Bunsh sah ihn neugierig an. »Und? Wer ist es?«
»Glasgow-Ambrose! Damit bekommst du den prominentesten Gast dieses Etablissements zum Nachbarn. Du kannst ja schon mal das Empfangskomitee mobilmachen. Soviel ich gehört habe, bevorzugt der Bursche französischen Champagner.«
»He, Bushwick!«, nagelte ihn Lesters donnernde Stimme fest. »Steckst du schon wieder mit Bunsh unter einer Decke?« Während er ihm das zurief, kam er eilig näher.
»Ich veranstalte gerade eine Umfrage«, stellte Bushwick ungerührt fest.
»Ach, tust du das?«, spottete der Aufseher.
»Aber sicher.« Bushwick wandte sich an Bunsh. »Und? Kannst du mir nun sagen, was die irischen Schlangen machten, nachdem der Heilige Patrick sie ins Meer gejagt hat?«
»Was soll der Käse?«, knurrte Lester.
»Sie schwammen durch die Irische See, und als sie in Großbritannien ankamen, da wurden sie Zuchthauswärter«, erklärte Bushwick grinsend und bekam dafür lachenden Beifall von anderen Gefangenen.
Lester reagierte entsprechend säuerlich. »Du kommst auf der Stelle mit, Bushwick!«, befahl er. »Wenn du glaubst, dass du mir auf der Nase herumtanzen kannst, dann hast du dich geschnitten!« Wieder pfiff sein Knüppel durch die Luft und wies den Weg.
Die Männer hörten noch, wie Bushwick sich empört beschwerte: »Von Pressefreiheit haben Sie anscheinend noch nie etwas gehört, oder?«
»Habe ich es nicht immer gesagt, dass er mit seinem losen Mundwerk mal anecken wird?«, meldete sich McMasters aus seiner Zelle – ein Mittdreißiger, der wegen Scheckbetrugs einsaß.
»Mach dir um ihn keine Sorgen«, schmunzelte Bunsh. »Du weißt doch, dass er beim Direktor einen Stein im Brett hat.«
»Mag ja sein, aber diesmal geht er baden«, erwiderte McMasters überzeugt und fragte in die Runde: »Wer ist eigentlich dieser Glasgow-Ambrose, von dem er gesprochen hat?«
»Keine Ahnung«, meldete sich einer. »Würde mich auch interessieren.«
»Das wundert mich nicht. Ihr seid einfach schon viel zu lange hier«, mischte sich Hardcastle ein, der in Scarborough mit Rauschgift gehandelt hatte und inzwischen seit vier Monaten zu Bunshs unmittelbaren Nachbarn gehörte. »Der Kerl ist eine echte Größe. Seinen Spitznamen hat er bekommen, weil er aus Glasgow stammt und dort seinen ersten Coup gelandet hat. Das ist zwar gerade erst ein Jahr her, aber er hat sich seitdem einen ausgezeichneten Ruf als Schränker erworben. Man erzählt sich, es gäbe keinen zweiten wie ihn, der soviel von aktuellen Sicherungsanlagen versteht.«
»Also mal ehrlich, erzählt wird ja viel«, entgegnete McMasters wenig überzeugt. »Da muss man sich doch fragen, warum er hier gelandet ist, wenn er angeblich so eine große Nummer ist, oder?«
»Keine Ahnung«, gestand Hardcastle. »Ich weiß nur, dass er ein absoluter Einzelgänger ist. Und genau das ist seine Stärke.«
»Wieso?«
»Na, das liegt doch auf der Hand.« Hardcastle grinste. »Es gibt keinen, der ihn verpfeifen kann.«
»Mag sein, dafür hat er aber auch niemanden, der ihn absichert … Ist meiner Meinung nach eher keine Stärke!«
Hardcastle ließ sich auf keine Diskussion darüber ein. »Jedenfalls habe ich von ihm zum ersten Mal in Edinburgh gehört. Da hatte er einen mit modernsten Hilfsmitteln gesicherten Safe geöffnet. Keine der tollen Alarmvorrichtungen war losgegangen. Er hat sie alle außer Betrieb gesetzt.«
»Ja, das sind die Schwierigkeiten. Diese modernen Alarmanlagen. Früher war das echt einfacher.«
»Stimmt, aber dem Burschen macht das nichts. Er hat sein technisches Examen mit › summa cum laude ‹ abgelegt!«
»Wie du sprichst, ist er wohl ein guter Freund von dir, he?«
»Keine Spur. Wie ich sagte: Ich habe ihn nie gesehen … nur eine Menge über ihn gehört.«
Das trübe Deckenlicht verlosch. Demnach war es zehn Uhr abends. Draußen auf dem Gang näherten sich die Schritte des wachhabenden Aufsehers. Diesmal war es Officer McShane, dessen brummige Bassstimme man schon von weitem hören konnte: » Los! Ab in die Betten! Ihr wartet wohl auf das Kindermädchen, wie!?«
Noch zwei Tage , dachte Bunsh, dann komme ich hier endlich raus. Jetzt nur nicht mehr auffallen. Er wusste genau, dass er schnell ein neues Verfahren an den Hals bekommen konnte – weitaus schneller als ihm lieb war! Also hieß es: Nur keinen Fehler machen. Noch zwei Tage, dann habe ich die guten Dinge des Lebens wieder. Und dann wird es sich für mich auszahlen, dass ich bei dem Prozess damals so beharrlich geschwiegen habe.

4
Bunsh sah den Neuzugang, über den Hardcastle so viel erzählt hatte, am anderen Morgen. Eingerahmt von den Gefängniswärtern McShane und Lester wirkte Glasgow-Ambrose wie ein Hungerkünstler. Er war ein eher schmächtiger Mann mit ruhigen Händen und einem beherrschten Gesicht. Seine wohlgenährten Bewacher an seinen Seiten überragten ihn um Haupteslänge.
»Sieh ihn dir ganz genau an, Bunsh!«, bemerkte Lester mit einem boshaften Grinsen. »Acht Jahre hat er aufgebrummt bekommen, weil er rückfällig geworden ist … und ich prophezeie dir, dass wird dir auch passieren, so wie ich dich einschätze!«
»Wenn es etwas geben sollte, was mich hierher zurücktreibt, dann wird es die Sehnsucht nach Ihnen sein«, konterte Bunsh spöttisch.
»He?« Lester wollte schon mit wütenden Schritten auf ihn losstürmen, als ihn sein Kollege McShane am Arm packte und davon abhielt.
»Lass Bunsh in Ruhe.«
»Wieso?«
»Wir kennen das doch zur Genüge: Steht die Entlassung an, dann drehen sie alle durch.«
Sie wiesen dem Neuzugang seine Zelle zu und verschwanden gleich darauf wieder. Da sich die Gefangenen in ihrem Zellentrakt tagsüber frei bewegen konnten, verzichteten sie darauf die Tür aus Gitterstäben zu verschließen. Kaum waren sie außer Sichtweite, trat Glasgow-Ambrose in den Gang und blickte sich um.
»Ich hoffe doch mal, dass es hier Pokerkarten gibt«, sagte er dann, ohne die anderen in irgendeiner Form zu begrüßen oder sich ihnen vorzustellen.
McMasters trat vor ihn und sah ihn herausfordernd an. »Es gibt hier schon genug großkotzige Kerle, Bursche!«, knurrte er bedrohlich.
»Na, wenn das so ist!«, erwiderte Ambrose ebenso gefährlich.
»Wir sind hier ein äußerst exklusiver Verein«, fuhr Hardcastle fort. »In einen alteingesessenen elitären › Men Club ‹ in London kannst du auch nicht so ohne weiteres eintreten! Dazu braucht es ein gewisses Ansehen.«
»Na, dann will ich mich nicht lumpen lassen und direkt etwas für meinen Nimbus tun«, spottete sein Gegenüber. »Mal abwarten, ob es für eine Mitgliedschaft reicht!« Er hatte kaum ausgesprochen, da schoss seine Faust unvermittelt vor und traf Hardcastle genau am Solar Plexus. Der Drogenhändler aus Scarborough spürte, wie ihm der Treffer die Beine wegriss, bevor er krachend mit dem Rücken auf den Betonboden fiel.
Lächelnd massierte sich Ambrose seine Faust. »Reicht das als Reputation? Wenn ja, Gentlemen«, er sah dabei in die Runde, »möchte ich direkt auf meine Frage zurückkommen! … Gibt es hier Pokerkarten?«
Die herumstehenden Männer starrten die halbe Portion verblüfft an, die den keineswegs schwächlichen Hardcastle mit einem Hieb zu Boden geschickt hatte. Es war McMasters der sich nun nach vorne schob, seine Oberarmmuskeln spielen ließ und sich die kräftigen Pranken rieb.
»Seht euch das an, Leute, der Neue will hier gleich auf dicke Hose machen!« Dann wandte er sich an Ambrose. »Das kommt nicht gut an! Bist wohl noch vollgestopft von guten Steaks da draußen, aber versuch erst mal den Fraß hier … da wird dir schon bald anders werden!« Ohne Vorankündigung schoss McMasters seine geballte Hand vor, verfehlte aber das anvisierte Ziel. Obendrein katapultierte ihn sein eigener Schwung nach vorn, und plötzlich explodierte etwas in seiner Magengrube. Augenblicklich klappte er in sich zusammen, nur um gleich darauf durch einen geraden Haken, der seine Kinnspitze traf, wieder auseinandergefaltet zu werden. Ein weiterer sauberer Schwinger ließ ihn neben Hardcastle zu Boden gehen.
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