Der Satyr erwartete ihn oben. Helfend streckte er ihm eine Hand entgegen. »Wir sind da!«
Unbehaglich sah Dilga sich auf dem Plateau um. Hier gab es nicht einmal Bäume. Nur eine weitere Felswand, vor der ein riesiger, eierförmiger Findling lag. Der Satyr trat neben den Stein. Mit beiden Händen packte er den Fels und schob ihn zur Seite. Das kostete ihn Kraft. Deutlich sah Dilga die dicken Muskelstränge unter seinem roten Fell arbeiten. Hinter dem Stein verborgen, lag eine Höhle. Im Moment sah er allerdings nicht mehr als ein dunkles Loch.
Der Satyr streckte seinen Arm in die Dunkelheit und brachte eine Fackel zum Vorschein. Sie flammte sofort auf. Überrascht blickte Dilga auf die ruhig brennende Flamme. Er hatte weder Feuerstein noch Zunder gesehen.
»Tritt ein!« Der Satyr hielt die Fackel so, dass Dilga die ganze Höhle sehen konnte.
Eigentlich war es mehr eine Felskammer. Sie war kaum größer als die Hütte der Holzfäller und hatte keine weiteren Ausgänge. Nicht gerechnet das geschwärzte, faustgroße Loch in der Decke. Zögernd trat er ein. Es gab eine flache Feuerkuhle, die ordentlich mit Steinen eingefasst war. Darüber hing ein großer Kessel, der mit einem Haken in der Decke befestigt war. An der Wand war ein Stapel Feuerholz aufgetürmt und mehrere runde Sitzkissen lagen um die Feuerstelle herum. Dilga betrachtete die Muster auf den Kissen. Die Fäden, mit denen sie gestickt waren, leuchteten in verschiedenen Farben. Hinter ihm verschloss der Satyr die Höhle wieder mit dem Findling. Er war gefangen. Unbehaglich wandte er sich dem verschlossenen Ausgang zu.
Der Satyr fing seinen Blick auf. »Ich werde dir nichts antun, Mensch!«
Das Lächeln, mit den spitzen Zähnen, wirkte nicht wirklich beruhigend auf ihn.
»Bitte, setz dich doch.« Der Satyr deutete auf die Kissen und hängte Dilgas Waffen an einen Haken an der Wand. Die Fackel steckte er in eine Halterung daneben.
Dilga setzte sich. Das Kissen war erstaunlich fest und der braune Stoff viel weicher als er aussah. Die Fäden der Muster fühlten sich an wie Samt. Oder so, wie er sich vorstellte, dass sich Samt anfühlte. Er hatte den glänzenden Stoff zwar schon gesehen, aber bisher noch nie berührt. Der Satyr entzündete weitere Fackeln und das Feuer unter dem Kessel. Hier in der Enge der Höhle wirkte er noch riesiger. Sein Kopf berührte fast die Decke. »Sind alle Satyr so groß?«, entfuhr es Dilga. Tatsächlich hatte er bisher nur zwei gesehen. Seinen Entführer und den Jungen, den er aus der Falle befreit hatte.
»Groß?« Der Satyr runzelte nachdenklich die Stirn und schüttelte dann leicht den Kopf. »Ich bin nicht groß. Das kommt dir nur so vor, weil du so klein bist.«
Dilga stutzte kurz, dann lachte er. Der Schalk stand dem Satyr deutlich in den Augen.
Der Satyr kniete sich hin und schob eines der Kissen zur Seite. Darunter verbarg sich eine hölzerne Luke. Er öffnete sie und holte ein paar in Wachs gehüllte Gegenstände heraus. »Hast du Hunger?«
Dilga nickte. Sein Magen knurrte tatsächlich. Seit dem Frühstück am Morgen, hatte er noch nichts gegessen. Der Satyr knüpfte eines der Bündel auf und zog eine Leinendecke heraus. Sorgfältig breitete er sie über dem Kissen aus.
»Sprecht ihr alle die Sprache der Menschen?«
»Die Sprache der Menschen«, wiederholte der Satyr gedehnt. Für einen Moment wirkte sein Blick entrückt, so als ob er vor seinem inneren Auge etwas sah. »Wir sprechen und verstehen sie alle«, sagte er dann mit einem merkwürdigen Lächeln.
Der Satyr wandte sich wieder seinen Päckchen zu. Nacheinander wickelte er ein Holzbrett, ein langes Messer, Schinken, Brot und einen verschlossenen Tiegel aus. Zuletzt folgten zwei große Becher. Einen davon stellte er vor Dilga hin. »Entschuldige, ich habe keine Kleineren.«
Ein letztes Mal griff er in das Erdloch und holte eine riesige bauchige Flasche daraus hervor. Er schraubte den Deckel ab und goss klares Wasser in den Kessel. Es zischte leicht, weil die Flammen das Metall bereits erwärmt hatten.
»Womit machst du das?«, fragte Dilga.
Der Satyr sah auf. »Was meinst du?«
»Das Feuer.« Dilga deutete auf die Flammen, die den Boden des Topfes mit Ruß schwärzten.
Der Satyr sah ihn seltsam an, dann gab er Dilga einen schwarz glänzenden Stein, an dem ein kleiner Stößel befestigt war. Wie ein Schmiedehammer an einem Amboss, schoss es ihm durch den Kopf. Er roch Schwefel. Das kam von dem Stößel.
»Drück auf das hintere Ende«, instruierte der Satyr ihn.
Vorsichtig legte Dilga den Daumen auf das hintere Ende des Stößels und drückte es runter. Der nach Schwefel riechende Teil hob sich in die Luft.
»Und jetzt loslassen.«
Er tat wie geheißen. Der Stößel knallte auf den schwarzen Stein und ein Meer von Funken spritzte in alle Richtungen davon.
»Das ist sehr nützlich«, sagte der Satyr und nahm ihm den Feuerstein aus der Hand. »Und viel zuverlässiger als zwei Hölzer aneinander zu reiben.«
Machte der Satyr sich schon wieder über ihn lustig? Dilga beobachtete wie er ein paar Kräuter in den Kessel warf. Sofort zog ein aromatischer Duft durch die Höhle. »Wie heißt du?«, fragte er aus einem plötzlichen Impuls heraus.
»Loirach.«
»Loirach.« Er lauschte dem Klang des Wortes. »Das klingt menschlich.«
Der Satyr prustete los. »Menschlich«, wiederholte er belustigt. Wieder bekamen seinen Augen dieses entrückte Leuchten. »Du bist amüsant, Mensch.« Er nahm das Messer und säbelte großzügige Scheiben vom Brot und dem Schinken ab. »Bedien dich. Du bist mein Gast.« Das letzte Wort betonte er nachdrücklich.
Dilga ließ sich nicht zweimal bitten und langte zu. Das Brot war hell und enthielt Nüsse.
Loirach öffnete den Tiegel und schob ihn Dilga hin. Darin war gelbe Butter. Am Rand des Tiegels baumelte ein Holzspan mit dem man die Butter auf seinem Brot verstreichen konnte. Er kratzte sie sparsam auf seine Scheibe und legte ein Stück von dem Schinken darauf. Herzhaft biss er hinein. Der Schinken war mild geräuchert und die Butter leicht gesalzen.
»Wieso hast du Sitah geholfen?«, fragte Loirach unvermittelt.
Sitah? Vermutlich war das der kleine Satyr. Also war es tatsächlich so, dass Loirach ihn deswegen gefunden hatte. Nachdenklich kaute er zu Ende. »Ich wusste, dass ihr keine Bestien seid«, antwortete er dann einfach.
»Sitah sagte, dass er dich angegriffen und verletzt hat.«
»Nur gekratzt.« Unwillkürlich strich er sich über die verblassenden Narben auf seinem Oberarm. »Geht es ihm gut?«
Loirach rührte die Kräuter im Kessel um und schöpfte dann etwas von der Flüssigkeit mit einer Kelle heraus. Er füllte beide Becher. »Er hinkt noch, aber mit der Zeit wird er wieder ganz gesund werden.«
Dilga nippte vorsichtig an dem heißen Kräutertee. Er schmeckte leicht bitter und füllte seinen Körper mit einer wohligen Wärme.
»Du bist nicht aus Tyralon«, stellte Loirach fest.
Dilga schüttelte den Kopf.
»Woher stammst du? Aus Askalon?«, bohrte der Satyr nach.
Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich gehöre nirgendwo hin«, wich er aus. »Ich bin ein Söldner«, fügte er fast trotzig hinzu.
»Söldner.« Loirach legte den Kopf schief und nickte zögernd. »Jemand, der für Geld tötet?«
Der Ton in Loirachs Stimme verriet ihm nicht, wie er über Söldner dachte.
»Du handelst nicht wie einer«, sagte Loirach schließlich.
Was wusste der Satyr über menschliche Söldner und darüber, wie diese sich verhielten? »Warum bin ich hier, Loirach?«, fragte Dilga unverhohlen.
»Das erkläre ich dir, wenn wir in meinem Heim sind. Wie ich es versprochen habe.«
Überrascht sah Dilga auf.
Loirach lachte amüsiert. »Hast du etwa gedacht, das hier ist mein Heim?«
Natürlich hatte er das gedacht. Woher sollte er wissen, wie das Heim eines Satyr aussah? Bis vor kurzem hatte er noch nicht einmal gewusst, dass sie so etwas hatten. Geschweige denn, dass sie überhaupt mehr als ein Mythos waren.
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