn tiefer zu Boden. Wurde er paranoid oder war das derselbe Satyr, dem er seinen Sturz in den Berg verdankte?
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