1 ...8 9 10 12 13 14 ...25 »Du bist ja ein komischer Vogel, das muss man schon sagen.«
Verdutzt schaute ich auf. Hatte mich dieser Fremdling eben gerade angesprochen? Richtig angesprochen? Ja! scheinbar hatte er das. Und nicht wie sonst, in einem wütenden Tonfall, wie die Zweibeiner sonst immer mit mir sprachen, kurz bevor sie auf mich losgingen, sondern in einem eigenartigen, hüpfenden Tonfall. Dieser Mann dort vor mir verhielt sich eindeutig belustigt über mein Verhalten. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Überrascht von seiner lustigen Sprechweise, die ich so überhaupt nicht gewohnt war, betrachtete ich ihn, mein Leib weiterhin an die kalte Wand gepresst. Er legte seinen langen Bogen, den Köcher und auch sein mittellanges Schwert zu Boden. Dann kniete er sich vor dem Feuer hin, ohne meinem Körper weitere Blicke zu schenken und begann die Kaninchen auszunehmen, während er weitersprach.
»Ich meine, die Drachenberge sind wohl ein gefährlicher Ort für solch einen Halbausgewachsenen, wie du es einer bist. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich früher gefunden habe als die Drachen!«
Er warf mir einen raschen Seitenblick zu.
»Du brauchst keine Furcht vor mir zu haben. Ich werde dich schon nicht beißen!« Seine dunklen Augen drangen so tief in die meinen ein, dass ich seine warmen Worte nicht als Lüge aufgreifen konnte. Aber erst als er seinen Blick wieder dem halbausgenommenen Hasen zuwandte, konnte sich mein menschlicher Körper wieder etwas entspannen. Ich wich kaum merklich von dem kalten Gemäuer zurück. Dann versuchte ich mit meinem Mund zum ersten Mal Worte zu bilden. Ich kannte die menschliche Sprache durch meine ständigen Beobachtungen an der Todesschlucht nur zu gut und scheute mich daher nicht, sie selber einmal zu formulieren und auszusprechen.
»Wer… bist… du?«
Die Wörter kamen nur langsam aus meinem Mund, aber wenigstens stotterte ich nicht und machte mich somit auch nicht lächerlich.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen!«, antwortete mein Gegenüber und warf mir ein leicht spöttisches Grinsen zu. Sofort war mir klar, dass er auf meinen unbekleideten Körper anspielte. Und auch das konnte ich ihm nicht übel nehmen. Aber ich würde ihm meine Geschichte nicht erzählen, nicht erklären, warum ich unbekleidet durch die Berge streifte. Jedenfalls jetzt noch nicht! Da meine Lebensgeschichte den Mann hinter dem Feuer sicherlich nur verunsichern und letzten Endes nur gegen mich aufbringen würde, schwieg ich. Glücklicherweise fragte der Fremde mich auch nicht weiter aus, sondern konzentrierte sich weiter darauf, die Hasen als leckeres und bekömmliches Mahl zuzubereiten.Es war so, als wenn wir genau in diesem Augenblick und ohne auch nur ein einziges Wort miteinander auszutauschen, ein gemeinsames Abkommen geschlossen hätten, welches jede Frage über unsere Vergangenheit verwehrte. Wir schwiegen eine Weile, und während er weiter die beiden Hasen zubereitete, fiel jegliche Anspannung von mir ab. Ich setzte mich zurück auf das weiche Bett aus Moos und schaute dem Fremden bei seiner Arbeit zu. Nachdem er ihnen das Fell über die Ohren gezogen und sämtliche Organe entfernt hatte, griff er zu einem der vielen Stoffsäckchen, die er an der rechten Seite seines Gürtels trug. In ihnen befanden sich verschiedene Gewürze, er nahm sie heraus und rieb das frische Fleisch damit ab. Zum Schluss steckte er die Hasen auf zwei Holzstäbe und platzierte sie geschickt auf gegabelte Äste, so dass sie mit ausreichendem Platz über dem Feuer hingen und schön durchgaren konnten. Nach getaner Arbeit hätte man meinen können, er würde sich entspannt zurücklehnen und auf das Abendessen warten, doch dies tat er nicht. Er stand auf, ging zu seiner Stofftasche, die an einer verfallenen Wand nahe dem Eingang lehnte und begann darin herumzuwühlen.
»Da … fang!«, rief er. Reflexartig griff ich nach einem Stoffknäuel, welches auf mich zuflog.
»Ziehe dir das über!«, sagte er rasch. Obwohl ich nichts gegen die Nacktheit hatte, tat ich wie mir geheißen wurde. Schließlich war es bei den Menschen normal, sich in komisch aussehende Stoffe zu kleiden. Und um nicht sonderlich aufzufallen, sollte ich mich dieser komischen Art wenigstens ein bisschen anpassen. Also zog ich mir die Stoffe über die nackte Haut, wobei ich mich immer wieder an der Kleidungsweise des Fremden mir gegenüber orientierte, um keine peinlichen Fehler zu machen. Nachdem ich mich nach einiger Zeit und mit etlichen Berichtigungen des Mannes am Feuer angekleidet hatte, setzte ich mich wieder auf meine weiche Schlafstelle aus grünem Moos. Zuerst schwiegen wir , während ich in das prasselnde Feuer starrte und mich zu orientieren versuchte. Erst nach einer Weile hatte ich meinen neuen Körper soweit akzeptiert, dass ich ihm Fragen stellen konnte:
»Wo hast du mich gefunden?«, kam es langsam aus meinem Mund – meine Lippen gehorchten mir noch nicht so richtig.
»Ich befand mich gerade an einer sehr gefährlichen Stelle, um gewisse, magische Pflanzen zu suchen. Und auf einer Hochebene habe ich dich dann gefunden. Du hattest Glück, dass dich nicht die Drachen gefunden haben! Denn solch eine halbe Portion, wie du es bist, fressen sie glatt als Vorspeise für ihr Morgenmahl«, scherzte er. Doch mir war nicht zum Scherzen zu Mute, denn anscheinend wusste dieser Mann, wo wir unseren Hort – mein Zuhause – hatten. Auch machte ich mir Sorgen um seine Wortwahl, denn normale Menschen sprachen nicht von magischen Pflanzen. Dies taten in der Regel nur einige friedliebenden Völker, wie die Neutralen (über die ich natürlich vielerlei Geschichten vom Drachenältesten gehört hatte) und die Magier! Eine für uns Drachen besondere gefährliche Gruppe von Menschen, die gnadenloser, brutaler und mächtiger waren als die anderen Zweibeiner. Ein Zusammentreffen zwischen beiden – Drache gegen Magier – ging etwas öfter gut aus für den Magier. Und nun saß mir einer von diesen schrecklichen und gefährlichen Wesen direkt gegenüber und … und lächelte mich freundlich an. Plötzlich war ich wie verwirrt. Waren die Menschen und Magier vielleicht gar nicht so bösartig, wie vom Drachenältesten beschrieben? Aber um nicht durch mein langes Zögern aufzufallen, fragte ich weiter und versuchte ihn von dem Thema Magier und Drache so weit wie nur möglich abzubringen.
»Und ... das?«, fragte ich und deutete mit meinen Blick auf die vermoderten Überreste dieses Hauses, welches ich nur einmal aus weiter, weiter Entfernung gesehen hatte. Hierher geflogen war ich noch nie, da es ziemlich südlich lag, nahe an einem der zwei Berge, welche die kleine Ortschaft umgaben.
»Diese altehrwürdigen Mauern bildeten vor langer Zeit das kleine Häuschen meines Meisters, der hier lebte und die Magie studierte. Doch nach einem unglücklichen Konflikt der Drachen und der Menschen kamen die Drachen hierher und zerstörten das Gebäude. Seitdem lebt der Meister in einem Turm nahe Drachenbrück«.
›Klasse Ablenkungsmanöver!‹, tadelte ich mich. In dieser Erklärung waren mehr feindliche Worte als in seiner letzten. Aber zum Glück schien ihn allein mein Aussehen von den Gedanken fernzuhalten, dass ich vielleicht ein Drache sein könnte oder es war. Er stürzte sich jedenfalls nicht wie ein hungriger Wolf auf mich, um mich zu fressen, dafür hatte er ja auch seine Hasen Also sollte ich ihn auch erst einmal nicht angreifen, sondern vielleicht die Gelegenheit nutzen und den seltsam ruhigen Magier aus der Nähe studieren. Vielleicht entsprachen die gruseligen Geschichten des Ältesten doch nicht ganz der Wahrheit. Niemals, auch wirklich niemals würde ich von irgendjemand, besonders nicht von einem Menschen, Nahrung annehmen! Aber nachdem ich in diesen furchtbaren engen und unbequemen Körper gepresst worden war und mein Magen bei dem Anblick des saftigen Hasenbratens laut rumorte, konnte ich dem Angebot des Fremden doch nicht widerstehen. Und somit stellten wir alle weiteren Diskussionen erst einmal ein und widmeten uns dem frischen Fleisch. Eine so kleine Ration hätte ich eigentlich in einem Biss heruntergeschlungen. Doch dieser kleine menschliche Mund schien dafür nicht geschaffen zu sein, im Akkord Nahrung aufzunehmen. Deshalb richtete ich meine Essgewohnheit ganz nach dem Vorbild des Fremden und begann den Hasen Stück für Stück zu essen. Das teils knusprige Fleisch schmeckte hervorragend. Die verschiedenen Gewürze unterstrichen den typischen Geschmack des Hasen. Durch das Braten über dem offenen Feuer zerfiel das Fleisch zart und saftig auf der Zunge. Ich konnte nicht anders, als meine üblichen Fressmethoden, Maul auf und rein, über die Schulter zu werfen und den Festschmaus zu genießen. Warum waren wir Drachen nicht darauf gekommen, unsere Beute mittels Feuer zu garen, bevor wir uns deren Fleisch zuwandten. Wir waren doch die Spezialisten, wenn es ums Feuer ging! Normalerweise schliefen Drachen, nachdem sie etwas zu sich genommen hatten oder machten zumindest eine kleine Verschnaufpause. Das gute Fleisch sollte ja schließlich genügend Zeit haben sich zu legen, und ein kleines Nickerchen schadete sowieso nie! Aber dieser komische Zweibeiner zog es doch gerade nach der deftigen Speise vor, sich auf den Rückweg zu machen, wobei er sich um mich wenig Gedanken machte. Ich folgte ihm aber schweren Herzens und mit genauso schweren Schritten. Schließlich konnte ich nicht mit meinem jetzigen Erscheinungsbild zurück in meine Heimat. Die Drachen – meine eigene Familie – würden mich ohne Zögern zerreißen. Also stolperte ich nun mit schwerfälligem Schritt dem Menschen hinterher, immer in Richtung Norden, in Richtung der Todesschlucht. Mich wunderte es, dass er nach dieser für einen Menschen doch großen Mahlzeit, wie ich nun am eigenen Leib spürte, so locker den felsigen Bergweg entlanggehen konnte. Scheinbar waren es die Menschen überhaupt nicht gewohnt, sich nach einem guten Mahl auszuruhen. Dieser zumindest nicht! Doch es sollte nicht lange dauern und ich würde bald wieder fast der Alte sein. Es war schon beschwerlich genug, eine lange Reise zu bewältigen. Aber noch schwerer schien es mir, mit einem vollen Magen durch die felsigen Landschaften zu streifen und dabei einen Körper zu steuern, der mir erst seit wenigen Stunden gehörte. Dennoch kam ich nicht umhin, die seltsame Schlucht, in die wir uns gerade begaben, zu begutachten. Der Pfad verlor deutlich an Höhe und war auch nur noch drei Schritt breit, während an unser Linken und Rechten Felsen steil in die Höhe ragten, die etwa die Höhe von drei übereinander stehenden Männern besaßen. Mit einiger Mühe hätte ich diese Abhänge sicherlich empor klettern können, aber das brauchte ich nicht, da nur etwa zehn Schritte weiter die erhobenen Steilkanten sich wieder gen Erdboden senkten und schließlich mit ihm verschmolzen. Die langsam untergehende Sonne konnte ich nun nicht mehr sehen, da sie hinter dem dunkler werdenden Spalt, hinter den Drachenbergen versank. Alles schien ruhig. Doch irgendetwas beunruhigte mich und ich fühlte mich gezwungen, mich noch genauer umzusehen. Irgendwie fühlte ich mich von unzähligen Augen beobachtet, beinahe nackt, was mich sonst nicht sonderlich gestört hatte. Doch ich erkannte nur kalten Stein, überall wo ich hinsah, am Boden vor uns und an den steilen Hängen an unseren beiden Seiten. Trotzdem! Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Und es waren nicht die vereinzelten Stimmen verschiedener Vögel, die sich hartnäckig an das raue Bergleben angepasst hatten. Als wir uns ungefähr in der Mitte der Senke befanden, trat eine große und sehr breite Schattengestalt an den Ausgang und versperrte uns somit den Weg. Mein Begleiter blieb augenblicklich stehen und ich tat es ihm gleich.
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