Die härteste Sanktion ist die Aussicht, nicht wiedergewählt zu werden. Doch auch hier gibt es ein Schlupfloch. In Deutschland werden nämlich nur 50 Prozent aller Bundestagsabgeordneten direkt von den Menschen gewählt. Das sind die Kandidaten, die sich in einem Wahlkreis für das „Direktmandat“ bewerben. Um in den Bundestag zu kommen, muss ein Direktkandidat in seinem Wahlkreis mehr (Erst-)Stimmen erhalten, als alle anderen Kandidaten. Die Wähler in einem Wahlkreis können daher einen ungeeigneten Direktkandidaten verhindern. Allerdings wird die andere Hälfte der Bundestagsmandate über „Landeslisten“ vergeben.
Die Landeslisten können nur von politischen Parteien eingereicht werden. Die Landeslisten enthalten die Namen von Politikern der jeweiligen Partei in einer bestimmten Reihenfolge. Je mehr Zweitstimmen eine Partei bei der Bundestagswahl erhält, desto mehr ihrer Bewerber ziehen über die Landeslisten in der dort festgelegten Reihenfolge in den Bundestag ein.
Da nur die politischen Parteien bestimmen, wer auf der Landesliste kandidieren darf, kommen mit Hilfe der Landesliste auch solche Personen zu Abgeordnetenmandaten, die im Volk niemand haben will. Die Menschen können einen unfähigen oder gemeinwohlschädlichen Abgeordneten deshalb nur dann abstrafen, wenn er als Direktkandidat antritt, ohne über die Landesliste abgesichert zu sein. Dieses Risiko geht aber kaum ein Berufspolitiker ein, der um seine Wiederwahl fürchtet.
Im Übrigen ist die persönliche Abwahl eines ungeliebten Abgeordneten auch eher unrealistisch. Denn die meisten Menschen kennen weder „ihren“ Wahlkreisabgeordneten, noch wissen sie, wie er bislang im Bundestag abgestimmt hat und welche Positionen er eigentlich vertritt. Deshalb wählen fast alle Menschen mit ihrer Erststimme den Kandidaten der von ihnen bevorzugten Partei.
In der Realität wird auch kaum jemand der von ihm favorisierten Partei seine (Zweit-)Stimme deshalb verweigern, weil auf der Landesliste unfähige Berufspolitiker ganz oben stehen. Die Menschen in Deutschland wählen Parteien, nicht Personen. Deshalb braucht der einzelne Berufspolitiker nicht befürchten, persönlich abgestraft zu werden. Er kann sich immer hinter seiner Partei verstecken. In der Wahrnehmung der meisten Menschen entscheiden Parteien und nicht einzelne Abgeordnete.
Die Landeslisten sind somit ein effektives Mittel, wie sich unfähige und unbeliebte Berufspolitiker in den Bundestag mogeln können. Die theoretische Möglichkeit einer Abwahl ist deshalb kein sonderlich abschreckendes Szenario für einen Berufspolitiker.
Infolgedessen hängt es allein von den Bundestagsabgeordneten ab, wie sie sich entscheiden. Wenn sie überzeugt sind, dass das Gemeinwohl an erster Stelle stehen muss, können sie sich entsprechend verhalten. Wenn sie dagegen ihre eigenen Interessen als wichtiger bewerten, können sie egoistisch handeln. Und genau das ist das Problem in Deutschland.
Es hängt allein vom guten Willen der Berufspolitiker ab, ob sie zum Wohl des Volkes handeln oder nicht. Das System der „parlamentarischen Demokratie“ ist in Deutschland deshalb nur formal etabliert. Der rechtfertigende Grund, warum die Menschen die Entscheidungen der Abgeordneten akzeptieren sollen, ist jedoch nicht gegeben. Denn das geltende Wahlrecht führt dazu, dass vor allem unfähige Egoisten als Abgeordnete in den Bundestag einziehen.
Die meisten Berufspolitiker nutzen das Abgeordnetenmandat, um möglichst viele finanzielle und soziale Vorteile für sich herauszuschlagen.
Das zeigt sich ganz offenkundig, wenn es darum geht, die Diäten zu erhöhen. Bei Diätenerhöhungen gibt es nie Streit zwischen den Abgeordneten der verschiedenen etablierten Parteien. Vielmehr versuchen sie, Diätenerhöhungen so heimlich und geräuschlos wie möglich über die Bühne zu bringen, so dass es keinen empörten Aufschrei in der Öffentlichkeit gibt. Diätenerhöhungen werden deshalb meist dann beschlossen, wenn gerade ein anderes Thema die öffentliche Wahrnehmung dominiert.
Das Argument für die übermäßigen Diätenerhöhungen ist immer dasselbe: Man müsse einen Anreiz für gute Leute schaffen. Dabei wird aber geflissentlich übersehen, dass die wirklich guten Leute in der freien Wirtschaft wesentlich mehr verdienen und es ja gerade nicht die „High Potentials“ sind, die in den Bundestag gewählt werden. Zudem sollen die Diäten ja nicht der Hauptanreiz sein, ein Bundestagsmandat zu erringen.
Primäres Ziel sollte sein, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren. Im Grundgesetz ist auch nur die Rede von „Entschädigung“. Es wäre deshalb völlig ausreichend, wenn jeder Abgeordnete soviel bekommt, wie er vor seiner Wahl durchschnittlich verdient hat. Denn nur insoweit entsteht ihm durch den Verdienstausfall ja ein „Schaden“. Doch das stünde im Widerspruch zu dem Hauptmotiv der meisten Bundestagsabgeordneten – die finanzielle Situation durch das Mandat zu verbessern.
Aber auch sonst nehmen die Berufspolitiker alles mit, was geht. Man denke nur an den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Als der nach dem Aufdecken diverser Lügen und Halbwahrheiten im Zusammenhang mit besonders günstigen Privatkrediten, gesponserten Hotelübernachtungen und kostenlosen Urlauben wegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn zurücktrat, begründete er seinen Rücktritt mit „politischen Gründen“.
Das war zwar blanker Unsinn - die Rücktrittsgründe beruhten schließlich allesamt auf privaten Angelegenheiten -, aber doch ziemlich clever. Denn dadurch konnte er nach einem Jahr im Amt den „Ehrensold“ in Höhe von 199.000 Euro (ab 2013: 217.000 Euro) einsacken, den alle ehemaligen Bundespräsidenten bis an ihr Lebensende jährlich bekommen. Selbstverständlich hätten ihm die anderen Berufspolitiker den Ehrensold auch ohne weiteres streichen können.
Allerdings wäre dadurch ein unerwünschter Präzedenzfall geschaffen worden. In Zukunft wäre es dann nämlich möglicherweise regelmäßig zu der Forderung gekommen, Versorgungsansprüche der Berufspolitiker wegen persönlichen Fehlverhaltens zu kürzen oder zu streichen. Und daran hat kein Berufspolitiker ein Interesse. Dementsprechend waren sich die Berufspolitiker auch über Parteigrenzen hinweg einig, dass Christian Wulff seinen „Ehrensold“ in voller Höhe erhalten soll.
Dass es den Berufspolitikern in erster Linie um die finanziellen Vorteile des Abgeordnetenmandats geht, zeigt sich auch daran, dass sie alles tun, um die eigene Wiederwahl zu sichern. Dazu ist es unbedingt erforderlich, dass sie von ihrer Partei weiter unterstützt werden. Folglich tun sie alles, um es sich mit der Parteiführung nicht zu verscherzen.
Aus Angst vor dem Verlust des Mandats bezahlen die Abgeordneten zum Beispiel die von den Parteien geforderten „Abgeordnetenbeiträge“. Jede der etablierten Parteien verlangt von ihren Abgeordneten, dass diese einen Teil ihrer Diäten (meistens zwischen 10 und 20 Prozent) an die Partei „spenden“. Darauf besteht zwar kein rechtlicher Anspruch, doch die Drohung, nicht wieder aufgestellt zu werden, genügt. In der Praxis weigern sich nur die Abgeordneten, die nicht mehr kandidieren wollen oder deren innerparteiliche Karriere aus anderen Gründen zu Ende ist.
Innerhalb der etablierten Parteien ist es auch ein ungeschriebenes Gesetz, dass niemand unterstützt wird, der irgendwie als „Nazi“ verdächtig ist. Berufspolitiker fürchten deshalb nichts so sehr, wie in die rechte Ecke gestellt zu werden. Um die Wiederwahl zu sichern, unterwerfen sie sich deshalb regelmäßig einer objektiv völlig irrationalen „political correctness“.
In vielen Kirchen gab es früher Figuren in Gestalt von afrikanischen Kindern. Wenn man eine Spende in die Öffnung warf, bedankte sich die Figur durch ein Kopfnicken. Genauso verhalten sich heute viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Obwohl sie nach dem Willen des Grundgesetzes eigentlich selbstbewusste Vertreter des deutschen Volkes sein sollten, lassen sie sich regelmäßig zu willenlosen „Nicknegerchen“ degradieren.
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