»Greif zu.« Loirach wählte eine Kanne aus und goss Tee in die beiden Becher.
Dilga nahm sich ein Gebäckstück und biss hinein. Es war nicht so süß, wie die klebrige Oberfläche vermuten ließ und es schmeckte herzhafter, als die weiße Farbe versprach. Loirach schob ihm eine der großen Tassen hin und nahm sich ebenfalls etwas von dem Backwerk. Für ihn war es kaum mehr als ein Keks, den er mit einem Bissen in den Mund steckte.
»Deinem Diener an der Tür hat mein Schwert und das Kettenhemd nicht gefallen«, stellte Dilga fest.
»Richtig beobachtet.« Loirach nickte. »Das Kriegshandwerk genießt bei uns kein Ansehen.«
»Aber es gibt Krieger bei den Satyr?« Der Gedanke, dass Krieger kein Ansehen genossen, war ihm sehr fremd. Das traf bei den Menschen nur auf Söldner zu, aber die galten auch nicht als Krieger. Man sah sie eher als Mörder.
»Nur sehr wenige.« Loirach trank einen Schluck und fügte erklärend hinzu. »Satyr führen keine Kriege gegeneinander.«
Es dauerte einen Moment, bis Dilga begriff, was Loirach ihm damit sagte. Wenn sie keinen Krieg gegeneinander führten, kam nur noch ein Gegner in Frage. Aber er hatte noch nie von einem Krieg zwischen Menschen und Satyr gehört. Trotzdem frage er: »Aber gegen Menschen?«
Loirach nickte. Die großen Augen sahen einen Moment durch ihn hindurch, so als ob sie in eine ferne Vergangenheit blickten. Ganz kurz meinte Dilga Schmerz in ihnen zu sehen.
»Vor langer Zeit gab es einen Krieg zwischen Menschen und Satyr«, sagte Loirach schließlich und sah ihn traurig an. »Ich werde dir davon erzählen, Dilga. Aber nicht heute!«
Sein Gastgeber schenkte ihm und auch sich selbst Tee nach. »Du bist seit mehr als hundert Jahren der erste freie Mensch, der als Gast in einer Satyrstadt ist.«
Krieg und der erste Gast seit hundert Jahren. Also hatte es einmal mehr Kontakt zwischen Satyr und Menschen gegeben. Ehe sie zu fliegenden Monstern wurden. Dilga platzte vor Neugier, aber er respektierte Loirachs Wunsch und stellte keine Fragen mehr dazu.
*
Die Morgensonne weckte ihn. Sie schien ihm mitten ins Gesicht. Er hatte am vergangenen Abend darauf verzichtet die schweren Samtvorhänge vor das Fenster zu ziehen. Zu sehr hatte ihn das durchsichtige Glas fasziniert. In der Nacht hatte er es noch eine ganze Weile genossen, im warmen Zimmer zu stehen und nach draußen auf den klaren Sternenhimmel zu sehen.
Dilga streckte sich behaglich. Er lag in einem riesigen Bett, mit einer festen Matratze, einer echten Daunendecke und in einem Zimmer, das so groß war, wie die gesamte Hütte der Holzfäller. Sein Blick wanderte über den Tisch, die beiden gepolsterten Stühle, den Kamin und den weichen Teppich. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass er einmal so fürstlich wohnen würde. Neben dem Bett gab es sogar einen Klingelzug für die Diener. Er betrachtete die geflochtene Kordel, brachte es aber nicht über sich, daran zu ziehen. Er rutschte aus dem Bett und sah sich nach seinen Sachen um. Hemd und Hose lagen ordentlich gefaltet auf der kleinen Truhe am Fußende des Bettes, seine Stiefel standen davor.
Es klopfte leise an der Tür. Sofort danach öffnete sie sich einen Spalt und ein Satyr schaute herein. Als der Diener sah, dass er wach war, trat er ein und verneigte sich. Er war kleiner und schmaler als die anderen Diener, die Dilga bisher gesehen hatte. Sein Fell war von einem dunklen braun und er trug eine bronzefarbene Schärpe darüber. Irgendwie erinnerte er ihn an Sitah.
»Soll ich dir eine Waschschüssel bringen, oder wünschst du ein Bad, Herr?« Seine Stimme klang fast wie Gesang.
»Ein Bad?«, fragte Dilga ungläubig. Baden konnte sich ein Söldner nicht oft leisten. Er dachte an die mit heißem Wasser gefüllten hölzernen Zuber in den Badehäusern.
»Ein Bad also«, lächelte der Satyrdiener. Er wandte sich um und öffnete eine Tür, die in die Tapete eingelassen war. Dilga hatte sie bisher nicht einmal bemerkt. Neugierig trat er näher. Der Diener hielt jetzt einen langen Mantel in der Hand. »Wenn du den Morgenmantel anziehen möchtest, Herr. Zum Bad müssen wir ein Stück durchs Haus gehen und es ist kalt um diese Zeit.«
»Ich bin kein Herr.« Es machte ihn nervös so angeredet zu werden.
»Verzeihung!« Der Satyr verneigte sich. »Ich kenne mich mit den Bräuchen der Menschen nicht aus. Wie lautet die korrekte Anrede?«
»Ich heiße Dilga.«
»Ich soll dich einfach bei deinem Namen nennen?«
Er nickte. »Ja, bitte. In meiner Welt zähle ich nicht viel.«
Der Diener musterte ihn aufmerksam. »Hier bist du ein geschätzter Gast meines Herrn.« Damit schien für den Satyr alles geklärt zu sein.
Er schlüpfte in den Morgenmantel, den der Diener ihm unbeirrt hinhielt und folgte ihm dann auf den Gang hinaus. Seine nackten Füße versanken in dem dicken Teppich. »Wie ist dein Name?«
»Zzghu-Nha.«
»Zzghu-Nha«, versuchte er die komplizierten Silben nachzusprechen.
Der Satyr nickte. »Für einen Menschen ist deine Aussprache gar nicht schlecht.«
»Danke.« Sie folgten dem Flur fast bis zum Ende und gingen eine Treppe hinunter.
»Die Bäder liegen am tiefsten Punkt des Hauses«, erklärte Zzghu-Nha. »Das ermöglicht es uns die Wärme aus dem Erdinneren zum Heizen zu nutzen.«
Dilga war beeindruckt. Menschen gruben Keller, dort wo die Erde Kühle versprach und hielten das schon für besonders schlau. Unter seinen Fußsohlen fühlte er die Stufen wärmer werden. Daran änderte sich auch nichts als der Teppich endete und seine Füße über Stufen aus Stein wanderten.
»Wie gedankenlos von mir!« Zzghu-Nha blieb stehen und blickte schuldbewusst auf seine nackten Füße. »Menschen tragen Schuhe.«
»Das ist kein Problem«, beeilte Dilga sich zu versichern.
»Ich kann dir Schuhe fürs Haus holen.«
»Das ist nicht notwendig. Wirklich nicht.«
»Wie du meinst.« Zzghu-Nha öffnete eine Tür, die unmittelbar neben der Treppe lag. Dampf und ein angenehmer Geruch nach Tannen wallte heraus.
Dilga trat ein und staunte. Statt der Zuber, die er erwartet hatte, nahm ein steinernes Bassin fast die Hälfte des Raumes ein. Es war bis zum Rand mit dampfendem Wasser gefüllt, auf dem Schaumkronen schwammen. Am gegenüberliegenden Ende der Bodenwanne saß Loirach. Er hatte die Augen geschlossen.
»Guten Morgen, Mensch«, begrüßte er ihn, ohne die Augen zu öffnen. »Hast du in der Monsterhöhle schlafen können?«
»So gut wie noch nie in meinem Leben.«
Zzghu-Nha trat neben ihn und half ihm aus dem Mantel. Etwas verlegen entledigte er sich seiner restlichen Kleidung. Unter Menschen gehörte es sich nicht, sich vor einem Höhergestellten zu entblößen. Die beiden Satyr sahen darin anscheinend kein Problem. Am Rand des Bassins gab es flache Stufen, die hinunter ins Wasser führten. Vorsichtig ging er in die Wanne hinunter. Das Wasser war heiß und seine Haut rötete sich sofort.
»Nicht zu heiß für dich, Mensch?«
»Nein. Es ist angenehm.« Das Wasser reichte ihm bis zu den Hüften.
»Komm hier herüber.« Loirach öffnete die Augen. »Hier kann man sitzen.«
Er watete durch die Wanne zu seinem Gastgeber. Am steinernen Rand waren Sitzmulden eingelassen. Er setzte sich neben Loirach und lehnte sich zurück. Das Wasser schwappte ihm bis über den Mund. Er prustete und richtete sich wieder auf.
»Hm! Da werden wir wohl etwas basteln müssen, damit du mir nicht ertrinkst!«
Loirach reichte ihm einen bunt emaillierten Tiegel. Er nahm ihn und öffnete den Deckel. Eine herb duftende Seife war darin. Er wusch sich, während Loirach tiefer in seine Sitzmulde rutschte, bis ihm das warme Wasser seinen Hals benetzte.
»Ich habe den Vormittag über außer Haus ein paar Geschäfte zu erledigen.« Loirach pustete eine Schaumkrone zur Seite. »Ich werde dich also nach dem Frühstück eine Weile dir selbst überlassen. Du kannst dich im ganzen Haus und, wenn du möchtest, auch im Park umsehen. Aber bitte verlass mein Grundstück nicht.«
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