Sie hatten die verfallenen Daten haben wollen, weil diese von der IT-Abteilung zugeteilt worden waren, und somit weder der Login-Name noch das Passwort frei wählbar waren. Sie hatten sich erhofft, ein Muster zu entdecken. Zugegeben, bei zwei Vergleichswerten ein Muster zu entdecken, glich schon einem ziemlich weit dahergeholten Unterfangen, aber eines war trotzdem sofort auffällig gewesen: Der Login-Name schien aus dem großgeschriebenen Anfangsbuchstaben des Vornamens sowie dem Nachnamen zu bestehen, wobei der erste Buchstabe ebenfalls groß gewählt war. Also PJohnson und KElster. Das ist zu einfach, hatten beide gedacht, und wenn die Passwörter ähnlich gelagert sind, wird das Ganze ein Kinderspiel.
Ganz so einfach war es dann doch nicht gewesen, aber Anton, der ein ausgeprägtes kryptographisches Gespür hatte, war dann der entscheidende gemeinsame Nenner aufgefallen. In beiden tauchte das Geburtsdatum sowie die Hausnummer des jeweiligen Besitzers auf. Verschoben um jeweils 3 Stellen in der Zahlenskala und, wenn das eine zweistellige Zahl ergab, als Quersumme davon und scheinbar willkürlich und nicht in der richtigen Reihenfolge angeordnet. Aber das Muster war da, da waren sich beide sicher. Die restlichen Zeichen waren Buchstaben ohne Sonderzeichen und die Wahrscheinlichkeit, dass das generell so gehandhabt worden war, schien ihnen groß genug, um auf dieser Basis zu beginnen. Zwar war für diese verbleibenden Buchstaben auch Anton kein erkennbares Muster aufgefallen. Aber auf der Grundlage der jetzigen Erkenntnisse ließ sich eine Wörterbuchdatei programmieren, die sie für einen Brute-Force Angriff verwenden konnten. Sie hatten sich von Peter die Geburtsdaten, Adressen sowie die Vor- und Nachnamen aller Kollegen geben lassen, die dieser zur Verfügung stellen konnte.
Und weil Lorenz derjenige war, der Peter suspendiert hatte und der mit den meisten Kompetenzen und dem umfangreichsten Zugang zu vertraulichen Daten, hatten sie sich auf ihn eingeschossen. Die Wörterbuchdatei war mit seinen Werten gefüllt.
Eine Brute-Force-Wörterbuch Attacke ist im Grunde nichts anderes als der permanente Versuch, mit einem gegebenen Anmeldenamen und allen möglichen Passwortkombinationen Zugang zu einem Computerkonto zu bekommen. Je mehr Informationen im Vorfeld bekannt sind, desto größer ist die Chance, letztendlich auf die richtige Kombination zu stoßen.
Sie gingen anhand der beiden bekannten Passwörter von einer Länge von 8 Zeichen aus. Da jedes Zeichen 62 verschiedene Formen annehmen kann (26 Buchstaben jeweils groß und klein, 10 Ziffern), ergeben sich daraus 62ˆ8 mögliche Passwörter, also etwa 21,8 Trillionen. Ein schneller Rechner sollte nicht länger als rund 70 Stunden brauchen, um diese Variationen durchzuspielen – und das auch nur, wenn die gesuchte Kombination die letzte probierte ist. Durch das Aussondern der Ziffern, die nicht Bestandteil der Hausnummer bzw. des Geburtsdatums waren, rechneten sie mit einem Erfolg innerhalb 24 Stunden. Vorausgesetzt, ihre Annahme war richtig. Wenn Sonderzeichen ins Spiel kamen, ging die ganze Rechnung nicht auf.
Jetzt starrten sie seit etwa zwei Stunden auf den Monitor, obwohl die rasend schnelle Anzeige sich ständig verändernder Zeichenketten keinen wirklichen Informationswert hatte.
Trotzdem war die Spannung fast körperlich greifbar, schien die stickige, verqualmte Luft wie elektrisch aufgeladen.
Jagdfieber.
»Der muss ziemlich bescheuert sein«, sagte Anton plötzlich in die Stille hinein.
»Wer?« Wolfram sah ihn konsterniert an.
»Der Bullen-Admin, der sich die Passwörter ausgedacht hat. Das ist nicht nur leichtfertig, das ist strunzdumm.«
»Na ja, der wollte einen Algorithmus haben, den er zur Not rückverfolgen kann. Der wollte sichergehen, dass er die Passwörter jederzeit wieder herstellen kann.«
»Und? Was willst du mir damit sagen?« Jetzt war es an Anton, konsterniert zu gucken.
»Hast recht«, sagte sein Gegenüber schließlich nach einem Moment des Nachdenkens. »Der ist strunzdumm, der Admin ...«
Wolfram griff nach seiner Bierdose, stellte fest, dass sie leer war und stand langsam auf. »Ich hol uns noch was zum Munterbleiben.«
»Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der von Unmengen Bier immer munterer wird«, meinte Anton kopfschüttelnd. »Du musst ein Genie sein.«
»Hast schon wieder recht«, grinste Meyer und verschwand in Richtung Küche.
Anton sah auf den Bildschirm, verfolgte die Anzeige der eigenen IP-Adresse, die sich alle 2 Minuten veränderte. Sie hatten ihre Session so konfiguriert, dass unzählige Proxy-Server genutzt wurden und im 2-Minuten Rhythmus der Proxy gewechselt wurde. Das brachte zwar Einbußen bei der Geschwindigkeit, war aus Sicherheitsgründen aber notwendig. Sie wollten schließlich nicht, dass die Polizei plötzlich an die Tür klopfte, weil die Herren in Uniform ihre Einwahlversuche nachverfolgt hatten.
Mit einem Seufzen rieb sich Anton die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Im Gegensatz zu seinem Freund spürte er eine bleierne Müdigkeit und ein weiteres Bier würde das noch verstärken.
Dann veränderte sich der Bildschirm geringfügig. Erst wusste er nicht, was sich getan hatte, spürte mehr, als er sah, dass es Veränderungen gab. Dann konnte er es festmachen: Die Zeichenkette bewegte sich nicht mehr, war zum Stillstand gekommen. Im nächsten Moment flackerte der gesamte Schirm und veränderte sich erneut.
Als Wolfram eine Sekunde später mit den Bieren zurück in das Zimmer kam, starrte ihn der andere mit breitem Grinsen an:
»Wir sind drin!«
Peter, ganz Gentleman alter Schule, ging voran und bahnte ihnen einen Weg durch das gut gefüllte »Irish Harp«. Er hatte den gesamten Raum auf der Suche nach Liebrich überflogen, aber sein Mentor schien noch nicht da zu sein. Also suchte Peter einen Platz ein wenig abseits von der Stelle, wo bald eine Band mit Live-Musik aufwarten würde. Sie hatten Glück, eine Gruppe von vier jungen Leuten, schickte sich gerade zum Gehen an und Peter steuerte zielsicher auf den Tisch in der Ecke am Fenster zu.
Zum ersten Mal, seit er sie abgeholt hatte, konnte er Angela in Ruhe betrachten. Sie hatte draußen auf ihn gewartet, obwohl er sie gebeten hatte, in der Wohnung zu bleiben, bis er kam. Da war es schon ziemlich dunkel gewesen und das Licht im Auto hatte ebenfalls kein genaueres Begutachten erlaubt. Also nahm er nun die erste Gelegenheit wahr, um nach Anzeichen von Angst, Erschöpfung oder nervlichen Problemen zu suchen.
Aber alles, was er sah, war eine ungemein gut aussehende Frau, die trotz der Vorfälle gleichzeitig gelöst und stark wirkte.
»Was ist los, Peter? Überlegst du gerade, wer ich bin?«, lachte sie ihn an, und ihm wurde bewusst, dass er sie angestarrt haben musste. Verdammt, warum benahm er sich immer wie ein Idiot, wenn er mit ihr zusammen war? Etwas verlegen sagte er: »Du siehst wunderschön aus. Ich hab mich gefragt, wie du das unter diesen Umständen schaffst.«
»Danke«, entgenete sie leise, jetzt selber verlegen. »Ich bemühe mich. Die Kosmetikindustrie verdient ein Vermögen an mir.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Peter, dem längst aufgefallen war, dass sie allenfalls etwas Rouge aufgetragen hatte. »Du brauchst keine Schminke. Du bist am schönsten so, wie du bist. Natürlich.«
Darauf hatte sie keine Antwort und ein Moment des Schweigens entstand, bis Peter zu jovial fragte, was er ihr zu trinken besorgen könne.
»Einen Gin and Tonic?«, antwortete sie halb fragend. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon wieder bereit bin für etwas Alkoholisches.«
»Ein Gin and Tonic soll es sein«, nahm ihr Peter die Zweifel und ging zur Theke, um seine Bestellung abzugeben.
Sie sah ihm versonnen nach, wie er sich durch die Menge kämpfte, höflich und freundlich, aber bestimmt seinen Weg durch die vielen Menschen suchte. Wieder machte sich etwas in ihrem Inneren bemerkbar, das sich scheinbar nicht länger unterdrücken ließ. Etwas Vertrautes und gleichzeitig Aufregendes, eine Wärme, die von ganz tief innen zu kommen schien und sich über den Körper zog wie eine zweite Haut.
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