»Wen haben wir denn da? «, sagte der Mittlere, der gleichzeitig mit seinem kantigen Gesicht am fiesesten wirkte.
»Guten Tag, die geehrten Herren. Womit kann ich den stolzen Kriegern zu Diensten sein? «, fragte der Magier mit betont freundlicher Stimme.
»Sagt, alter Mann ... «, begann der Soldat, während er gemächlich durch den Raum schlenderte und einen handgemachten und sehr aufwändig verzierten Tonkrug aus einem Regal nahm »Habt ihr zufällig ein Mädchen gesehen? «
»Entschuldigt, mein Herr, aber mir wurde vor Ewigkeiten mein Augenlicht genommen. «
»Ach ja!? «, sagte der Soldat, der scheinbar im schwachen Licht nicht die blinden Augen des Mannes gesehen hatte. Er betrachtete kurz die Töpferware mit geringschätzigem Blick und ließ den Krug fallen, der auf den Boden krachte und in tausend Teilchen zersprang. Ich spürte den Arm von Raco zucken.
»Habt ihr vielleicht heute einem Mädchen Einlass gewährt? Oder jemandem anderen?«
»Nein, Herr «, antwortete der Alte vollkommen sicher. Darauf fiel eine weitere Töpferarbeit zu Boden. Nun schien der Soldat sichtlich erzürnt. Er umfasste die beiden Stuhllehnen mit festem Griff, so dass sein Gesicht nur noch Zentimeter von dem des Alten entfernt war.
»Dann sagt mir, alter Mann, sprecht ihr auch die Wahrheit? «
Zuerst sagte der Alte nichts, doch dann ließ er ein Glucksen ertönen, welches immer mehr zu einem Lachen anschwoll.
»Euer blindes Bestreben wird euch zeichnen und eure Gier nach Macht wird eines Tages euer Ende sein. «, lachte er. Zornesröte strömte in den Kopf des Soldaten und er begann zu zittern.
»Wisst ihr eigentlich, wer ich bin?!«, schrie er aufgebracht.
»Ihr seid die rechte Hand eines Mannes, der sich ein König nennt. «
Der Soldat schrie wütend auf, wandte sich von dem Alten ab und ging zu dem Regal nahe der Tür, wo er etliche Bücher und zerbrechliche Gegenstände zu Boden fallen ließ. Dann wandte er sich mit feuerrotem Gesicht wieder zum alten Mann um. Seine rote Haut wirkte, als würde er gleich explodieren. Doch ehe dies geschah, lenkte etwas auf dem Tisch seine Aufmerksamkeit auf ihn. Er lächelte plötzlich.
»Es ist schon komisch, «, sagte er seltsam beherrscht » ... dass ihr
heute niemanden gesehen haben wollt, wo doch auf eurem Tisch mein Dolch liegt! «
Der alte Mann reagierte so schnell, wie man es ihm niemals zugetraut hätte. Er stand so schnell auf, dass sein Holzstuhl an der Treppe hinter ihm zerschmetterte. Schon hob er seine knochige Hand und ließ ein einzelnes, magisches Wort ertönen, welches von den runden Wänden wie Tausende Echos widerhallte. Ein Strom grellen Lichts schoss von seiner Handfläche auf die drei Eindringlinge zu. Jedoch zog der vorderste Soldat, der mit einem Angriff gerechnet hatte, in Windeseile einen komischen Stab aus seinem Gürtel und erschuf mit ihm einen magischen Schild, der die Lichtstrahlen von ihm und seinen beiden Kameraden ablenkte. Die Strahlen trafen auf die umliegenden Steine der Eingangspforte und zerschmetterten sie mit solcher Kraft, als hätte sie eine Explosion erfasst. Das fiese Grinsen des Soldaten an der Front verriet, dass er sich seines Angriffs sicher schien. Seine linke Hand langte nach vorn, als wenn er nach etwas greifen wollte. Im gleichen Augenblicke setzte sich der vergifte Dolch auf dem Tisch in Bewegung und flog als goldener, schneller Schleier zu seinem Herrn, der sie mit eben dieser Linken sicher am Griff auffing. Und ehe der Alte einen Gegenzauber formulieren konnte, ja ehe er überhaupt Luft holen konnte, warf der Soldat mit voller Kraft die Waffe gegen den alten Mann. Ein roter Rubin blendete mich, als ein Lichtstrahl für einen kurzen Moment auf den Dolch traf, dann hörte ich den dumpfen Aufschlag, als die Klinge ihr Ziel traf. Der Mann torkelte zurück und fiel dann tot zu Boden, der reich verzierte Griff ragte aus seiner rechten Seite. Ein leichter Schauer rieselte über meinen Rücken. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass der Soldat des Königs - eigentlich ein ehrenhafter, respektierter und beherrschter Mann - solch eine sinnlose Gräueltat verübt hatte.
»NEIIINNN! «, schrie Raco. Sein Zorn über den Tod seines Meisters schien zu explodieren und diese Explosion riss ein Loch genau vor uns in den alten Bretterfußboden. Schneller als ein normaler Mensch, ja sogar schneller als ich selbst, rief er seinen Bogen zu sich, richtete ihn auf den Mörder und schoss drei Pfeile ab. Schon sanken zwei Körper links und rechts von dem Mörder zu Boden. Doch er selbst hatte einen Schild bewirkt, So dass der Pfeil abgewehrt wurde, der seinen Tod bewirken sollte. Doch Raco hatte dies bemerkt und schrie »Perkus! «
Der feindliche Soldat wurde nach hinten und aus dem Eingang des alten Turmes geschleudert.
»Schnell! «, zischte Raco, während er ein Loch in die runde Wand sprengte. »Nimm Vila und folge mir! Unten steht mein Pferd bereit.«
Als ich mich umdrehte und in Vilas sorgloses, schlafendes Gesicht sah, erstarrte mein ganzer Körper. Sie war einfach zu hübsch und ihr würziges Aroma stieg mir in die Nase. Nur mit Mühe konnte ich mich von den Fesseln losreißen. Ich packte sie vorsichtig unter den Kniegelenken und stützte mit dem anderen Arm ihren wunderschönen Kopf. Unten konnte ich den Drachenkrieger hören, der leicht schwankend in das zerstörte Haus trat, als hätte er zu viel getrunken.
»Ich kann euch hören! «, rief er leicht säuselnd zu uns herauf. ›Ich
kann dich noch viel deutlicher hören, du alter Stinkstiefel! ‹, dachte ich bei mir und trat mit Vila sicher durch das Loch, auf das hölzerne, leicht schräge Dach der Stallungen. Deren Dach befand sich glücklicherweise genau am runden Gemäuer des Turmes, so dass ich nicht springen musste um hinaufzukommen. Mittlerweile hatte sich alles um uns herum ins Dunkel gehüllt. Nur die Sichel strahlte genug Licht aus, um alles um uns herum erkennen zu können. Vor mir sah ich die Kehrseite von Raco, der gerade in die Knie ging und geschmeidig vom Dach sprang.
»Ich komme! «, hörte ich es von drinnen her rufen. ›Ja, ja, nerv mich
jetzt nicht!‹
»Gib mir Vila! «, sagte Raco, drehte sich zu mir um und hob die Arme. Ich kniete mich hin und ließ Vila sanft in seine Arme gleiten. Als Raco das Mädchen sicher aufgefangen hatte, ging er mit ihr zu seinem Pferd, einem edlen, schwarzen Hengst (also für mich ein leckerer Abendschmaus). Ich sprang leichtfüßig vom Dach und sah dabei zu, wie Raco die schlaffe Gestalt auf seinem Pferd positionierte, welches in meiner Gegenwart jedoch wieherte und mit den Hufen scharrte. Raco klopfte dem Hengst beruhigend auf den Hals.
»Ruhig, mein Freund, ruhig. Was ist denn los? Hm? «
Doch ich wusste, was los war. Scheinbar konnte das Pferd riechen, dass ich keinen menschlichen Geruch an mir hatte, sondern nach etwas ganz anderem roch. Nach Drache!
»Ich sehe euch! «, rief der feindliche Soldat, während er aus dem Fenster lugte.
»Beeilung! «, rief ich. Schon sprang Raco auf den Sattel, zur Flucht bereit. Doch ich wusste bereits, dass eine gemeinsame Flucht sinnlos wäre. Der Fremde würde uns folgen und Vila konnte eine stundenlange Hetzjagd überhaupt nicht gebrauchen.
»Ich werde hier bleiben und ihn aufhalten! «, sagte ich.
»Tu, was du tun musst! Aber glaube ja nicht, dass ich den Helden spielen werde und zurückkomme, nur um dich zu retten! «
»Ich pass schon auf mich auf ! «, entgegnete ich feindselig und gab dem Ross einen gewaltigen Klaps auf den breiten Hintern, so dass es erschrocken los galoppierte. ›Na dann kann der Spaß ja beginnen! ‹, dachte ich und drehte mich um. Wumm. Von einem heftigen Schlag getroffen, machte mein Körper einen Salto und schlug dann mit voller Wucht auf den Boden auf. Mir schwirrte der Kopf. Ein normaler Mensch hätte bei solch einem harten Schlag sicherlich einen Schädelbruch erlitten und wäre an dessen Folgen gestorben. Aber ich hatte nicht viel von dem Schlag abbekommen, nur einige Kratzer, und mir schwirrte ein wenig der Kopf. Ich richtete mich auf und schaute in die Richtung, wo ich gerade eben noch war. Dort standen jetzt drei Männer. Einer von ihnen hatte eine dicke Zaunlatte in der Hand und in der Mitte stand der Magier, der den Alten getötet hatte. Scheinbar ging es ihm wieder besser, denn er stand wieder sicher auf dem Boden ohne zu schwanken. Und er hatte eine kleine Verstärkung gerufen.
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