»Was wollen Sie denn damit sagen?« Thomas Hartmann stand drohend auf.
Lutz ließ die Knöchel knacken: »Hasse Männer, die Frauen schlagen. Ist übrigens strafbar.«
Besser hätte es Katharina auch nicht formulieren können.
***
Kaum war die schwere Tür hinter Lutz und Katharina ins Schloss gefallen, hörten sie Thomas Hartmann schreien: »Torben! Komm sofort hierher!«
Lutz sah zu Katharina: »Glaubst du, die haben was mit dem Mord zu tun?«
Katharina runzelte die Stirn: »Was denkst du?«
»Ich bin zwar kein Polizist, aber wenn du mich fragst, wussten beide nichts von Melanie Wahrigs Tod.«
»Sehe ich auch so. Aber sicher ist sicher. Morgen lassen wir auch die DNA von Thomas Hartmann überprüfen.«
Lutz nickte.
Katharina sah zu dem großen Mann hoch: »Elfie hat übrigens nach dir gefragt.«
»Hmhm.«
»Und nach der Konkurrenz. Anderen Frauen.«
»Hmhm.«
»Und …«
»Hmhm. – Was und?«
»Nichts. Nicht so wichtig.«
»Was?«
Katharina war ein paar Schritte vorgegangen. Schwungvoll wollte sie in ihren Wagen steigen. Doch Lutz hielt sie auf: »Katharina!«
»Sie hält dich für schwul.«
Das zeigte Wirkung: »Was? Ich bin doch nicht …«
»Das habe ich ihr auch gesagt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mir geglaubt hat. Du weißt doch, wie Frauen manchmal sind.«
»Und jetzt? Ich meine …«
Männer. So viel Spaß hatte sie nicht mehr gehabt, seitdem sie Oswald von der Notrufzentrale bezichtigt hatte, ein latenter Hetero zu sein: »Tja, du wirst wohl mit ihr Tee trinken müssen.«
Katharina stieg in ihr Auto. Im Rückspiegel sah sie, wie Lutz zum Golf der beiden Leibwächter zurückstapfte. Durch die noch offene Tür hörte sie ihn murmeln: »Und wie ich mit ihr Tee trinken werde …«
Mission erfüllt.
Laura fragte vom Rücksitz: »Hast du Torbens Papa verhaftet?«
»Nein, Schatz.« Katharina drehte sich um. Laura starrte schmollend auf den Fußboden.
»Aber ich habe ihm ganz doll Angst gemacht. Der sagt so was bestimmt nie wieder über deine Mama.«
»Und wenn Torben mich wieder haut?«
»Dann haust du ganz fest zurück.«
»Das kann ich nicht. Er ist doch viel größer als ich.«
»Schau mal, viele Männer sind auch viel größer als ich. Aber ich haue die auch, wenn sie mich hauen.« War das pädagogisch geschickt? Wenigstens war es die Wahrheit.
»Echt?«
»Echt. So was muss man als Polizistin können.«
Laura versuchte zu lächeln. »Zeigst du mir, wie das geht?«
Katharina wollte sie erst vertrösten. Aber warum eigentlich nicht?
Sie startete den Motor, wendete schwungvoll über den gepflegten Rasen und fuhr aus der Einfahrt. An der nächsten Kreuzung bog sie ab. Richtung Bornheim. Zu Hiroshi Yamotos Dojo.
***
Laura lernte wirklich schnell. Katharina kniete vor ihr, drückte Lauras Kopf mit der Hand weg, doch Laura griff zu und drehte Katharina den Arm auf den Rücken.
»Sehr gut«, lobte Katharina das Mädchen, als sie sich wieder aufgerappelt hatte. Sie hatte eine harmlose Hebeltechnik ausgesucht, die diesem Torben einen ordentlichen Schrecken einjagen, ihn aber nicht ernsthaft verletzen würde.
Sie verneigte sich vor Laura, die sich ebenfalls ernst verbeugte.
»In dem Alter habe ich auch angefangen zu lernen.«
Katharina erschrak. Sie hatte nicht gemerkt, wie ihr Lehrer herangekommen war.
»Bist du ein Ritter?« Laura starrte Hiroshi unverhohlen neugierig an. Er trug seine Kendo-Rüstung. Den Helm hatte er unter den Arm geklemmt.
Hiroshi lächelte geehrt. »Nein. Kein Ritter. Obwohl meine Familie eine alte Samurai-Familie ist. Weißt du, was ein Samurai ist?«
Laura schüttelte neugierig den Kopf.
»Das ist ein Ritter, dort, wo ich herkomme. Aus Japan.«
»Echt? Dann bist du ja doch ein Ritter.«
»Nein. Samurais gibt es nicht mehr. Genauso wenig, wie es hier Ritter gibt. Leider.« Hiroshi wandte sich an Katharina: »Bereit, deine Lektion vom letzten Mal zu überprüfen?«
Es gab keine Widerrede. Katharina beruhigte Laura sicherheitshalber: »Pass auf: Wir üben nur. Das ist nicht echt. Verstehst du?«
Laura zuckte mit den Achseln. »Klar. Wie Ritter. Die müssen auch immer üben.«
Sie setzte sich artig an den Rand der Matte und sah den beiden neugierig zu.
Katharina konzentrierte sich, während sie ihren Helm aufsetzte und festband. Sie lockerte kurz die Arme und Schultern und schwang ihr Shinai ein paarmal probehalber durch die Luft. Es lag gut in der Hand. Sie verneigte sich vor ihrem Lehrer und ging in Kampfstellung.
Hiroshi griff sofort an. Doch Katharina blockte jeden Schlag sauber ab. Sie erzielte Punkt um Punkt und hielt sich ihren Lehrer dabei stets vom Leibe. Hiroshis Körperhaltung spannte sich. Er würde doch nicht selbst den Fehler begehen und zornig werden?
Er schoss vor und verwickelte sie in einen schnellen Schlagabtausch, der sie fast bis zum Rand der Matte trieb, bevor sie parieren konnte. Jetzt jagte sie ihn. Hiroshi wich einem Schlag aus, sprang zurück. Ohne Vorwarnung drehte er um und rannte mit erhobenem Schwert auf Laura zu.
Was sollte das denn? Keine Zeit zu überlegen.
Erst im letzten Augenblick konnte Katharina das Shinai ihres Lehrers blocken. Mit aller Kraft stieß sie Hiroshi zurück. Er stolperte. Katharina setzte ihm nach und ließ ihr Übungsschwert mit einem mächtigen Schlag auf das ihres Lehrers krachen. Hiroshis Shinai zerbarst. Bambusstreifen regneten auf ihren Lehrer herab, der sich auf den Rücken fallen ließ. Katharina hielt ihm ihr Schwert direkt vor die Maske. Den Bruchteil einer Sekunde später hörte sie es scharf klicken. Hans und Lutz standen neben ihr, ihre Pistolen im Anschlag.
Sie ließ das Schwert sinken: »Lasst gut sein. Das ist nur japanischer Humor.«
»Sehr witzig«, grummelte Hans, während die beiden ihre Waffen wieder wegsteckten. Katharina sah, dass sich ihr Lehrer schon wieder aufrappelte. Wachsam ging sie rückwärts zu Laura, während sie ihren Helm abnahm. Hiroshi im Auge behaltend, kniete sie sich neben das Mädchen, das totenblass neben der Matte saß. Sie legte einen Arm um sie. Laura ließ sich an sie sinken. »Es ist alles in Ordnung, Laura. Das war nur ein Witz.«
Auch Hiroshi nahm den Helm ab. Er sah ernst aus. »Kein Witz. Ein Test. – Schau mal auf deinen Brustpanzer.«
Katharina sah an sich herab. Über ihrer linken Brust steckte ein Wurfstern tief im festen Leder des Panzers. Sie zog ihn heraus.
»Und?«
»Im Kampf hätte das tödlich geendet.«
»Für uns beide«, erwiderte Katharina. »Jeder Samurai muss in der Lage sein, nach seiner Enthauptung noch den entscheidenden Schlag zu tun, wenn ich mich recht erinnere. Und ich denke, mein Schlag war ziemlich entscheidend.« Sie deutete auf die Splitter des Schwerts auf dem Boden.
»In der Tat. Ein präziser und starker Schlag. – Aber was wäre mit dir?«
»Was mit mir wäre, ist mir reichlich egal. Niemand greift in meiner Gegenwart ein Kind an.«
Hiroshi neigte anerkennend den Kopf. Dann sammelte er die Splitter seines Schwerts ein.
***
Zornig hatte Katharina sich umgezogen. Was hatte sich Hiroshi nur bei dieser Aktion gedacht? Als hätte Laura nicht schon genug mitgemacht.
Hans, Lutz, Laura und Hiroshi standen bereits im Büro des Lehrers. Hiroshi spielte mit einer seiner scharfen Klingen. Noch so eine Demonstration?
Als Katharina gleichfalls in das Büro kam, nahm Laura sie ganz fest an der Hand und versteckte sich hinter ihr.
Hans fragte gerade: »Und was, wenn Katharina nicht schnell genug gewesen wäre? Was, wenn Sie Laura getroffen hätten?«
Zur Antwort ließ Hiroshi die Klinge, die er in der Hand hielt, durch die Luft sausen. Sie kam nur Millimeter von Hans’ Hals entfernt zum Stillstand.
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