»Sieh an, sieh an!«, raunte die Schattengestalt. »Was haben wir denn hier? Einen verirrten, kleinen Magier und seinen Gehilfen? « Der Magier neben mir hob langsam und ohne ein Wort die Hand.
»Von Magie würde ich euch abraten! «, sagte der Schatten rasch, mit barschem Tonfall und schnippte mit den Fingern. Auf der Stelle erschienen gut zwölf weitere Männer: Je vier auf jeder Seite der Schlucht und vier weitere Schatten hinter dem Ersten. Die Person neben mir ließ ihre Hand wieder sinken. Ich wusste, wer diese Männer waren. Nicht allein ihre rüde Art hatte meinen Verdacht bestätigt, sondern auch der penetrante Gestank nach Schweiß und Schmutz, der von ihnen ausging, und den ich auch ohne meine feine Drachennase deutlich im Abendwind wittern … ich meine riechen konnte. Es waren Abtrünnige des Königs – Mörder und Diebe, die den Schutz der Drachenberge für sich nutzten und sich hier versteckten. Kaum ein Mensch, der noch bei Verstand war, traute sich hinter die Todesschlucht, nur selten die Krieger und Magier des Königs, um Jagd auf Drachen zu machen. Keiner machte sich die Mühe die Verräter zu schnappen. Diese Halunken versteckten sich gut. Selbst wir Drachen hatten bisher selten das Vergnügen, einen von ihnen als Gast beim Schmaus zu haben. Die Waffen, die sie benutzen, stammten entweder aus der Vergangenheit, als sie noch wie gewöhnliche Menschen in einem gewöhnlichen Dorf hausten und waren dem entsprechend abgegriffen und stumpf. Oder sie bestanden aus einfachsten Materialien, in der Not gebaut, wie die Bögen. Viele von ihnen waren krumm und hielten nicht viel aus. Die Pfeile bestanden ebenso aus jämmerlichem Material, einfachem Holz, welches hier und dort gefunden und ein wenig zurechtgeschnitzt wurde. Keiner dieser Pfeile würde weit fliegen.
»Gebt uns eure Waffen, Schilde, Heilkräuter und Nahrungsmittel, und wir werden euch passieren lassen! Falls nicht, … «
Der Räuber unterbrach sich und ich hörte das Knarzen der alten Bögen, die sich stärker spannten. Die Drohung war eindeutig. Aber sie erreichte nicht ihren gewünschten Zweck, sondern machte mich nur wütend.
»Gauner, wie ihr es seid, verdienen es nicht, sich in diesen Ländereien der Drachen herumzutreiben, als wäre es ihr eigenes Land! «, sagte ich mit Nachdruck in meiner Stimme, während ich vor den Magier trat, der mich kürzlich gerettet hatte. Kein unerfahrenes Zucken lag in meiner Stimme, nur Zorn, der eine überraschte Pause zur Folge hatte. Dann aber lachte der Anführer der Meute laut auf:
»Du glaubst wohl, du könntest uns etwas anhaben, wenn selbst die Soldaten des Königs unserem Zorn unterlagen! «
Sein Spott brachte mich in Rage und ich ballte meine Fäuste. Hinter mir hörte ich den Magier etwas Warnendes flüstern, doch ich ignorierte ihn.
»Ihr seid der ganze Abschaum der Menschheit! «, provozierte ich ihn weiter. »Ihr seid weniger wert als die Ratten in euren Höhlen, in der ihr euch feige, wie ihr seid, verkriecht! «
Meine Worte hatten ihre gewünschte Wirkung erzielt. Schon rief der Mann einen Schlachtruf aus und zog seinen krummen Säbel, während acht Pfeile zum Angriff ausgeschickt wurden. Und dann geschah es: Während die Pfeile auf mich zusegelten, schien die Zeit um mich herum träge zu werden, und alles verlor an Geschwindigkeit. Im gleichen Moment spürte ich ein fast unangenehmes Kribbeln in allen meinen Muskeln, als wollten sie ihre volle Stärke mit einem Schlag präsentieren. Mein Blick wurde schärfer, meine Nase feiner und mein Gehör hellhöriger. In diesem einen Moment der Gefahr schienen sich meine ganzen Sinne und meine Kräfte wieder denen eines Drachen anzupassen, obwohl sie immer noch von der einstigen Stärke und Intensität entfernt waren. Ich drehte mich augenblicklich und leicht ausweichend auf der Stelle, wobei ich jeden Pfeil aus der Luft pflückte, der mir eigentlich den Tod bringen sollte. Als ich meine Drehung beendet hatte, schickte ich jeden Pfeil wieder in seine ursprüngliche Richtung. Acht Aufschreie verrieten mir, dass ich jeden Angreifer mit Bogen getroffen hatte, auch wenn ich die Männer nicht getötet hatte. Hinter mir hörte ich, wie der Magier ebenfalls seinen Langbogen hob, in verlangsamter Sprache ein magisches Wort murmelte und vier Pfeile gleichzeitig auf die Reise schickte. Einer von ihnen streifte mit einer Feder freundschaftlich meine rechte Wange. Ich sah, wie die vier Pfeile schnurstracks auf die Männer hinter dem Anführer zuflogen, wobei einer leicht im Wind trudelte und sicherlich sein Ziel nicht treffen würde. Ich setzte zum Spurt an und rannte auf die Männer zu. Kurz nachdem die drei Pfeile getroffen hatten (wobei der vierte, wie vorhergesehen, daneben ging) stieß ich dem verfehlten Nebenmann des Anführers meine Faust in die Lederrüstung, drehte mich abermals, entwaffnete den Anführer mit einem Schlag und hielt ihm seine eigene Klinge an die Kehle. Schlagartig holte mich die Zeit wieder ein und erreichte ihre normale Geschwindigkeit. Das Resultat dieses kurzen Kampfes: Acht Männer auf der Klippe waren irgendwo von ihren eigenen Pfeilen getroffen und knieten oder lagen jammernd auf dem Klippenrand. Die drei anderen Kerle hinter mir lagen auch auf den Boden, außer Gefecht gesetzt von einem Meisterschuss des Magiers. Einer kniete noch neben mir, von meinem Faustschlag kampfunfähig und sicherlich mit mehreren gebrochenen Rippen und der von seiner eigenen Klinge bedrohte Anführer mit gebrochener rechter Hand schaute verdutzt und ängstlich aus der Wäsche. Mein ehemaliger Retter in der Klippe nickte mir zu.
»Wartet! Wartet! «, keuchte meine Geisel. »Ich habe Schätze! «
»Was soll ich mit nutzlosem Gold und wertlosen Juwelen?! «, fragte ich ihn mit tiefer Stimme.
»Was kann ich euch sonst anbieten? Was wollt ihr? «, fragte er ängstlich. Ich überlegte kurz.
»Ich möchte euer Wort, dass ihr nie wieder jemandem Unrecht antut! Und ihr schuldet mir einen Gefallen! «, sagte ich bestimmt.
»Alles was ihr wollt! «, kam die ängstlich zuckende Antwort.
»Ich nehme euch beim Wort! «, sagte ich. Dann stieß ihn von mir.
»Geht! Versorgt eure Verletzten und haltet euer Versprechen!«
»Hier! «, sagte der Magier und warf einem der Männer einen Stoffbeutel mit Heilkräutern zu, mit denen sie sich wieder gesundpflegen konnten. Sicherlich würde diese Tat einigen das Leben retten. Die Verletzten rappelten sich auf und humpelten davon. Der Magier trat zu mir und wischte sich die verschwitzten, schwarzen Haare aus dem Gesicht.
»Du bist wahrhaftig ein sehr eigenartiger Genosse! « sagte er. Ich schaute ihn fragend an.
»Nicht nur, dass du dich beinahe genauso schnell wie ein Magier bewegst , und das ist schon beträchtlich, sondern dass du auch jemandem mit einem einzigen Schlag sämtliche Rippen brechen kannst. Doch vor allem verraten dich ... deine Augen! «
»Meine Augen? «, wiederholte ich geistesabwesend.
»Es schien so, als würdet du mit den Augen eines ...
Drachen kämpfen. «
»Du musst dich geirrt haben! «, winkte ich ab und wandte meinen Blick zur Seite.
»Wie dem auch sei! «, sagte der Magier, der sich scheinbar nicht aufdrängen wollte. Scheinbar hatte er wirklich etwas Verräterisches an mir gesehen, aber er machte sich ganz offenbar keine Gedanken darüber, wer ich war und was ich zu verheimlichen suchte. Während wir so dahin gingen, und ich immer mehr in meinen Gedanken versank, stieg mir ein bekannter Geruch in die Nase. Er war ganz fein, und wäre er nicht auf einer ganz leichten Abendbrise an mir vorbeigestrichen, hätte ich ihn überhaupt nicht wahrgenommen. Ich schnüffelte mit meiner stumpfen, menschlichen Nase, um den so überraschenden Geruch noch einmal in mir aufzunehmen. In dem Schweif der Brise lag ein Hauch von Würze. Ich brauchte nicht zu überlegen, woher ich dieses einzigartige Aroma kannte.
»Vila! «, hauchte ich kaum vernehmbar.
Читать дальше