Der hochgewachsene Mann mit den energischen Gesichtszügen schnallte sich los, griff nach seinem flachen Lederkoffer und kletterte vom hinteren Sitz über die Tragfläche aus der Propellermaschine. Kaum hatte er festen Boden unter seinen Füßen, zog er sich die Fliegerkappe vom Kopf, löste den weißen Schal und öffnete die dunkelbraune Lederjacke.
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug, Mr. Bradley«, bemerkte sein Pilot, der ebenfalls aus der Maschine geklettert war.
»Den hatte ich definitiv, Mr. Crosley. Sie sind ein ausgesprochen guter Pilot. Ich werde Sie gern wieder in Anspruch nehmen.«
»Das höre ich gern«, lächelte der ältere, etwas untersetzte Mann, der, wie Bradley von ihm erfahren hatte, unter Division Commander Hugh Trenchard im › Royal Flying Corps ‹ am Großen Krieg teilgenommen hatte. »Wenn ich Sie so anschaue: Sie sollten das tatsächlich öfter machen. Ihre Wangen haben eine frische Farbe bekommen und ihre Lunge konnte auch mal wieder richtig durchatmen. Da kann keine Ihrer filterlosen Zigaretten mithalten, meinen Sie nicht auch?«
»Vermutlich haben Sie recht. Ich sollte Ihren Rat beherzigen.«
»Ja, tun Sie das«, grinste Crosley.
Bradley, der sich inzwischen die Fliegerjacke ausgezogen hatte, reichte sie ihm, samt Schal und Mütze, dann schlüpfte er in seine Anzugjacke, setzte sich seinen › Homburger ‹ auf, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ das Flugfeld in Richtung des kleinen Gebäudes, in dem sich auch die Flugsicherung befand.
Er hatte die niedrige Wellblechhalle des Terminals noch nicht betreten, als ihn auch schon eine äußerst attraktive Frau mit Beschlag belegte. Sie entsprach jener weiblichen Sorte, die jeden Männerblick auf sich zog: Erst den zufälligen, dann den genauen Betrachtungen, der das erotische Kopfkino ankurbelte.
Sie wirkte elegant und sexy in ihrem pastellfarbenen Kleid mit der niedrigen Taille. Der gegenwärtigen Mode zum Trotz, die in dieser Saison die Säume wieder auf Knöchelhöhe hatten sinken lassen, war es kurz. Dazu trug sie eine modische Jacke, hauchzarte hautfarbene Seidenstrümpfe mit rückseitiger Naht, und ihre Absatzschuhe ließen ihre Beine noch länger wirken als sie es ohnehin schon waren. Mit ihrem Bubikopf und der lang herabhängenden Glasperlenkette sah sie aus wie eine Revuetänzerin oder schlicht wie ein › flottes junges Ding ‹.
Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die lackschwarzen, Haare, blinzelte in die blendende Helligkeit des gleißenden Sonnenscheins und studierte die vereinzelt ankommenden Reisenden. Immer wieder sah sie dabei auf einen Zeitungsausschnitt und das Foto eines Mannes.
Bradley versuchte es mit einem charmanten Lächeln.
Sie lächelte zurück. Ihre Haarfarbe und ihr schmales Gesicht mit den etwas schräg stehenden mandelförmigen Augen, deuteten auf einen gewissen Anteil asiatischen Blutes hin. Das war für Großbritannien nicht ungewöhnlich, schließlich trug der stete Zufluss aus den dem Empire zugehörigen Staaten seinen Teil dazu bei. Nicht sehr häufig hingegen war diese an Perfektion grenzende Vollendung, sowohl was Ihr Gesicht und die Verpackung, als auch die sich darunter mehr als deutlich abzeichnende Figur betraf.
»Mr. Bradley?«, sprach sie ihn mit angenehmer, leicht rauchiger Stimme an, als er auf ihrer Höhe war. Das Rot ihrer klassisch geschwungenen Lippen passte zu ihren Fingernägeln, ihre Augenbrauen waren gezupft, und die Wimpern waren stark getuscht.
Er nickte nur, denn noch immer war er von ihrem Anblick gefesselt, schaffte es aber, ihr zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss über die Hand zu hauchen.
»Mr. Clive Barwick hat mich geschickt«, ergänzte sie. »Ich bin Lee Sullivan, seine Sekretärin und soll Sie vom Flugplatz abholen.«
Ihre Stimme verriet eine winzige Spur von Akzent. Er vermutete, dass sie einige Zeit im Ausland aufgewachsen war und tippte auf das Protektorat Borneo.
Sie begleitete ihn durch die kleine, niedrige Wellblechhalle und führte ihn zu einem Stellplatz, wo ein cremefarbener › Chrysler Model B-70 ‹ mit Weißwandreifen den Parkraum zweier Wagen beanspruchte. »Steigen Sie bitte ein«, forderte sie ihn freundlich lächelnd auf. »Mr. Barwick erwartet Sie in seinem Büro.«
»Ihr Chef scheint ein ausgesprochener Erfolgsmensch zu sein«, erwiderte er und ließ dabei völlig offen, ob er den neuen Wagen oder sie meinte.
Lee Sullivan lächelte und schwieg, was ihm sehr an ihr gefiel.
Schnurrend zog der 8-Zylinder des Chryslers an. Sie chauffierte die Limousine sicher und reizte gekonnt dessen kraftvolle Motorleistung aus. Mit fast fünfundsiebzig Meilen pro Stunde näherte sie sich Perth. Von Norden kommend steuerte sie den Wagen über die › Smeaton's Bridge ‹, die seit 1771 den längsten Fluss Schottlands, den › Tay ‹, überspannte. Während der Fahrt hatte er ausreichend Zeit eine größere Anzahl › Follies ‹, › Narreteien ‹, sinn- und zweckloser Bauten zu betrachten, die begeisterte Landbesitzer zur Zeit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus einer Laune heraus auf die Bergkuppen gesetzt hatten. Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie das feudale Wohn- und Geschäftsviertel am › King's Place ‹. Vor einem modernen Hochhaus stoppte der Wagen.
»Das ist das Gebäude der › Eakins Bank ‹«, erklärte die junge Frau mit den Mandelaugen. Kaum war sie mit ihrer Begleitung ausgestiegen, sprang bereits ein uniformierter Türsteher herbei und übernahm das Fahrzeug.
Sie durchquerten die pompös eingerichtete Eingangshalle, wobei sich Bradley immer leicht hinter ihr hielt, um mit einem Lächeln ihre Kehrseite zu betrachten. Wenige Minuten darauf erreichten sie eine Tür, auf der in Messing nur zwei Buchstaben prangten: › C. B. ‹
Bevor Lee Sullivan anklopfen konnte, öffnete sich die Tür und ein Mann in sündhaft teurem Anzug kam zum Vorschein, eine Zigarre wie eine Kanone zwischen die Zähne geklemmt. Es war Clive Barwick, Präsident der › Eakins Bank ‹ und Verfasser einer ziemlich dringenden Nachricht an die Detektei › Colin Bradley ‹ in London.
»Guten Tag, Mr. Bradley«, begrüßte ihn Barwick und an seine Sekretärin gewandt: »Es ist gut, Miss Sullivan. Ich danke Ihnen.«
Bradleys Begleiterin lächelte höflich, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verschwand gleich darauf durch eine andere Tür in einem Nebenzimmer.
*
»Kommen Sie bitte herein.« Der Bankier machte eine einladende Geste und führte ihn in sein Büro. Der Raum war ebenso elegant wie sein Bewohner – wie das gesamte Gebäude einschließlich der Sekretärin. Durch die riesigen Fenster an der Rückseite hatte man einen Panoramablick auf den angrenzenden › South Inch ‹-Park.
Barwick schob einen schweren Ledersessel vor seinen Schreibtisch, forderte Bradley auf, Platz zu nehmen und ließ sich selbst in seinen Sessel hinter dem großen barocken Schreibtisch. »Ich bin sehr erfreut, dass Sie gekommen sind«, begann Barwick und beförderte einen vergoldeten Humidor über den Tisch, nachdem er seinen Spazierstock mit dem Hundekopf aus Silber, dessen Tieraugen aus grünfunkelnden Steinen gefertigt waren, beiseitegelegt hatte. »Zigarre?«
»Danke, nein«, lehnte Bradley höflich ab, der seine Aktentasche neben sich abgestellt und seinen › Homburger ‹ einfach auf eine Ecke des Schreibtisches abgelegt hatte. »Ich bin eingefleischter Zigarettenraucher., wenn Sie verstehen?« Dabei fingerte er seine Schachtel › Woodbines ‹ hervor, nahm eine Filterlose heraus und setzte den Tabak in den Brand. Ihn interessierte zu erfahren, weshalb man ihn angefordert hatte. Das Telegramm hatte dringend geklungen und direkt eine private Flugreservierung beinhaltet. Er hatte ein paar Erkundigungen über Barwick eingeholt, und das, was er erfuhr, genügte, der Bitte zu folgen. Sein potentieller Auftraggeber war nicht der Mann, der wegen einer Kleinigkeit den Kopf verlor. »Nun?« Er sah den Bankier fragend an.
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