Dazu gehört die Fähigkeit, sich unterzuordnen und die eigene Meinung zurückzunehmen, wenn das dem eigenen Fortkommen dient. Man darf keine Scheu haben, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen und eigene Skrupel und moralische Bedenken auch einmal Beiseite zu lassen. Vorteilhaft sind auch ein stark ausgeprägtes Karrierestreben und ein starker Egoismus. Man muss bereit sein, die Grenzen der „political correctness“ peinlich genau einzuhalten. Zudem sollte man sich in den Medien erfolgreich darstellen können.
Daraus ergibt sich folgendes faktische Anforderungsprofil: deutsche Staatsangehörigkeit, mindestens 18 Jahre alt, Mitglied in einer der etablierten Parteien, viel Zeit, die Bereitschaft, mindestens 15 Jahre am selben Ort zu bleiben, rhetorisches Talent, schauspielerische Fähigkeiten, die Bereitschaft, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten, Sitzfleisch, Durchsetzungsfähigkeit, Netzwerker, starkes Karrierestreben, starker Egoismus, mediengerechte Selbstdarstellung, politische Korrektheit.
Die tatsächliche Zusammensetzung des Bundestages und der anderen Parlamente (Landtage und Europäisches Parlament) entspricht weitgehend diesem Anforderungsprofil. Im 2009 gewählten Bundestag beträgt der Anteil der Juristen mehr als 20 Prozent, der der Lehrer fast 10 Prozent. Ungefähr ein Drittel der Abgeordneten kommt aus dem öffentlichen Dienst.
Viele Abgeordnete sind nach dem Studium über die Mitarbeit in einer Partei, einer Gewerkschaft oder sonstigen Lobbygruppe direkt in den Bundestag gekommen („Kreissaal – Hörsaal – Plenarsaal“). Sie haben weder praktische Lebenserfahrung außerhalb der Politik gesammelt, noch haben sie selbst und eigenverantwortlich etwas Erfolgreiches geschaffen.
Dagegen sind Menschen, die außerhalb des politischen Betriebes schon erfolgreich waren, deutlich unterrepräsentiert. Es gibt kaum Abgeordnete, die vor ihrem Einzug in den Bundestag in der freien Wirtschaft Spitzenpositionen innehatten oder gar erfolgreich ein Unternehmen gegründet oder geleitet haben. Es gibt kaum Künstler, Schriftsteller oder Sportler. Hausfrauen sind ebenso selten, wie Arbeitslose, Behinderte oder Schüchterne.
Das geltende Wahlrecht schafft somit gerade für solche Menschen einen hohen Anreiz, sich für ein Bundestagsmandat zu bewerben, die dadurch ihre finanzielle und soziale Lage erheblich verbessern können. Wer wirklich etwas leisten oder bewegen will, wird nicht 15 Jahre lang die intellektuell wenig fordernde Ochsentour auf sich nehmen, sondern sein Glück in der freien Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kultur suchen. Das gilt insbesondere für Leute, die zu den Besten ihres jeweiligen Fachs gehören. Die „Ochsentour“ nehmen deshalb in der Regel nur solche Leute auf sich, deren intellektuelle und charakterliche Fähigkeiten nicht für eine Karriere außerhalb der Politik reichen.
Dadurch kommt es zu einer Negativ-Auslese. Gewählt werden nicht die Bewerber, die für ein Amt fachlich und charakterlich am besten geeignet sind, sondern diejenigen, die mit der Parteiführung gut auskommen und sich in den Medien geschickt inszenieren.
Deshalb ist in der Realität kaum ein Abgeordneter fachlich besonders qualifiziert, zumindest nicht für den Bereich, in dem er sich hauptsächlich betätigt. Bei der Besetzung von wichtigen (Regierungs-)Posten kommt es in erster Linie auf die Parteizugehörigkeit und den Proporz an. Wie anders lässt sich sonst erklären, dass ein Arzt (Philip Rösler) erst Gesundheitsminister wird (was ja noch nachvollziehbar ist), um dann Knall auf Fall Wirtschaftsminister zu werden? Was befähigt ihn dazu? Und die Liste dieser Beispiele ist lang.
Der einstige Hoffnungsträger der CSU, Karl Theodor zu Guttenberg, hat das Erste Juristische Staatsexamen mit 6,8 von 18 möglichen Punkten absolviert. Mit diesem Ergebnis wäre er weder in einer erfolgreichen Anwaltskanzlei eingestellt worden, noch im öffentlichen Dienst oder als Richter. Trotzdem wurde er 2009 erst Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister. Irgendwelche erkennbaren objektiven Qualifikationen hatte er dafür nicht. Sogar sein Doktortitel wurde ihm aberkannt, weil er seine Dissertation im Wesentlichen bei anderen abgeschrieben hatte.
Oder Guido Westerwelle. Er benötigte für seine juristische Ausbildung insgesamt 11 Jahre und damit doppelt so lang, wie üblich. Nachdem er drei Jahre in der Anwaltskanzlei seines Vaters mitgearbeitet hatte, war er nur noch für die FDP tätig. Was qualifizierte ausgerechnet ihn für das Amt des Vizekanzlers und Außenministers?
Erfrischend ehrlich ist insoweit die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Müller von den Grünen. Mittlerweile räumte sie in diversen Fernsehsendungen freimütig ein, dass sie vor ihrer Ernennung zur Ministerin mit Gesundheitspolitik nichts am Hut hatte und deshalb auch nicht wusste, worum es dort inhaltlich eigentlich geht.
Das vorrangige Ziel der meisten Berufspolitiker ist es somit nicht, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren, sondern die eigene Wiederwahl zu sichern und aus der Position als Abgeordneter möglichst viele eigene Vorteile herauszuschlagen. Oder kurz gesagt: Die meisten Abgeordneten im Bundestag sind mehr oder weniger unfähige Egoisten, die alles tun, um wiedergewählt zu werden. Das ist aber nicht abwertend gemeint.
„Unfähig“ heißt ja nur, dass die Berufspolitiker in der Regel für die Ämter, die sie übernehmen nicht ausgebildet sind und ihnen die Fähigkeiten und Charaktermerkmale fehlen, die man bräuchte, um diese Positionen zum Nutzen der Allgemeinheit effektiv auszuüben.
„Egoistisch“ bedeutet, dass die Berufspolitiker in erster Linie auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und nicht auf das Wohl der Allgemeinheit. Das ist eine evolutionär bedingte, genetisch verankerte Verhaltenstendenz. Beides kann man den Berufspolitikern deshalb nicht vorwerfen. Denn jeder Mensch versucht, aus seinem Leben das Beste zu machen. Und für eine bestimmte Sorte von Menschen ist es eben am einfachsten, Berufspolitiker zu werden, um ein angenehmes Leben zu führen. Das ist ihre ökologische Nische.
Eine rein parlamentarische Demokratie funktioniert nicht
Erstaunlich ist deshalb nicht, dass die Berufspolitiker egoistisch handeln, sondern dass das durch das geltende Wahlrecht nicht verhindert wird. Denn offiziell ist Deutschland ja eine „parlamentarische Demokratie“. Dahinter steckt die Idee, dass es bei 80 Millionen Menschen praktisch unmöglich ist, zu jeder politischen Frage eine Volksabstimmung zu machen. Deshalb wählen sich die Menschen eine kleine Gruppe von Vertretern, die für sie die Gesetze beschließen. Und die Volksvertreter lassen sich dabei ausschließlich vom Wohl des Volkes leiten und nicht von ihren eigenen Interessen.
In der Theorie klingt das ganz vernünftig. In der Praxis funktioniert das aber nur dann, wenn die Abgeordneten auch tatsächlich zum Wohl des Volkes handeln. Doch warum sollten sie das tun? Dafür gibt es eigentlich nur zwei Gründe: Entweder sind die Abgeordneten davon überzeugt, dass sie ihre eigenen Interessen zurückstellen müssen und handeln deshalb freiwillig zum Wohl des Volkes. Oder sie werden durch Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten dazu gezwungen.
Solche Sicherungen gibt es auch in Deutschland. Die Bundestagsabgeordneten werden nur für jeweils vier Jahre gewählt. Dadurch sollen die Menschen die Chance haben, unfähige und egoistische Abgeordnete wieder loszuwerden. Zudem können Gesetze, die nicht dem Grundgesetz entsprechen, vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden. Dass die Berufspolitiker trotzdem so oft egoistisch handeln, liegt hauptsächlich daran, dass diese Mechanismen in der Praxis nicht sonderlich effektiv sind.
Das Bundesverfassungsgericht darf nicht von sich aus jedes Gesetz prüfen. Viele Gesetze landen daher nie vor dem Bundesverfassungsgericht und gelten deshalb weiter, obwohl sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Es gibt auch keine Möglichkeit, unfähige und egoistische Abgeordnete vorzeitig zu entlassen. Die Berufspolitiker sind in den vier Jahren ihrer Amtszeit praktisch unangreifbar.
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