»Keine Ahnung«, brummte Bunsh.
»Haben Sie denn etwas gelernt?«, wollte McNamara wissen.
»Hier im Knast schon.«
»Und vorher?«
»Nichts«, murmelte Bunsh und aschte auf den Werkstattboden.
»Das ist nicht gerade viel«, bemerkte McNamara bedächtig. »Wir haben Ihnen hier Einiges beigebracht, aber wie der Erfinder des Schweißgerätes haben Sie sich nicht gerade angestellt. Sie werden es draußen nicht besonders leicht haben, Doc. Außerhalb dieser Mauern gibt es eine Menge guter Schweißer, die nicht im Zuchthaus waren.«
»Ich werde schon irgendwie zurechtkommen, Sir. Ihren guten Rat brauche ich dazu nicht«, knurrte Bunsh und sah ihn aufmerksam an. »Wer schickt sie eigentlich? Der Anstaltsgeistliche?«
McNamara ging nicht darauf ein.
»Ich will Ihnen etwas sagen, Doc. Auf unserer letzten Sitzung haben wir besprochen, was wir für Sie tun können. Ich glaube, wir können Ihnen eine Stelle in › Greshornish ‹ verschaffen. Dort gibt es einen Mann, den es nicht stört, dass Sie bei uns drei Jahre abgerissen haben.«
»› Greshornish ‹?«, kam es gedehnt.
»Ja! Das ist zwar ein gottverlassenes Nest im Nordwesten von Schottland, aber für Sie eine ehrliche Chance. Sie wissen doch, wenn Sie sich eine Weile anständig führen, wird Ihre Vergangenheit in Vergessenheit geraten.«
»› Greshornish ‹?«, wiederholte Bunsh noch einmal. »Habe ich noch nie gehört.«
»Was ich Ihnen anbiete ist Arbeit … eine saubere, ehrliche Arbeit in einer Kleinstadt, wo Sie überhaupt nicht erst auf dumme Gedanken kommen.«
»Aber, Sir! … Ich habe keine Bewährungsauflage.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Also kann ich tun und lassen, was ich will, wenn ich hier rauskomme. Behalten Sie diesen Job für sich.«
»Nehmen Sie sich Zeit darüber nachzudenken, Doc. Es ist das Beste, was wir Ihnen anbieten können. Nicht viele hier haben eine solche Chance. Die Arbeit wird ordentlich bezahlt und …«
»Das ist nichts für mich«, fiel Bunsh ihm ins Wort. »› Greshornish ‹, keine Ahnung wo das liegt! Nein, wirklich nicht! … Hier im Zuchthaus haben Sie vielleicht etwas zu sagen, aber in drei Tagen bin ich ein freier Mann, und dann muss ich mir Ihre gut gemeinten Ratschläge nicht mehr anhören.«
McNamara ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie lehnen also ab?«
»Endgültig!«
»Ganz wie Sie wollen, Doc.« Er wandte sich ab und verließ die Werkstatt.
*
Etwa zwanzig Minuten später war er im Ostflügel des Gebäudes und saß dem Direktor des Zuchthauses gegenüber. »Er hat abgelehnt!«
Sein Gegenüber nickte, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. »Damit hatte ich eigentlich gerechnet«, erwiderte der Leiter des Gefängnisses mit einem zufriedenen Lächeln. »Ehrlich gesagt, McNamara, ich hätte gar nicht gewusst, was zu tun ist, wenn er darauf eingegangen wäre. Schließlich gibt es in › Greshornish ‹ niemanden, der ihn haben will.«
»Und was machen wir jetzt?« McNamara strich sich nachdenklich übers bärtige Kinn.
»Jetzt? … Wir lassen die Aktion wie geplant anlaufen. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass Bunsh der einzige Trumpf in dem Spiel ist, den wir haben. Wenn diese Glenconner-Bande tatsächlich existieren sollte, ist er unsere einzige reelle Chance, an sie heranzukommen.«
»Ich weiß nicht …«, brummte McNamara. »Mir kommt die Sache recht komisch vor. Da hat es eine Anzahl Verbrechen gegeben, die für Schlagzeilen gesorgt haben und nicht aufgeklärt werden konnten. Und ja, es wurde immer wieder die Vermutung aufgestellt, dass diese Bande ihre Finger im Spiel gehabt hatte … nur fehlt dazu bislang jeder Beweis. Wer sagt uns denn, dass es wirkliche diese Gruppe und nicht eine ganz andere war? Mich persönlich erinnert das Ganze fatal an die Methode, jedes Verbrechen zunächst einmal den gerade prominentesten Kriminellen in die Schuhe zu schieben. Denken Sie an die Morde Mitte der 1880er Jahre und die Angst vor Jack the Ripper!«
»Mag sein. Das herauszubekommen ist aber nicht unsere Aufgabe«, korrigierte ihn der Direktor. »Wir folgen den Anweisungen, die man sich bei Scotland Yard ausgedacht hat. Immerhin ist man dort der Meinung, dass Bunsh das einzige Mitglied dieser kriminellen Vereinigung sei, welches man bislang erwischt habe.«
»Der Meinung sein bedeutet nicht, dass es auch so ist«, beharrte McNamara.
»Wie auch immer! Es ist deren Entscheidung und nicht unsere«, gab der Direktor zurück und machte eine wegwischende Handbewegung. »Letztlich spricht ja auch einiges dafür. Das Arbeitsangebot in › Greshornish ‹ war ein letzter Versuchballon. Bunsh hätte wohl kaum abgelehnt, wenn er nicht damit rechnen würde, nach seiner Entlassung woanders unterzukommen, oder?«
»Dennoch wäre es doch das Vernünftigste gewesen, den Mann nach seiner Freilassung einfach zu beschatten«, blieb McNamara bei seiner Auffassung. »Ich finde, dass ist immer noch der sicherste Weg herauszufinden, in welcher Branche er einzusteigen gedenkt ...«
»… und ganz sicher genau der Weg, mit dem Bunsh rechnet«, unterbrach ihn der Direktor. »Nein, McNamara, da halte ich es doch mit dem Vorgehen des Yards.« Er warf einen Blick auf seine goldene Armbanduhr und fügte hinzu, als er wieder aufsah: »Und jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich muss telefonieren.«

2
Doc Bunsh verbrachte, wie auch andere Häftlinge der Stufe 2, seine Mittagspause im Gefängnishof. Still saß er auf der obersten Stufe der Treppe, die zum Sportplatz hinunterführte und beobachtete seine Mitgefangenen. Die kurz bemessene Zeit nach dem Essen, war die einzig freie des Tages, und die, bei der er sich weniger wie ein Zuchthäusler vorkam – denn außer ein paar Sicherungsposten war niemand, der ihn und die anderen bewachte. Die Sonne stand inzwischen so hoch, dass sie mehr als die Hälfte des Areals erreichte, und wenn er die Augen schloss, kam es ihm fast vor wie vor Jahren, als er noch in Brighton lebte.
Er war sehr darauf bedacht gewesen, seine Sicherheitsstufe nicht zu verlieren – und hatte sich dementsprechend nicht immer von seiner besten Seite gezeigt. Dazu gehörte auch, keinem Streit mit einem Mitgefangenen aus dem Weg zu gehen. Er hatte sich Einiges davon versprochen in dieser Gruppe zu bleiben, denn erstens war sie zahlenmäßig die stärkste und zweitens bekamen alle Neuzugänge automatisch diese Stufe. Das war die beste Chance Nachrichten von draußen zu bekommen. Auch hatte ihm sein hartes Vorgehen den Respekt der anderen eingebracht. Niemand wagte es, sich einfach neben ihn auf die oberste Stufe zu setzen oder ihm gar den Platz streitig zu machen. Und letztlich war Stufe 1 für die Privilegierten, die zwar eine Menge Vorteile genossen, dafür aber von ihren Mitinsassen verachtet wurden.
In die Stufe 3 zu kommen hingegen war schon gleich viel leichter. Dazu reichte es sich mit den Aufsehern anzulegen, was er stets vermieden hatte. Außerdem brachte das in der Regel direkt Einzelhaft und Sonderbehandlungen mit sich – nicht zu vergessen, dass sich die Zeit im Zuchthaus nicht gerade geringfügig verlängern konnte.
Für ihn, der sich ausrechnen konnte, wann er entlassen wurde, war die Stufe 2 eine ideale Sache. Er fiel auf, aber nicht allzu sehr, hatte sich Respekt verschafft und war sich selbst treu geblieben, die drei Jahre möglichst komplikationslos hinter sich zu bringen – was ihm ja auch geglückt war.
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