Dilga nickte. Es würde ohnehin Tage dauern allein das Haus zu erkunden und er hatte wenig Lust, ohne Loirachs Begleitung, einem fremden Satyr gegenüberzutreten.
*
In der Nacht war frischer Schnee gefallen und bedeckte die Wege des Gartens. Nur auf den glänzenden schwarzen Steinen, welche die Pfade vom Gras abgegrenzten, lag keiner. Schneeflocken, die auf den Steinen landeten, schmolzen sofort. Dilga hockte sich hin und zog einen seiner Handschuhe aus. Zzghu-Nha hatte ihn mit warmen Wintersachen ausgestattet. Ein paar dicke Socken, Fäustlinge und einen Umhang aus weich gegerbtem Leder, der innen mit Schaffell gefüttert war.
Dilga legte seine Hand auf einen der Steine. Der war warm. Ob sie das auch mit Wärme aus dem Erdinneren machten? Manches von dem, was er in Loirachs Haus gesehen hatte, kam ihm vor wie Magie. Vor allem das Licht. Überall im Haus gab es tagsüber Sonnenlicht, selbst in Zimmern ohne Fenster. Er stand auf und betrachtete das riesige Haus. Von hier sah es aus, als ob es sich mit der Rückwand gegen den Felsen lehnte. Zzghu-Nha hatte versprochen, ihn am Nachmittag durch das Haus zu führen. Falls Loirach das nicht selbst übernahm.
Sein Blick blieb an dem Steingarten hängen, der unmittelbar rechts unter den Fenstern lag. Er lenkte seine Schritte zwischen die künstlichen Hügel, von denen jeder mit unbearbeiteten Steinen bedeckt war. Auf diese Weise sahen sie aus wie Miniaturberge. Auf und zwischen den Hügeln gab es Beete, die jetzt mit Nadelholzzweigen abgedeckt waren. Dilga lächelte. Seine Mutter hatte ihre Kräuterbeete auf dieselbe Weise gegen Frost geschützt.
Zwischen den Rabatten gab es künstliche Teiche, im Moment ohne Wasser. So konnte er sehen, dass auch sie mit flachen Steinen ausgelegt waren. Am Boden jedes künstlichen Tümpels sah er jeweils ein faustgroßes Loch. Sie erinnerten ihn an die mit Pfropfen verschlossenen Abflüsse von Badezubern. Wahrscheinlich dienten sie demselben Zweck. Mit den Augen folgte er den Zuflüssen, die bei wärmerem Wetter das Wasser in die kleinen Tümpel brachten. Sie endeten an der Hausmauer, aus der kupferne Rohre herausstanden.
Dilga verließ den Steingarten und wanderte am Haus entlang. Unter einer hohen alten Tanne stand eine Statue, in Form eines Hundes, der auf seinen Hinterläufen saß. Seine Augen schienen dem Betrachter überall hin zu folgen. Das war unheimlich. Er wandte sich ab, verließ den Pfad am Haus und tauchte in die Büsche und Bäume des eigentlichen Parks ein. Hier waren die Wege schmal und die dunklen Steine dienten nur noch als Begrenzung. Trotzdem lag nirgends Schnee auf ihnen. Vor einer dicken Tanne gabelte sich der Weg. Ihre Äste bogen sich so tief herab, dass ihn ein Tannenzapfen an der Schulter streifte.
Das weckte Erinnerungen an Delia. An eben solchen Zapfen hatte sie ihm den Umgang mit Wurfmessern und Ähnlichem beigebracht. Ein Unterricht der Spaß machte und er hatte Talent im Umgang mit fast jeder Art von Wurfwaffen. Damals zog Delia noch in Erwägung, dass er sie bei ihren Aufträgen begleiten könnte. Unwillkürlich strich seine rechte Hand über den linken Unterarm. Die Dolchscheide fehlte. Ihr Verlust schmerzte ihn. Delias Abschiedsgeschenk an ihn und der verdammte Oligarch hatte sie gestohlen. Zusammen mit seinem ganzen Hab und Gut.
Wie eine unaufhaltsame Flutwelle brach die Erinnerung an die Geschehnisse in Tyralon über ihn herein. Milanas Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Zart wie eine Puppe, goldenes Haar und die Augen so blau wie das Meer. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie einfach für ein verzogenes Balg gehalten. Ihr Leibwächter hatte er sein sollen. Dafür hatte Oleg ihn engagiert. Niemand hatte ihm gesagt, wie weit seine Aufgaben als ihr Leibwächter gingen. Milana hatte ihn in ihr Bett befohlen und er hatte sich geweigert. Sie war furchtbar beleidigt gewesen und auf ihn losgegangen. Er hatte sie einfach weggestoßen und war gegangen. Leider nicht weit genug. Mit ein bisschen Verstand hätte er sich das nächste Pferd geschnappt und wäre um sein Leben geritten. Er hatte gewusst, dass Milana Olegs Augapfel war und der Oligarch war der Meinung, dass ihm das Recht, sich Milana zu verweigern, nicht zustand. Oleg wollte ihn tot prügeln lassen, aber dann hatte seine Tochter die Idee mit der Hetzjagd gehabt. Mit Grausen erinnerte er sich an ihre kalten Augen, als sie vorschlug ihn wie ein Tier durch die Berge zu jagen. Sie hatte selbst an der Jagd teilgenommen und die Jünglinge immer wieder angestachelt. Zuletzt hatte sie demjenigen eine Nacht versprochen, der ihr Dilgas noch schlagendes Herz bringen würde.
Ihn fröstelte. Einen Moment überlegte er, ob er zum Haus zurückgehen und Zzghu-Nha um einen Tee bitten sollte, entschied sich dann aber dagegen. Der Tag war einfach zu schön um ihn sich durch düstere Erinnerungen verderben zu lassen. Außerdem war er neugierig, ob der Park ähnliche Wunder bereithielt, wie das Haus. Der Hauptweg führte zu einem Baldachin, unter dem eine Bank stand. Feine Ornamente zierten die hölzernen Pfosten, auf denen das Dach ruhte. Von der Bank schaute man auf auf einen kunstvoll gearbeiteten Brunnen, um den sich ein Rosengitter schmiegte. Einen Moment bedauerte er, dass es Winter war. Gern hätte er die Blumen und das Wasserspiel gesehen.
Er folgte dem schmalen Weg, der um die kleine Sitzgruppe herum führte und schnurgerade zwischen hohen Büschen verschwand. Der Pfad endete vor einem geschmiedeten Tor, das in einer Mauer aus bunten Steinen eingefasst war. Die Mauer war zu hoch, um darüber hinweg sehen zu können, also trat er an das Tor heran und spähte durch das Gitter.
Auf der anderen Seite lag ein Park mit wenigen Büschen und riesigen Beeten. Auch hier waren sie sorgfältig mit Zweigen und Blättern abgedeckt. Der Weg, dem er hierher gefolgt war, setzte sich auf der anderen Seite des Tors fort und führte geradewegs auf einen freien Platz hinaus. Dort stand ein Springbrunnen. Ein Laut der Überraschung entwich ihm. Etwas derart Schönes hatte er noch nie gesehen. Der Brunnen war einer natürlichen Klippe nachgebildet, mit aufschäumendem Wasser und Möwen, die gerade im An- oder Abflug begriffen waren. Das Ganze erstrahlte in poliertem Gold. Fasziniert beobachtete er, wie sich das Licht der Wintersonne auf der Oberfläche brach. Zu gern hätte er sich den Brunnen aus der Nähe angesehen.
Plötzlich fiel von der Seite ein Schatten über ihn und dann stand ein Satyr vor ihm. Genau wie Loirach überragte er Dilga deutlich. Sein Fell war grau, an einigen Stellen fast schon weiß und zwei helle Augen funkelten ihn wütend an. Mächtige Klauen packten die Stäbe des Gartentors. Dilga stolperte zurück. Fast wäre er in den Schnee gestürzt. Sein Herz hämmerte, wie bei seiner ersten Begegnung mit Loirach. Der Satyr stieß eine Reihe harter Laute aus, die er nicht verstand. Aber den Hass dahinter begriff er. Der Graue entfaltete seine Flügel. Einen Moment fürchtete Dilga, er würde sich abstoßen und über die Mauer fliegen. Aber der fremde Satyr blieb wo er war und musterte ihn voller Abscheu. Die dolchartigen Zähne blitzend bedrohlich in der Sonne. Unwillkürlich wich er weiter zurück. Wenn dieses Wesen auf ihn losging, war er verloren. Er hatte nicht einmal eine Waffe.
»Reizt dich das Gold?«, herrschte der Graue ihn an. Verachtung und Hass mischten sich in seiner Stimme, als er fortfuhr. »Überlegst du, wie du es stehlen kannst?«
»Ich stehle nicht«, wies Dilga die Anschuldigung empört zurück.
»Das wäre ja was ganz Neues bei einem Menschen. Ihr seid doch toll vor Gier nach Gold.«
»Der Brunnen ist wunderschön«, entgegnete er verstört.
»Wage es dich ihm zu nähern und ich reiße dir die Haut von den Rippen!«
Die Welle des Hasses die ihm entgegenrollte, raubte ihm die Sprache. Das passte überhaupt nicht zu dem, was er bisher in dieser Stadt erlebt hatte. Unfähig sich zu bewegen, stand er da und starrte den Satyr an. Das steigerte den Ärger seines Gegenübers offensichtlich noch. Die Klauen des Wesens legten sich auf den Griff der Pforte.
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