„Er hat recht“, stimmte nun auch Keigo motiviert zu. „Wir kriegen das irgendwie geregelt und so viele Umstände macht das nun wirklich nicht. Du kannst mir ruhig glauben.“
Er zwinkerte ihr lächelnd zu.
„Ich weiß nicht genau“, lenkte Vanny zögernd ein. Bevor sie eine Begründung dazu abgeben konnte, vibrierte ihr Handy abermals.
„Mehr als anbieten können wir nicht. Aufzwingen tut dir hier niemand etwas“, gab Enjoji mürrisch zurück und schlenderte von der Gruppe weg zu seinem kleinen Bruder, um diesen mit seinen beiden Spielkameraden zu ärgern. Nina und Keigo grübelten weiter über das Problem nach, während Vanny ihr Handy hervorkramte, um die Antwort ihrer Freundin Katrin anzuschauen. Ihr verschlug es schier den Atem und sie musste sich erst einmal setzen und die Nachricht nochmals durchlesen, um die wenigen Zeilen zu begreifen.
Machst du Witze? Was soll der Mist?! Deine Eltern sind doch seit ein paar Tagen wieder daheim!
Was sollte das alles? Konnte das möglich sein? Irrte sich Katrin etwa oder logen ihre Eltern sie tatsächlich so dreist an? Wieso sollten sie das aber tun? Vanny fühlte sich mehr denn je wie in einem Albtraum.
*
Die anderen hatten sich ebenso keinen Reim auf die Kurznachricht machen können und vorgeschlagen, dass sie doch ihre Freundin anrufen sollte, um eventuelle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Vanny jedoch wollte erst einmal einen klaren Kopf haben, über alles gründlich nachdenken und sich wieder beruhigen. Deshalb war sie auch nicht mehr lange bei der Gruppe geblieben und mit dem geliehenen Fahrrad zurück zu ihrem Onkel geradelt. Ihr war im Moment einfach alles zu viel. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie Angst davor, Katrin anzurufen. Sie fürchtete sich vor dem, was dabei herauskommen könnte. Nachdem sie noch ein paar Hausarbeiten flüchtig erledigt hatte, machte sie sich an das Abendessen. Sie hatte sich für eine frische Gemüsesuppe entschieden, da sie wusste, dass sie für kompliziertere Gerichte momentan ganz und gar keinen Kopf hatte. Dennoch wollte ihr die einfache Suppe nicht so leicht gelingen. Innerlich verfluchte sie sich jetzt dafür, dass sie Katrin nicht sofort angerufen hatte, so hätte sie wenigstens Klarheit gehabt, doch wollte sie die Wahrheit überhaupt wissen, wo alles so durcheinander war? Konnte es tatsächlich sein, dass ihr Vater und ihre Mutter schon wieder von der wichtigen Geschäftsreise zurück waren? Hatte überhaupt so eine Geschäftsreise stattgefunden? Was für Gründe könnten ihre Eltern haben, sie fortzuschicken und anzulügen? Was hatte sie getan, dass man ihr nicht einmal die Wahrheit sagte, geschweige denn vernünftig mit ihr redete? Vannys dünne Finger verkrampften sich schmerzhaft ineinander. Sie ertrug diese Situation einfach nicht mehr. Wenn das so weiterging, würde sie noch verrückt werden, sie
musste …
„Ach verdammt!“
Eilig hievte sie den Kochtopf mit der überkochenden Brühe vom Herd, doch es war schon zu spät. Sie beseitigte das Chaos, bevor Ernst sich blicken ließ, schnappte sich ihre Jacke und verließ wieder einmal fluchtartig das Haus, welches sie neben ihren schwer lastenden Gedanken zusätzlich zu erdrücken schien. Sollte er doch diesen Abend alleine essen! Vanny brauchte jetzt dringend frische Luft, Freiraum und vor allen Dingen wollte sie alleine sein. Das Ganze wurde mit jedem Tag verrückter! So etwas passierte doch nur in Filmen! Was für ein Spiel wurde hier gespielt? Warum fand sie nicht endlich eine vernünftige Erklärung für alle offenen Fragen? Wieso musste Mandy damals vor das Auto laufen, als sie gerade mal nicht aufgepasst hatte, und sterben? Weshalb wollte oder konnte ihr ihre Mutter nicht verzeihen? Dabei hatte sie doch ihre Schuld eingestanden, von ihren Schuldgefühlen berichtet und etliche Male versucht, es wieder gut zu machen. Allerdings hatte sich das Verhältnis schon vorher verschlechtert, aber aus welchen Gründen? Weshalb hielten ihre Eltern sie so auf Distanz? Mit ihrem Vater hatte sie irgendwie noch nie ein enges Verhältnis gehabt, doch mit ihrer Mutter war das ganz anders gewesen. Vanny hatte in ihrer Kindheit nie gedacht, dass ihre Beziehung einmal dermaßen zerrüttet sein würde, und vor allem, dass sie so darunter leiden würde. Mit den Jahren hatte sie versucht, sich damit abzufinden, und gedacht, dass sie irgendwie damit klarkäme, aber dass ihre Eltern so weit gehen würden, sie in den Ferien abzuschieben … Wie sollte sie ihnen gegenübertreten, wenn sie sie wiedersah? Sollte sie nochmals versuchen, ihre Eltern anzurufen, oder es lieber bleiben lassen? Wie oft hatte sie schon beschlossen, nichts mehr in diese Richtung zu unternehmen? Aber irgendwie wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben und probierte es weiterhin, gab sich Mühe, nur um am Ende etliche Male niedergeschmettert zurückzubleiben. Am liebsten würde sie sich in einem Loch vergraben, schlafen, träumen und alles vergessen.
„Huhu!“
Erschrocken fuhr Vanny zusammen und sah sich um, doch sie konnte niemanden entdecken. Überhaupt konnte sie nichts Bekanntes erkennen. Sie hatte sich verirrt. Anscheinend war sie weiter gelaufen, als sie gedacht hatte.
„Verdammt noch mal!“
Sie fluchte wütend vor sich hin und beschloss, einfach umzukehren, als sie ein halb zerfallenes Gebäude aus den Augenwinkeln wahrnahm. Neugierig bewegte sich Vanny darauf zu. Leider konnte sie nicht viel in der Dämmerung erkennen, doch trotz des unheimlichen Flairs hatte diese Ruine etwas Anziehendes an sich. Es wirkte fast so, als wollte sie ihr etwas von großer Wichtigkeit erzählen und sie rufen. Ein leichter Schauer durchfuhr ihren schlanken Körper und sie fröstelte. Wärmend rieb sie die Hände aneinander und sah sich um, während sie auf das alte Gemäuer zuging. Da entdeckte sie ein Schild an der Stelle, wo einmal der Eingang gewesen sein musste. Etwas widerstrebend schritt sie darauf zu, denn mutig war sie noch nie gewesen, das überließ sie eigentlich immer erfolgreich den anderen. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, um die schlecht lesbare und halb verwitterte Aufschrift entziffern zu können. Es dauerte eine Weile, bis sie es endlich schaffte: Irrenanstalt. Das war eindeutig zu viel für Vanny. Gruselige Fantasien schossen ihr durch den Kopf und sie musste schlucken. Als sie es im Gebüsch neben sich knacken hörte, ging sie nicht zurück zum Haus ihres Onkels zurück - sie rannte.
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