Iggy Pop
„Avenue B” (1999)
Als er am Ende war, beschloss Iggy, endlich eine Balance zu finden „between joy and dignity“. Das verrät er in einem kurzen Monolog zu schweren Streichern am Anfang eines streckenweise melancholischen und manchmal gar entspannten Albums. Schließlich altert auch ein Punk; irgendwann verheilen die Wunden durch Rasierklingen nicht mehr so schnell wie früher, und man muss sich überlegen, sie nur noch zum Rasieren zu benutzen und nicht mehr für effekthascherische Blutorgien auf der Bühne. Mit nasaler Stimme singt der 52-Jährige von diesem Reifeprozess, von seinen Gefühlen, seiner Einsamkeit und seiner Angst vor Nähe. Eine Hälfte lang ein Singer/Songwriter-Album, unblutig und intim. Am Ende versucht Iggy dann, druckvoller, schräger zu werden, dann fällt das Album ab.
Jacques Loussier Trio
„Ravel: Bolero” (1999)
Erstmals in den vier Dekaden seiner Klassikverjazzung hat Loussier sich vergriffen. Die spiralige Strenge des „Bolero“, die Unausweichlichkeit des Ziels versucht er in bewährter Manier mit den Mitteln des Jazztrios aufzulösen, doch der sperrt sich. Den „Bolero“ drängt es zur Erlösung, nicht zur Tändelei, und dabei geht ihm die fiebernde Erregung verloren – also das, was ihn so einmalig macht. Loussiers eigene Komposition „Nymphéas“, die das Album auf Länge bringt und eine Hommage ist an Monet, glänzt dagegen mit einem impressionistisch warmen Ton, der sich wunderbar vereint mit den traumwandlerisch hingetupften Klangfarben des Trios.
James Brown
„I’m back” (1999)
Alles da. Das kurze, trockene Funkklampfenstakkato, James Browns vokale Ekstase, herzhafte Bläserfürze, hinten der Hupfdohlenchor, neuerdings sogar dosiertes Scratching, Sampling und Remixe. Nun, wir wissen ja: Im Knast lernt man am meisten, und der Godfather des Soul hat dort genug Zeit verbracht, um gerüstet zu sein fürs moderne Leben draußen, wo seine Enkel irgendwann anfingen, rumzuturnen in Dr.-Martens-Sneakers und all das, was Brown seit 1956 sang, schrie und stöhnte, zu geheimnisvollen Ghettogesten zu rappen. Der Meister also war gelehrig, und doch reißt uns seine Rückkehr ganz und gar nicht vom Barhocker. Denn das kurze, trockene Funkklampfenstakkato haben die Dr.-Martens-Kids schon zu oft gesampelt, als das man es nicht augenblicks als Selbstzitat identifizierte, und die Ekstase des Soulpaten, die er – dramaturgisch unklug – schon im ersten Song „Can’t stand it“ aus- und dann nie mehr wegpackt, wirkt oft wie gemimt – als hätte Brown sich seine alten Alben angehört, „Ah, so“ gemurmelt und im Studio die Mimese geübt. Brandheißer Funkfood, klar; gekocht aber nicht auf dem Herd, sondern in der Mikrowelle.
Jan Erik Kongshaug
„The other World” (1999)
Schluss mit dem Klischee, die Musik würde dunkler, wo die Sonne seltener schiene! Kongshaug ist Norweger und trotzdem nicht trüb im Geist – auch wenn der hochgerühmte Tonmeister, der allein für ECM 200 Alben aufnahm, gern Balladen komponiert. Hellwach genug ist er zudem, für sein Debüt als lyrischer Gitarrist jungen Osloer Nachwuchs herbeizubitten (Svein Olav Herstad, Piano; Harald Johnsen, Bass; Per Oddvar Johansen, Drums), um seinen Stoff als feingliedrigen Bebop zu intonieren. So klingt es, selbst wenn Kongshaug Brubeck spielt, nach einer hellen Espressobar in Oslo, und die Strahlkraft des Songs („In your own sweet Way“) nimmt dabei eher noch zu. Ein Album, welches das Herz erfreut und das Hirn freipustet wie ein klarer Wintermorgen. Und da sind wir dann doch wieder in Norwegen.
Jim O’Rourke
„Eureka” (1999)
Viel Freund’, viel Ehr’? O’Rourke scheint sich im Geiste verbunden zu fühlen mit den besten der amerikanischen Popkomponisten der letzten 30 Jahre, vor allem mit Van Dyke Parks, Brian Wilson und Crosby, Stills & Nash – irgendwo spielt auch noch ein kammerorchestraler Costello mit rein, allerdings ohne dessen inbrünstigen Nichtgesang, der alles wieder rausreißt. Obgleich epigonal, gelingen O’Rourke ein halbes Album lang kleine epische Folkpopsinfonien, die viel wagen an Aufwand und Epik und sich gewiß verhöben, hätten sie keine so guten Melodien. Wie in der zweiten Hälfte, wo die Arrangements eine Substanz bebildern sollen, die immer mehr verschwindet. Der Versuch aber ist aller Ehren wert; das werden auch seine Freunde im Geiste zugeben.
John Carpenter
„John Carpenter’s Vampire” (1999)
Carpenter schrieb ja schon oft die Musik zu seinen Filmen höchstselbst und schuf dabei großartig naive Elektronika („Halloween“!). Seine Filme aber wurden zuletzt immer schlechter – vielleicht weil ihm die Musik immer wichtiger wurde. Für „Vampire“ komponierte der graugewordene Filmmaniac natürlich wieder alles selbst, aber er spielt auch noch Keyboards, Gitarre, Klavier und Bass. Und um die Band The Texas Toad Lickers (sic!) zu komplettieren, engagierte er die erste US-Studioliga, darunter Steve Cropper und Donald ,Duck’ Dunn. Herauskommt ein brillanter Soundtrack aus schwerblütigem Rootsrock und draculesker Sinfonik. Seit Chaplin hat kein Regisseur mehr sein Filmwerk so sehr akustisch geprägt wie John Carpenter. Chapeau!
John Lennon
„Wonsaponatime – Selections from Lennon Anthology” (1999)
Gegenüber der unlängst erschienen Viererbox mit Unveröffentlichtem bietet dieser Sampler mit 21 daraus destillierten Songs eine erhebliche Kostenersparnis. Viele Outtakes und Vorstufen haben ihren Reiz. Auf „Imagine“ sitzt Lennon so nah am Mikro, dass man ihn schniefen hört; und statt Spector’scher Streicherwucht hören wir ein wärmendes Harmonium. Demgegenüber ist „God“ noch ein echtes Frühchen, das es zu recht nicht auf Lennons meisterliches „Plastic Ono Band“-Album von 1970 schaffte: Den aufgezählten Antiglaubensbekenntnissen schließt sich im gleichen Duktus das Gegenteil an, so fehlt dem Demo (noch) der Spannungsbogen. Bei Lennon ist es halt häufig so wie auch bei den Beatles: Die beste Fassung schaffte es schließlich aufs Album. Und wer weiß: Vielleicht hätten es weniger Songs ins kollektive Gedächtnis geschafft, wäre der Studioehrgeiz der Liverpooler (und ihres Produzenten) kleiner gewesen.
John Mayall & The Bluesbreakers
„Padlock” (1999)
Seit Dekaden spielt der Brite einen Blues, dem das Klavier die Sporen gibt und Bläser die Peitsche. Er sah, wie die Alten dahingingen und seine Zöglinge (Jagger, Clapton, Page …) aufgingen im Rock. Mayall aber spielte weiter seinen Stil, auch als Anfang der 90er die Legende, der Blues sei ewig, kurz neue Nahrung erfuhr durch die verchromte Version eines Robert Cray. Wahr ist: Der Blues stirbt. Oder er verkocht im eigenen Saft zur ungenießbaren Melasse. Aber Mayall macht weiter. Mit dem gleichen Fieber, der gleichen leisen Hysterie in der Stimme wie anno 1963. Das rührt und macht melancholisch. Spätestens mit Mayall wird der Blues wirklich sterben.
Karamasov
„On Arrival” (1999)
Postrock macht natürlich vor Elektronik nicht halt. Das „Post“ im Postrock sagt ja, dass vor allem die Begrenzungen durch die Gitarre nicht mehr akzeptiert werden. Und die Variante von Karamasov, einer Ablegerband von Pyogenesis, nutzt die Elektronik subtil, aber gern, verzichtet allerdings auch nicht auf Verschlurftes zur Gitarre. Manchmal verdaddelt man sich, macht aber nix. Irgendwo ist immer ein Türlein, durch das man wieder zurückfindet zum einfachen, introvertierten Riff, das der Rest wieder aufgreifen kann auf seiner langsamen instrumentalen Reise ins Nirgendwo. Denn genau da will der Postrock hin. Auch der von Karamasov.
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