Ashley Naylor gibt alles zu. „Ja, ich bin nostalgiesüchtig“, sagt er, und weil der Australier die Songs seiner Band Even schreibt, verwirft er die Idee nicht, manche Gitarre nach Byrds und manchen Harmoniegesang nach den Flowerpot Men klingen zu lassen. Warum sollte er auch? Waren schließlich gute Bands – wie so viele Pioniere der 60er und 70er, die sägende psychedelische Klampfen und Backgroundl-Lalas in den modernen Klangkanon einführten. Naylor stöbert hingebungsvoll in den alten Kisten und weist seinen Drummer Matt Cotter strikt an, den Rhythmusgitarrentakt synchron und polternd zu verdoppeln. Wie damals halt. Dabei entsteht ein dichtes, halbelektrisches Retroalbum mit treffendem Titel, das nicht die stärksten Songs der Welt im Gepäck hat – dafür aber in limitierter Ausgabe noch einige rare B-Seiten. Für ein Zweitwerk sehr passabel.
Faust
„Ravvivando” (1999)
Dieses Album liegt schwer im Magen. Nicht, weil der von Verzerrern und Noise getragene Industrialrock von Faust so unverdaulich wäre. Sondern weil die Stilmittel der einstigen Krautavantgardisten auf dem zweiten Comebackalbum ziemlich altbacken sind. Ihre Moogschlieren sind auf dem Niveau der 70er, ihre Feedbacks hatte schon Hendrix komplett so parat. Das wäre kein Problem, würde die Band das filtern im Stil der 90er; doch ihr fehlt die Reflexionsebene. Am Ende, beim hypnotischen „t-électronique“ sind wir kaum weiter, als es Tangerine Dream 1975 waren. Faust glauben, nach vorn zu schauen, haben aber einen kaputten Kompass in der Tasche. Nur etwas für humorlose Althippies, die noch immer hinten die Matte lang tragen, obwohl oben längst die Platte wächst.
Friedemann
„Passion and Pride” (1999)
Bei Friedemann fallen einem nur kulinarische Metaphern ein, aber das ist wenigstens genauso abgedroschen wie seine Musik. Also: Aus softer Fusionbrühe, altem spanischem Chili und einer Tüte „Easy Listening“-Instantpulver mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum rührt der Komponist seine fade Suppe an – serviert sie aber, als sei sie Kochkunst mit drei Sternen. Sicher, schön dekoriert ist sie, aber die Substanz fehlt, das merkt man gleich beim ersten Löffel. Mit „Aquamarine“ lieferte er einst ein Meisterstück des New Instrumental: geleckt, aber spannend, easy, aber in vielen Farben schillernd. An „Passion and Pride“ aber kann man nur eins loben: die Leichtverdaulichkeit.
George Michael
„Songs from the last Century” (1999)
Zwischen Nina Simones „My Baby just cares for me“ und „Miss Sarajewo“ von U2 liegen Welten. Wer indes so viel von sich hält wie George Michael und auch so viel kann, der findet einen gemeinsamen Nenner für beide: den Barjazz. Für sein viertes Soloalbum knöpft sich der edelste aller Popcrooner seine Lieblingssongs des Jahrhunderts vor, zieht ihnen Glitzerkleider über und nähert sich ihnen mit dem Cocktailglas in der Hand. Seinem vokalen Schmelz kann sich keins dieser Stücke verweigern – sogar Stings einst hysterisches „Roxanne“ verwandelt George in einen Soundtrack zum letzten Drink, bevor der Morgen graut.
Goldie
„Ring of Saturn E. P.” (1999)
Drum & Bass ist tot, und Goldie gehörte mit seinem egomanischen Flopalbum „Saturnz Returnz“ zu den prominentesten Totengräbern. Jetzt versucht er (verzweifelt?), das kommerzielle Desaster abzufedern, indem er das monströse, überambitionierte Stück „Mother“ auf sieben Minuten verdichtet. Trotz der Hilfe von Optical und ein wenig Techno wird’s zum letzten Zucken eines (auch von uns) heillos Überschätzten. Auch Jonny L merkt auf seinem Album „Magnetic“ (Intercord) nicht, dass die wortwörtliche Reduktion auf Drum & Bass nur noch langweilt. Sein staubtrockenes Werk ist höchstens state of last year’s art – auch die eingestreuten Raps retten es nicht.
Gus Gus
„This is normal” (1999)
Nur die englischen Kollegen von Everything But The Girl unternehmen ähnliche Klangreisen durch urbane Nächte wie Gus Gus. Dabei können sie im heimischen Island kaum Metropolenerfahrung gesammelt haben. Doch die kühle Kernfusion aus Lounge, Soul und geschmeidigen Grooves ist nicht weniger verführerisch als jene des englischen Duos. Flink, aber nicht hektisch, seelenvoll, doch ohne Pathos arrangieren sie Songs, denen man Farben wie nachtblau oder silbern zuschreiben möchte. Dabei geht dieses Album ganz anders los: als hätten sich die Propellerheads an den Doors vergriffen. Popgeschichte scheint also selbst im Land der Geysire Unterrichtsfach zu sein.
Hayden
„The closer I get” (1999)
Ein heftiges Schlagzeug, das so tut, als wolle es in Wahrheit zart sein und sei nur vor lauter Unbeholfenheit laut. Ein Mann namens Hayden, der schüchtern singt und dazu Orgel, Saxofone und Gitarren behandelt, also für nahezu alles verantwortlich ist an pseudoamateurhaftem Charme, der dieses wunderliche Album auszeichnet. Hayden gehört zu jenen Gestrandeten der Fußgängerzonen, zu jenen Träumern in karierten Hemden, die ihre Augen zukneifen, wenn sie fotografiert werden. Ein stiller, trauriger Slacker, der davon singt, wie es ist, vor der Haustür eine Kugel zu finden, die ihm gegolten hat. Und der sich dann doch entschließt, zu den Gewinnern zu gehören, egal, was es ihn kostet. Hayden ist wie Neil Young, der seine Wut verloren hat. Aber nicht seinen Mut.
Hevia
„Tierra de Nadie – No Man’s Land” (1999)
Mit dem Dudelsack die Herzen der Spanier zu erobern, ist eigentlich so erfolgversprechend wie Don Quijotes Angriff auf Gebäude, die der Getreidezerkleinerung dienen. Denkste: Sechs Wochen lang klammerte sich José Angel Hevias Album in Spanien an die Chartsspitze. Dabei klingt es, als habe Alan Stivell die Leitung einer schottischen Marschkapelle übernommen, die gerade einen WM-Sieg der Fußballer feiert: keltisch und gravitätisch. Doch der Beat und die Technik, mit der der Sack dudelt (MIDI!), sind hochmodern – und so lassen sich auch Spanier olle Traditionen neu verkaufen. Gewagt, diese Reise ins musikalische Niemandsland. Aber Hevia bläst ihm Leben ein – das von gestern und das von heute.
High Llamas
„Snowbug” (1999)
Wir haben gerätselt. Wie soll man das nun nennen – Easy Listening? Klingt zu seicht. Avantgardepop? Klingt nach anstrengend. Wie also eine Musik begrifflich fassen, die hin und her schwebt zwischen dem Charme des Federleichten und belangloser Schönheit, zwischen einem Frühling in Somerset und dem beschaulichen Kitsch einer Postkarte davon? Mich jedenfalls wunderte es nicht, wenn Eric Rohmer, inspiriert davon, seinen nächsten Film in England drehte, nur um Sean O’Hagan & Co. den Soundtrack komponieren zu lassen. Anders als früher nämlich verlieren sie sich nicht mehr im Ungefähren, im Geplinker. Ihre Songs haben Anfang und Ende, haben Gitarren, Vibrafone und alles mögliche mehr. Aber wie soll man das bloß nennen? Na ja, noch mal auflegen, vielleicht kommt dann der rettende Einfall.
Huong Thanh
„Moon and Wind – New Songs of Viêt-Nam created by Nguyên Lê” (1999)
Wer das Cover sieht, wo Huong Thanh uns in vietnamesischer Tracht entgegenlächelt, wird einen falschen Eindruck gewinnen vom puristischen Gehalt dieser Platte. Denn obgleich mancher Song schon fünf Jahrhunderte auf dem Buckel hat, schafft der erwiesenermaßen ostwestliche E-Gitarrist Nguyên Lê der aparten Sängerin ein elegisches modernes Soundambiente, in der ihre helle Stimme frei schweben kann. Der Blick auf Vietnam ist in diesen Songs ein wehmütiger, einer aus der europäischen Ferne, wo Lê und Thanh vor langer Zeit strandeten – und doch ihre Bindung nie verloren, auch wenn nun die westliche E-Gitarre dominiert.
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