Chris Rea
„Road to Hell – Part II” (1999)
1989 räumte Chris Rea mit „Road to Hell“ mächtig ab. „Part II“ ist nicht nur thematisch (es geht wieder um Autos und ihre Bedeutung) ähnlich; Rea möchte natürlich den Erfolg wiederholen, auf zeitgemäße Weise. Also wird der Sound generalüberholt: Seiner Raspelstimme und unverkennbaren Slide gesellen sich Raps, Samples und pumpende Beatloops zur Seite. Doch meint man dem britischen Kuschelbären anzumerken, dass es Umgebungen gibt, in den er sich wohler fühlt. Nachdem er schon sein 98er-Album „The Blue Café“ mit Blick auf den Musikgeschmack seiner Töchter eingespielt hatte, dürfte die Mrs.-Rea-Riege diesmal sehr zufrieden sein. Nur die 40-Jährige Oberstudienrätin, die einst lächelnd in den „Shamrock Diaries“ blätterte, wird vielleicht doch lieber die neue Clapton kaufen.
Chris Zippel
„Genuine – Nu Ambient Grooves 2” (1999)
Der Titel des ersten Stücks lässt Furchtbares ahnen. Er lautet „Wo ewig meine Seufzer wallen“, führt aber auf die falsche Fährte. Denn Chris Zippel schafft voluminöse, dennoch klar zu durchschauende Ambientscapes voller tuckernder Beats, die ungestört bleiben von Texten, wie sie Stücke haben könnten, die „Wo ewig meine Seufzer wallen“ heißen. Nur einige Dialogsamples aus trashigen Science-Fiction-Filmen hallen durch die Weite, und Zippel allein weiß, warum er manch packende Soundidee schon nach wenigen Minuten wieder auslaufen lässt. 16 Stücke in 74 Minuten! Warum nicht die vier besten in epischer Breite mit sukzessive hypnotischer Wirkung, wie es nun mal zum guten Ton gehört in Ambientkreisen? Lass Dir mehr Zeit, Chris. Wir nehmen sie uns dann auch, versprochen.
Chuck E. Weiss
„Extremely cool” (1999)
„Er singt“, krächzt Tom Waits, „als sei der Teufel hinter ihm her.“ Weil Waits mit dolvhrn Situationen sehr vertraut ist, übernahm er auch gleich einen Teil der Gitarrenarbeit und die Produktion für seinen Langzeitkompagnon. Durchaus zum Schaden des Betreuten. Denn Weiss’ schmutziges Blues- und Swampalbum ist ein Beispiel dafür, wie spurlos das eigene Gesicht hinter der Mimese verschwinden kann. Dass Tom Waits dies sogar förderte, muss mit Eitelkeit zu tun haben: Er hat sich sein Ebenbild geklont. Da Tom aber mindestens tausend Flaschen Bourbon Vorsprung hat, wird Weiss doch nicht ganz zu Waits. Fazit: Für Menschen mit Pop- und Rockamnesie wahrscheinlich eine gute Platte.
Collective Soul
„Dosage” (1999)
So schnell kann’s gehen. Eben noch die ewige Collegecombo aus Georgia, erlebt das Quintett mit „Dosage“ nun eine schier explosive Horizonterweiterung. Ihr klassischer US-Rock entdeckt den Glam und die 70er – und integriert das, ohne sich dem Verdacht der Trendhopperei auszusetzen. Songs wie „Slow“ oder „Generate“ erinnern mit epischen Streichern und perfekt gesetzten Synthesizern an die besten Zeiten von ELO & Co. Dass die durchweg großartigen Kompositionen dennoch nicht den Mief von gestern ausdünsten, liegt am modern angegroovten Rhythmusfundament. Und endlich stimmt auch an der Produktion mal alles – dank Ed Roland.
Crosby, Stills, Nash & Young
„Looking forward” (1999)
Der Titel: ein Witz! So konsequent hat selten eine Combo zurückgelinst in Zeiten, als man sich noch schlug und vertrug, ehe man sich trennte für immer, wie es schien – zu sehr Katz und Hund waren Stills und Young. Doch nichts währt für immer, nicht einmal Feindschaft. Dieses Reunionalbum auch nicht. Die Songs klingen, als hätten die vier das jeweils Durchschnittlichste ihres Soloschaffens zusammengetragen. Vom gitarristischen Biss der frühen Jahre, von der quecksilbrigen Eleganz des Harmoniegesangs: nichts zu spüren. Ein enttäuschendes Album, meist poppigweich bis zur Seichtheit. Dafür hätten sie nicht reunieren müssen.
Damo Suzuki Band
„P.R.O.M.I.S.E.” (1999)
Uff. Sieben Live-CDs in einer Box muss man erst mal durchstehen. Ja, wie fühlt man sich danach – gerädert? Nein. Aber der Boden scheint zu schwanken, man hat einen eierigen Gang. Der japanische Sänger Damo Suzuki, einst bei der Krautlegende Can aktiv, führte später diverse eigene Projekte durch alle deutschen Uniaulen. Chronologisch sortiert, dürfen wir noch einmal mitreisen bei den Trips der Damo Suzuki Band. Die Box ist voller ausufernder, im Schnitt viertelstündiger Groovetrips, die manchmal im Nirvana enden, sich aber oft auch zu später Psychedelia oder frühem Trance aufschwingen. Suzuki gleicht vokale Defizite mit dem Willen zur Ekstase aus, und die Rhythmusmaschine seiner Band trägt ihn federnd über die gröbsten Hindernisse. Eine Schatzkiste für Fans – punktgenau plaziert zum Can-Revival.
Das Zeichen
„Church o.e.o.” (1999)
Der Gitarrist Dirk Schlömer stieß zu Ton, Steine, Scherben, als alle Barrikaden bestiegen waren, nämlich in den 80ern. Politisch scheint er wenig mitgenommen zu haben vom dialektischen Materialismus der Agitrocker, denn sein neues Projekt Das Zeichen watet tief im Esoterikmatsch – es geht um Babylon und die Heiligkeit des Mondes. Nicht, dass wir den grobschlächtigen Agitrock von einst gern wiederhätten. Aber diese radikale Abkehr von allem, was mal wichtig war, stimmt doch traurig. Ist es Besinnlichkeit im Angesicht der Zeitenwende? Zuviel Frust beim vergeblichen Kampf? Das Album „Church o.e.o“ (o.e.o. = „everyone“) dürfte Altlinke schwer verstören. Falls sie nicht längst selbst auf Schlömers Trip sind.
David Olney
„Through a Glass darkly” (1999)
Kein Songwriter aus Texas lässt es sich seit Townes Van Zandts Tod nehmen, dem Hochverehrten noch eine Coverhommage nachzurufen – wieso sollte ausgerechnet der graumelierte Weggefährte Olney damit auffhören? Van Zandts „Snowin on Raton“ interpretiert er devot, und wäre er vokal nicht so kraftvoll, es bestünde auch auf dem Rest des Albums Verwechslungsgefahr. David Olney achtet darauf, in Sound und Vortrag sorgsam ungehobelte Songs abzuliefern; manchmal, wie in „The Colorado Kid“ haben sie sogar richtig Schräglage. Texas verpflichtet eben – vor allem zur Abgrenzung gegenüber Nashville/Tennessee.
David Sylvian
„Approaching Silence” (1999)
David Sylvian wird im nächsten Leben Imker; in diesem legt er dafür die breite Basis – musikalisch. Nach „Secrets of the Beehive“ („Geheimnisse des Bienenstocks“;) und „Dead Bees on a Cake“ („Tote Bienen auf einem Kuchen“, 1999) heißt das zentrale Stück seiner neuen, indes bereits 1994 eingespielten Ambient-CD „The Beekeepers Apprentice“. „Der Imker-Lehrling“ also: eine langsam atmende Klangskulptur ohne Rhythmus, erbaut aus Gitarren, Synthies, Samples und Gongs. Mit Mut zum Atonalen hält Sylvian die Esoterikszene auf Distanz. Seine Musik ist geprägt von zaghafter Dynamik und musikalischem Wagemut. Postindustrielle Musik, konzipiert als Soundtrack für multimediale Installationen.
David Sylvian
„Dead Bees on a Cake” (1999)
Fehlenden Humor haben wir David Sylvian nie vorgeworfen. Bei seiner ersten Band Japan ab Ende der 70er war die ernste Verknüpfung von Wave mit nach Osten schielendem Kunstrock so bestechend, dass man Witz nicht vermisste. Und als Sylvian dann zum Großmeister und Schamanen eines zeit- und ortlosen Ambientartrocks wurde und zwei der besten Alben der 80er, vielleicht der Popgeschichte vorlegte („Secrets of the Beehive“ und „Brilliant Trees“), waren Soundtiefe, kompositorische Raffinesse und Wagemut wichtig. Bis heute wird man Sylvian musikalisch nicht lustig erleben. Sein neues Album – der Titel eine nostalgische Referenz ans „Beehive“-Album – vereint all seine Stärken. Das, was wir beim ersten Hören als Schwäche wahrnehmen, muss sich – wie im Verlauf klar wird – einfach nur entwickeln. Über fast 70 Minuten erleben wir wundersame, schier statische Ethnojazzballaden aus einem parallelen Universum, in dem sich nichts mehr richtig feind ist: Tablas vertragen sich mit schroffen E-Gitarren, der Takt des Blues mit jenem des Raga. Und am Ende dieses langen Weges bleibt jene geradezu weise Aura haften, die Sylvian verströmt wie kaum ein anderer. Ein großer Künstler. Aber vielleicht auch einer, der sich manchmal zu sehr quält mit seiner Kunst. Kein Witz.
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