»Ich werde sie nach oben bringen, Meister! «, sagte Raco, hob die schlaffe Gestalt vom Tisch und trug sie vorsichtig eine schmale Wendeltreppe hinauf.
»Und nun zu unserem Gast. «, sagte der Alte und wandte sein Gesicht, welches immer noch im Schatten seiner Kapuze lag, zu mir. Ich erschrak, denn ich dachte, ich hätte mich im Schatten des Bücherregals gut genug versteckt, um zumindest nicht von den Augen eines Älteren erkannt zu werden. Nun gut. Vielleicht hatte mich der Alte ja gehört, als ich diesen Turm betreten hatte. Ertappt trat ich einen Schritt vor aus dem Schatten.
»Ich spüre eine große Macht, die dich umgibt. «, hörte ich die raue Stimme des Alten unter der Kapuze hervor. Ich sagte nichts.
»Dein Schicksal ist wie kein anderes. «
Wieder sagte ich nichts.
»Du wirst viele Krieger vereinen und in eine große Schlacht ziehen!«
Vielleicht.
»Und du bist nicht der, für den du dich ausgibst, nicht wahr, Drache?«
Meinen ganzen Körper durchfuhr ein Schreck, wie ich ihn seit langer Zeit nicht mehr verspürt hatte. Woher zur Drachenschwinge wusste er, dass ich verwandelt worden war? Sofort wechselte ich in eine Kampfposition, um einem schnellen Angriff des Alten auszuweichen. Mit Händen, die ich zu Klauen verkrampft hielt, und gebleckten Zähnen blickte ich zu dem alten, dünnen Manne vor mir. Doch dieser schien überhaupt nicht an einen Angriff zu denken. Er saß weiterhin auf seinem Stuhl und blickte mich an. Jedenfalls schien es so. Denn ich konnte immer noch nicht sein Gesicht erkennen.
»Du brauchst dich vor einem so alten Magier, wie ich es bin, nicht zu fürchten! «, sagte er weiterhin gelassen, hob seine knochigen Hände und zog die Kapuze herunter. Das erste in seinem Gesicht, das mein Blick fixierte, waren seine Augen, die vollkommen weiß waren. Der alte Magier war blind. Sofort wurde mir klar, dass dieser Mann harmloser und gefährlicher war, als es vorher den Anschein gehabt hatte. Harmloser, weil er blind und somit in einem Kampf sicherlich leicht zu besiegen war. Gefährlicher, da er ganz offenbar seine Magie gebrauchte, um alles in diesem Raum und vielleicht sogar darüber hinaus auf eine ganz andere Art sehen zu können. Und die Gabe des Sehens ohne die Kraft der Augen zu benutzen war eine seltene, höchst magische Kunst, die nur wenige, sehr wenige Magier-Meister beherrschten. So jedenfalls die Geschichten der Drachen.
»Woher wisst ihr von meiner Verwandlung? «, fragte ich ohne meinen Körper zu entspannen.
»Meine Gabe reicht aus, um die Kraft, die dich umgibt, zu erkennen. Dennoch frage ich mich, wie du in diesen Körper gelangt bist. «
»Ich weiß es selber nicht! «, antwortete ich, wenn auch ein wenig bissig.
»Vielleicht hattest du die Begegnung mit einem sehr mächtigen
Gegenstand ? «, mutmaßte der Alte und tatsächlich erinnerte ich mich plötzlich an den kleinen Stein des Magiers, der mich auf den Drachenbergen töten wollte. War dies der magische Gegenstand gewesen, der meinen Körper verwandelt hatte? Aber nein! Wie konnte denn solch ein kleiner Gegenstand die rohe Magie eines Drachens
Beeinflussen?
»Aber du bist keinesfalls ein Gefangener deines Körpers! Bist du ruhig und gelassen, kannst du den Menschenkörper nicht verlassen. Aber bist du konzentriert oder aufgebracht, gibt das Feuer neue Drachenkraft.«, zitierte der Alte und setzte sich wieder leicht stöhnend auf seinen Stuhl.
»Alles in Ordnung, Meister? «, fragte Raco, der plötzlich aus dem Schatten nahe der Treppe trat und sich besorgt über den Alten beugte. Mir stockte der Atem. Wie lange stand er bereits dort und vor allem, wie viel hatte er mitgehört? Ach, verflogen noch mal! Hätte ich meine Drachenkräfte, dann hätte ich den Lauscher sicherlich gerochen oder gehört. Aber so! Ich blickte ihn an und nach kurzer Zeit warf er einen Blick zu mir zurück. Und da wusste ich es! Es stand ganz deutlich in seinem Blick geschrieben: Er wusste es! Doch schien er nicht sonderlich über meine wahre Identität verwundert, sondern nahm diese Information eher als Hinweis auf.
»Geh bitte und bring unseren Gast hinauf! «, befahl der alte Magier.
»Warum soll ich ...?«
»Tue, was ich dir aufgetragen habe! «, fuhr der Alte Raco plötzlich scharf an. Selbst ich erschrak, da ich diese ungewohnte Schärfe nicht von diesem Manne erwartet hätte. Raco ging um den Alten herum, auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich säuerlich schnaufend zur Treppe. Ich ließ es ausnahmsweise zu.
»Geh da hinauf ! «, wies er tonlos an, während er auf der Treppenstufe verharrte. Wieder gehorchte ich, schließlich befand ich mich im wahrsten Sinne in einer Schlangengrube. Und in meinem gebrechlichen Zustand durch eine Sinnlosigkeit einen Kampf zu beginnen, wäre die Tat eines Wahnsinnigen. Außerdem wollte ich in Vilas Nähe bleiben. Während ich die ersten Stufen der schmalen Treppe erklomm, wobei ich mich leider ein wenig ungeschickt anstellte und immer wieder gegen die Kannte der nächst höheren Stufe stieß, da ich ja zum ersten Male mit meinem neuen, ungewohnten Körper eine Treppe hinaufstieg, stellte ich meine Lauscher auf. Schließlich konnte ja noch das eine oder andere wichtige Wort folgen, welches ich nicht verpassen sollte. Und tatsächlich hörte ich sogleich den Alten etwas leiser zu Raco sagen:
»Versprich mir, ... Nein! Schwöre mir, dass du im oberen Gemach verbleibst, ganz gleich was geschieht! «
»Aber Meister? «
»SCHWÖRE! «
»Ich schwöre es bei meiner Magie! «, hörte ich Raco leicht genervt sagen.
»Und nun geh hinauf, Raco! «
Ich nahm meine Umgebung kaum wahr, als ich ins obere Schlafgemach gelang. Weder die zwei Strohbetten, noch die zwei Kleidertruhen sowie die an die runde Wand angepassten Bücherregale nahm ich wahr. Selbst als ich mich auf das Bett setzte, in dem Vila schlief, galten meine Gedanken nicht ihr. Ein sehr eigentümliches Gefühl hatte von mir Besitz ergriffen, denn der Alte hatte soeben den Namen seines Schülers mit einem besonderen Beiklang ausgesprochen, mit großer Sorge und vor allem mit Liebe. Etwas schien hier nicht so ganz recht zusammenzupassen. Erst spricht der Alte mit weisen Worten, dann schreit er seinen Schüler an, und ehe man sich versieht liegt in seiner Stimme so etwas wie Besorgnis. Leichte Furcht ergriff mich in Bezug auf den alten Magier: Denn entweder war er vollkommen durcheinander und behandelte jeden Dahergelaufenen gerade so wie es ihm gefiel oder er wusste etwas, das seinem Schüler Raco und mir entging. Und ich war schuppenfest davon überzeugt, dass der Alte weder verrückt noch durcheinander noch sonst was war. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Raco mit griesgrämigen Gesicht seinen Bogen an sein Bett lehnte. Es entstand eine sehr peinliche Pause, während wir schweigsam in entgegengesetzte Richtungen schauten. Es passte einfach nicht, mitten in der Aufregung zwei von Grund auf verschiedene Wesen in einen kleinen Raum zu sperren. Um einem Gespräch zu entkommen, ging ich rasch zu dem Bett, setzte mich auf die Kante und strich Vila die Haare aus ihrem hübschen Gesicht. Sie sah noch schöner aus, als ich sie mir vorstellen konnte. So friedlich. Während ich die Schönheit leise lächelnd anschaute, wurde es still. Es wurde sogar so still, dass ich mein Blut in den Ohren rauschen hören konnte. Und urplötzlich hörte ich noch etwas Anderes. Neben dem Rauschen konnte ich so etwas wie entfernte Pferdehufe hören, die immer näher und näher kamen. Ich wirbelte herum und blickte Raco direkt in die Augen. Er schaute mich kurz verdutzt an, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck klarer und ich wusste, dass er das Gleiche hörte wie ich. Beinahe gleichzeitig ließen wir uns auf den Boden fallen, um durch die schmalen Ritze der Bodendielen zu linsen. Schon hielten die Pferde deutlich hörbar vor dem Turm und drei Reiter mit sicherlich verdammt viel Rüstung ließen sich von den Rücken ihrer getreuen Tiere auf den steinigen Boden fallen. Das Scheppern war so laut, dass es sicherlich auch ein hochgradig Schwerhöriger vernehmen konnte. Dann folgten Schritte, die sich der Turmtür nährten. Ich wartete auf ein lautes Klopfen an dem dicken Holz. Doch darauf konnte ich lange warten, denn diese Fremdlinge hielten Anklopfen scheinbar für Zeitverschwendung und traten die Türe einfach auf. Das schwere Holz schlug durch die Wucht laut krachend auf den Boden und ließ die Schalen und Bücher in den Regalen erzittern. Herein traten drei Soldaten, die allesamt das Symbol des Königs auf der dicken Rüstung trugen. Drachentöter! Sofort vergiftete roher Zorn meinen Verstand, aber ich zwang mich ruhig liegen zu bleiben und abzuwarten.
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