»Ich glaube nicht, dass ich Laura getroffen hätte.« Hiroshi lächelte unverbindlich.
Ein Blitzen von Stahl: Das lange Stilett in Hans’ Hand war auf Hiroshis Kehle gerichtet. »Andernfalls wären Sie jetzt auch tot«, sagte er gleichermaßen freundlich.
Schweigend starrten sich die beiden Männer an.
Laura zupfte Katharina am Ärmel. »Sind das böse Männer?«
Katharina lächelte beruhigend, wie sie hoffte. »Nein. Das ist nur ein Spiel. Wie Männer es manchmal spielen.«
Laura schob die Unterlippe vor: »Doofes Spiel.« Besser konnte man es nicht zusammenfassen. Die Anwesenden lachten.
»Da hast du recht, Laura.« Hiroshi steckte sein Schwert weg. Hans behielt den seltsamen Japaner zwar im Auge, schob aber das Stilett wieder in die Scheide, die um seinen Arm geschnallt war.
Hiroshi verneigte sich vor Laura: »Ich entschuldige mich für die Angst, die ich dir bereitet habe.«
Auch Laura verneigte sich großmütig. »Schon gut.«
Dann wandte sich Hiroshi an Katharina. »Setz dich.« Er deutete auf eines der Kissen vor dem kleinen Teetisch. »Ich habe etwas für dich. – Nicht, dass du glaubst, ich hätte deinen Geburtstag vergessen. Also bitte: Setz dich.«
Hiroshi ging zu einem Schrank, aus dem er ein langes, in ein Seidentuch gewickeltes Paket nahm.
»Etwas wie dieses hier habe ich in den fünfzig Jahren, in denen ich unterrichte, erst zweimal verschenkt. – Heute hast du dich als würdig erwiesen.« Er legte das Paket vor Katharina auf den niedrigen Teetisch. »Mach es auf!«
Katharina entfernte die Seide vorsichtig. Zum Vorschein kam etwas, das man auf den ersten Blick für einen schwarzen, leicht gebogenen Stab halten konnte. Auf den zweiten Blick erst sah Katharina die dünne Linie im Holz, wo die Scheide endete und der Handgriff begann. Ein Katana – ein japanisches Schwert.
Ehrfürchtig zog sie die Klinge aus ihrer Hülle. Beim Herausziehen klappte ein raffinierter Mechanismus das Tsuba, das Stichblatt, aus, das die Hand vor Schlägen schützte. Ehrfürchtig betrachtete Katharina das Schwert. Das Metall der Klinge glänzte bläulich und schien von innen zu leuchten. Scharf wie ein Rasiermesser, keine Frage.
»Ich habe es speziell für dich anfertigen lassen. Bei einem der besten Schmiede der Welt.«
»Sensei, ich weiß gar nicht … Danke.«
»Du hast es dir verdient. Aber jetzt stecke das Schwert weg.«
Sie gehorchte und schob die schimmernde Klinge langsam in die Scheide zurück.
»Es wird die Zeit kommen, da wirst du diese Klinge führen. Aber erst einmal werden wir mit einem ungeschliffenen Schwert üben. Du wirst sehen, welch elegante Waffe das ist.«
»Daran zweifele ich nicht, Sensei.«
»Vor dieser Waffe hat man Respekt.«
»Ich werde sie wohl dennoch nicht im Dienst tragen können.«
»Es wird der Tag kommen, wo du für dich selber kämpfen wirst.«
Katharina legte das Schwert andächtig vor sich auf den Tisch.
»Kurtz wäre sicher begeistert von der Idee. Leibwächter mit Schwertern«, sagte Lutz.
»Die Yakuza verschaffen sich bereits seit Jahrhunderten Respekt mit dem Schwert«, stimmte Hiroshi ihm zu.
***
Sie waren schon halb aus der Tür des Dojos, da drehte sich Katharina noch einmal um: »Sensei? Sie unterrichten seit fünfzig Jahren?«
Der kleine Japaner lachte. »Siebenundsiebzig ist ein gutes Alter, wie ich finde.«
***
Katharina hatte zwei Nachrichten auf ihrer Mailbox. Polanski und Frank Grüngoldt. Polanski bat sie dringend um Rückruf. Also tippte sie die Kurzwahltaste.
»Katharina! Endlich. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.«
»Wieso? Haben Ihre Jungs mich nicht mehr im Visier?«
»Sie haben sie abgehängt. – Aber deswegen … Passen Sie auf. Der Mann, der Sie vorhin angegriffen hat, ist Andrej Chrabrijewskow.« Polanski musste den Namen geübt haben, denn er kam ihm fehlerfrei über die Lippen. »Ein Ex-KGBler, der offenbar als Killer arbeitet. Seine Pistole ist letzten Monat für einen Mord in Frankreich benutzt worden.«
Das konnte ja noch lustig werden. »Seit wann arbeiten die Russen und die Südamerikaner so eng zusammen?«
»Nicht die Südamerikaner. De Vega«, antwortete Polanski. »Es sieht so aus, als hätten die einen Deal abgeschlossen, schon vor einiger Zeit. – Das ist nicht gut, Katharina. Mit den Russen ist nicht zu spaßen.«
»Ich bin doch gut bewacht, oder?«
»Ja, aber dennoch sollten Sie vorsichtig sein. Das BKA übernimmt übrigens jetzt den Personenschutz. – Und halten Sie den Kopf in Deckung. Keine Extratouren. Versprochen?«
»Versprochen, Chef.«
»Irgendetwas Neues über Melanie Wahrig?«
»Viele Spuren, wenig Konkretes.«
»Bleiben Sie dran. Aber kein Risiko. Und keine Dummheiten. – Und sagen Sie nicht, ich würde Ihnen den ganzen Spaß verderben.«
***
»So eine richtig echte Ermittlung?«
Frank Grüngoldt starrte Katharina ungläubig an.
»Eine richtige Ermittlung, aber nicht offiziell. Deshalb frage ich Sie. – Melanie Wahrig ist meine Nachbarin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ermordet wurde, kann es aber nicht beweisen. Das Einzige, was mir hilft, ist ein Geständnis. Aber dazu brauche ich einen Verdächtigen.«
»Und ich? Was soll ich tun?«
»Mir helfen, Zugang zum Computer von Melanie Wahrig zu bekommen.«
»Cool! Klar! Wo steht denn der Rechner?«
Katharina führte Frank Grüngoldt in Melanie Wahrigs Arbeitszimmer.
***
»Ganz was Feines«, sagte der Bürgermeisterinnenspross, nachdem er eine Weile über dem Rechner meditiert hatte. »Stick und Fingerabdruckscanner. Sicherer geht es fast nicht. Den Stick haben Sie nicht?«
»Nein. Leider nicht.«
Frank Grüngoldt versank erneut in Meditation über dem Rechner.
»Und?«, fragte Katharina nach einer Weile.
»Ich müsste was basteln. Doch dazu muss ich den Rechner mitnehmen. Hier habe ich nicht das Werkzeug.«
»Aber Sie kriegen das hin?«
»Klar. Ich muss den Schutz halt irgendwie überbrücken.«
»Und bis wann?«
»Hm, morgen Nachmittag sollte zu schaffen sein.«
»Danke. – Ach ja, falls Ihre Mutter fragt …«
Der Junge zwinkerte Katharina zu. »Schon klar. Das ist Ihr Rechner, und der hat eine kaputte Festplatte, die ich austauschen soll.«
Der Kleine lernte wirklich fix. Vielleicht konnte sie wirklich mal mit Polanski über einen Praktikumsplatz für ihn reden.
***
Who’s Afraid of the Big Bad Wolf
Mittwoch, 28. November 2007
Katharina war genau in der richtigen Stimmung, jemanden zu erschießen.
Fast zu spät war sie an diesem Morgen aus ihrem üblichen Albtraum hochgeschreckt. Dann hatte Laura nicht in den Kindergarten gehen wollen und deswegen bitterlich geweint. Erst als Lutz ihr versprach, sofort zu kommen, wenn jemand sie ärgerte, beruhigte sie sich.
Wider Erwarten gerade noch pünktlich war Katharina auf den Parkplatz vor der Agentur stop! eingebogen und die Treppe in der umgebauten Fabrik hochgestürmt.
Sven Langstroem, der Fotograf, hatte sie gemustert, mit den Schultern gezuckt und gemurmelt: »Na ja, für ein Layout reicht’s.«
All das hätte sie ja noch verkraften können. Auch dass das Visagisten-Wesen in ihre Garderobe platzte, als sie gerade beim Umziehen war, ihren Busen musterte und meinte, wenn Katharina weiter im Geschäft bleiben wolle, bräuchte sie aber etwas mehr davon. Aber als das Wesen Katharinas Haut, auf die sie besonders stolz war, als »problematische Mischhaut! Hilfe, da müssen wir heute Morgen ja einiges tun!« bezeichnete, überkam Katharina das dringende Bedürfnis, ganz schnell jemanden zu erschießen.
Doch leider war weit und breit noch kein Opfer zu sehen. Stattdessen stand sie in der Mitte des weißen, grell ausgeleuchteten Fotostudios, die Pistole im Anschlag; eine Windmaschine ließ ihr Haar wehen und bauschte den langen, schwarzen Mantel auf, in den der Fotograf sie gesteckt hatte. Sven Langstroem kommandierte bald in diese, bald in jene Pose, immer im Wind der Windmaschine, immer die Waffe im Anschlag. Katharinas Gefühl nach mussten Stunden vergangen sein, bis Sven Langstroem endlich zufrieden brummte. Wigo hob den rechten Daumen und reichte ihr eine Tasse Kaffee aus dem Automaten. Der war bitter, aber wenigstens heiß.
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