Er steckte sich noch einen Tschick an, während der Palaver über die Zahlungsmodalitäten andauerte. Assl tippte auf eine dieser alten, halbelektronischen Rechenmaschinen ein und ging mit dem Luis die Liste durch. Sie kamen auf zweiundvierzig Scheine, doch weil der Luis ein Kumpel vom Herrbert und Assl ja auch ein herzensguter Mensch war, schlug er fünfunddreißig als Endpreis vor.
Diese Summe hämmerte selbst noch durch Frasthers Whiskeynebel hindurch ordentlich rein. Für so viel Geld kauften andere Leute sich eine sehr dicke, geile Karosse… Der Luis wurde noch einen Tick grüner, als er ohnehin schon war und willigte nach einem kurzen Moment des Nachdenkens ein. Natürlich hatte er nicht soviel dabei, aber einen Vorschuss benötigte Assl natürlich schon, um die Dinge in die Wege zu leiten…
Frasther goss sich ein weiteres Glas Whiskey ein und stellte dabei fest, das er schon mehr als die halbe Flasche gekippt hatte. Das ging ja flott heute.
Amüsiert betrachtete er die Szenerie: Der fette Prag-Luis saß breitbeinig im enormen Ledersessel, die Zigarre in der einen, gestikulierend mit der anderen Hand. Ihm gegenüber, hinter dem mächtigen Schreibtisch aus dunklem Holz: Assl, ein stämmiger Alt-Knastrologe, mit seinem enormen Backenbart, die Rechte aufs Kinn aufgestützt die Zigarre haltend, die Linke flach auf den Tisch gelegt. Vor ihm auf dem Tisch die Schatulle mit dem Sprengstoff und die drei Puffn, die ungeordnet herumlagen. Der ganze Raum war von dichtem Rauch geschwängert und durch die schmalen Schlitze in den mächtigen Vorhängen fiel nur ein wenig fahles Licht – einzig die Whiskeyflasche leuchtete hell und freundlich.
Während er so dahin sinnierte, hatten es der Prag-Luis und Assl offenbar zu einem Abschluss geschafft; mit dramatischer Geste erhob sich der Luis, zählte einige Scheine auf den Tisch und streckte Assl die Hand hin. Der ergriff und schüttelte sie kräftig, während sich die beiden, leicht verlegen grinsend, in die Augen sahen. Frasther erhob sich ebenfalls, um sich von Assl zu verabschieden; mit dem ganzen Whiskey im Tank musste er sich erst ein wenig akklimatisieren, um dem bereits wieder eilig entschwundenen Luis zu folgen. Es war eine Sache, gemütlich in einem Sessel zu sitzen und einen Fetten zu schieben*, was ganz anderes war es jedoch, mit der Menge, die er im Moment intus hatte, koordiniert durch eine fremde Umgebung zu stolpern. Erst auf der Straße holte er den Luis ein. Der steuerte mit weit ausgreifenden Schritten dem Parkplatz zu, auf dem sie den Benz geparkt hatten. Als Frasther ihn eingeholt hatte, stellte er fest, dass der Luis übers ganze Gesicht grinste.
„Was geht’n ab, dass du so grinst?”
„Na, hast du nicht mitgekriegt, wie ich den runtergehandelt habe? Mehr als ein Viertel vom Anfangspreis hab' ich rausgeschunden! Ich bin ein Geschäftsmann reinsten Blutes, Frasther!”
In so einem Hoch hatte Frasther den rundlichen Knaben bisher nur erlebt, wenn er sich sein weißes Zeug reingeschnupft hatte.
„Irgendwas musst ja auch du gut können”, sagte er beiläufig. „Und wie läuft das jetzt weiter, gehen wir die Ware jetzt irgendwo holen, oder wie?
Sie nahmen Platz im Benz. Der Luis startete und rammte den Rückwärtsgang rein, bevor er Antwort gab: „Nein, das ist ja das Schöne: Es wird frei Haus geliefert. Morgen kommt so ein Knabe namens Ludovic von Staad, als Antiquitätenhändler getarnt, in einem unauffälligen Lieferwagen bei mir vorbei und liefert das ganze Material an; ich brauch' es nur noch in Empfang nehmen und den Rest zu bezahlen.“
„Na, dann is' ja alles in Butter!“, lallte Frasther.
„Und du, mein guter Frasther, musst jetzt unbedingt zwei, drei gute Männer organisieren, mit denen wir das durchziehen können. Vertrauenswürdige Leute, die's drauf haben, klar?“ Der Prag-Luis nickte mit dem Kopf wie ein Wackeldackel, während er sprach.
„Na, eh klar, Luis, aber ich werd' vorläufig nur den Mutl holen, sonst niemanden. Solange wir nicht wissen, wo wir zuschlagen, reicht der erstmal völlig. Und dann warten wir ab, bis die Lieferung auch wirklich da ist, danach sehen wir weiter. Glaub mir: Hektik ist genau das, was wir jetzt nicht gebrauchen können.”
„Da könntest du Recht haben…“, stimmte der Luis zu.
„Ich hab' immer Recht!“, grölte Frasther, dem im Moment so ziemlich alles wurscht war, vergnügt.
Nachdem sie den Transporter an Zurnfrieds Tankstelle abgeholt hatten, fuhren sie hintereinander, der Luis im Ersatzbenz voran, Frasther am Steuer der Kiste dahinter, zu Prag-Luis' Villa zurück. Im abendlichen Licht wirkte die Verwüstung, welche die Reifen von Bertls Schrottkarre in Luis' gepflegtem Garten angerichtet hatten, besonders barbarisch. Nachdem er den Transporter in die Garage gefahren hatte, bat der Luis Frasther, in der Nacht die Kontrollrunde zu fahren und ein Auge auf die Weiber zu haben. Er selber habe ein Treffen mit seinem Steuerfuzzi, das er ums Verrecken nicht aufschieben könne und sei deshalb zu beschäftigt.
Während Frasther in seinen Jeep stieg, blieb der Luis an der Haustüre stehen und sah ihm zu. Deshalb konnte Frasther es sich nicht verkneifen, seinerseits nochmal ordentlich durch das Beet zu donnern. Der Luis begann entsetzt zu fluchen und zu gestikulieren, versuchte sich dann aber blitzartig in Sicherheit zu bringen, als Frasther einen eleganten Slide fabrizierte und dabei eine Mords-Dreckfontäne aufwirbelte. Er lachte amüsiert, als er den hochroten Kopf auf dem viel zu dicken Körper im blütenweißen Anzug sah, der verzweifelt einer Dreckwolke aus schwarzer Blumenerde zu entkommen versuchte. Dann fuhr er stracks Richtung Hauptstraße, den Hardrock voll aufgedreht, die ganze urtümliche Kraft des Jeeps in seinen Händen, das Vibrieren der Pferdestärken, wenn er das Gaspedal drückte und die erschrockenen Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer, wenn er sie durch seine riskanten Überholmanöver zu Notbremsungen nötigte. Sein hoher Promillepegel verlieh ihm die notwendige Kühnheit und Übersicht für solche Manöver – doch er spürte bereits, dass dieser Pegel wieder im Sinken begriffen war. Es wurde langsam auch wieder Zeit für ein Bierchen.
Wenige Minuten später zischte er am anderen Ende der Stadt wieder aus einer Seitenstraße heraus und fuhr dann langsam, den Sound aber immer noch voll aufgedreht, an einer Marktstraße entlang auf einen alten Platz, der von baufälligen Arkaden umgeben war. Hier waren andere Gerüche in der Luft als im Rest der Stadt, es duftete nach Knoblauch, Zwiebeln und dem Blut frisch geschächteter Schafe. Auch die Musik war ungewohnt, aus jedem halboffenen Fenster drang einem das von orientalischen Klängen untermalte, sülzende Gewimmer irgendeines anatolischen Popstars entgegen. Frasther liebte den Duft und hasste den Sound.
Mit schweren Schritten trat er auf die kleine Holzveranda der 'Balkan-Stube' und stieß die Tür mit einem wuchtigen Ellbogenhieb auf. Als er derart den Schuppen betreten hatte, verstummten natürlich die meisten Gespräche. Er baute sich im Türrahmen auf, warf einen prüfenden Blick in die Runde. Viel konnte er im Halbdunkel nicht erkennen, nur etwa sechs oder sieben Augenpaare, die sich ihm neugierig zugewandt hatten. Doch ein penetrant süßlicher Geruch lag in der Luft – ein untrügliches Zeichen. Frasther grinste.
„Na, das ist aber nicht zu glauben, was für eine eklige Visage da auf einmal auftaucht!”, dröhnte ihm vom Tresen her ein mächtiger Bass entgegen. „Dass sie dich immer noch nicht erschlagen haben, grenzt an ein Wunder – so verdammt hässlich wie du bist!”
Frasthers Miene erhellte sich weiter – war ja schon beim Grasgeruch klar gewesen, dass Garstmuth hier sein musste. Und dass der alte Knabe ganz offensichtlich gut drauf war, freute ihn um so mehr.
Lässig schlenderte er zum Tresen hinüber, steckte sich unterwegs einen Tschick an. „Gut, dass du so leicht zu finden bist, mein Alter!”, begrüßte er das beinahe zwei Meter große, breitschultrige Kaliber, das gemütlich auf einem Barhocker lümmelte und ihn angrinste.
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