»Ehrenwort? Und ihr sagt niemandem, dass ich die Proben für euch analysiert habe?«
»Niemand wird erfahren, dass diese Proben überhaupt existieren.«
»Also schön.« Torsten Kleinau deutete auf das mit einem medizinisch-blauen Tuch abgedeckte Tablett auf dem Tisch vor ihm.
Katharina zog ihre Proben aus der Handtasche und legte die Plastikbeutelchen vor ihn hin. »Hier, einfach nur identifizieren. Und wenn es irgendwelche Übereinstimmungen gibt, wäre ich für eine diskrete Notiz ganz dankbar.«
»Okay. Ich mache mich gleich an die Arbeit.«
»Und das hier …« Andreas Amendt zog ein Teströhrchen aus der Tasche. »Davon hätte ich gern ein komplettes Genprofil. So wie bei den Unterlagen, die ich dir gestern gezeigt habe.«
Torsten Kleinau sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an: »Lass mich raten: dein perfektes Kind?«
»Ich glaube, das willst du gar nicht so genau wissen.«
Der DNA-Analytiker lachte. »Okay. Einmal DNA mit allem. Aber ich sage dir jetzt schon, dass du enttäuscht sein wirst.«
***
Wie versprochen hatte Lutz wegen Henthen herumtelefoniert. »Ein paar von den Mädchen in Kurtz’ Bordellen kennen ihn. Prahlt ziemlich damit, was er ist. Ansonsten völlig normal. Keine Sonderwünsche. Zockt aber regelmäßig im Goldtaler.«
Katharina pfiff durch die Zähne. Der Goldtaler war einer von Kurtz’ Läden. Er lag in einer Seitenstraße der Konstabler Wache und war nach außen eine ganz normale Kneipe. Im Hinterzimmer lief jedoch ein illegaler Spielbetrieb. Dort spielten jedoch ausschließlich Menschen, die man nicht guten Gewissens in die richtigen Spielrunden lassen konnte: reiches, dummes Volk, das sich einmal richtig verwegen fühlen und in einer echten Unterweltkneipe zocken wollte. Damit niemand Schaden nahm, hatte Kurtz den Goldtaler eingerichtet. Eine Handvoll arbeitsloser Schauspieler schufen Abend für Abend fast ganz echte Unterweltstimmung: Zuhälter, leichte Mädchen, hin und wieder eine kleine Schlägerei. Die Besucher gingen mit moderaten Gewinnen oder Verlusten nach Hause. Dazu waren die Croupiers angewiesen.
»So, so. Unser Doktor spielt. Hat er Schulden?«, fragte Katharina.
»Kurtz sagt, nein. Nicht in seinen Läden«, antwortete Lutz.
»Denken Sie, das hat etwas zu bedeuten?«, fragte Andreas Amendt Katharina.
»Geld ist immer ein Motiv. Immerhin wurde Alexandra Taboch offenbar für die Schwangerschaft bezahlt. Oder haben Sie sonst eine Erklärung, warum sie auf einmal alle Schulden begleichen konnte?«
»Sie meinen, die kleine Johanna ist ein Kind auf Bestellung?«
»Leihmutterschaft ist zwar illegal, aber zumindest würde es erklären, warum Henthen unbedingt die Adoption durchsetzen will. Und so ein ›perfektes Kind‹ könnte einen sehr hohen Preis erzielen.«
»Vielleicht braucht er für andere Dinge Geld«, warf Hans ein. »Gierige Ehefrauen, Alimente, Börse, Drogen …«
»Nein, er ist kein Drogentyp«, widersprach Andreas Amendt. »Außerdem kommen Ärzte gut und billig an fast jeden Stoff.«
»Und was ist mit Drittmitteln?«, schlug Lutz vor. »Vielleicht geht’s ja um sein Institut.«
»Ich glaube, da hat er keine Probleme. In die Reproduktionsmedizin fließt ziemlich viel Geld. Trotzdem schadet es vielleicht nichts, sich mal ein wenig umzuhören. Ich kenne da jemanden, der genau die richtigen Verbindungen dafür hat.« Andreas Amendt griff zum Telefon. »Grüß dich, Paul! – Ich bin’s, Andreas.«
Es folgten ein paar Minuten Small Talk. Katharina befürchtete schon, er habe das wahre Anliegen seines Anrufs vergessen.
»Sag mal, was ganz anderes. Ich müsste mal auf dein Wissen zurückgreifen. – Ja, es geht um Henthen. Wir fragen uns, ob sein Institut irgendwelche Probleme hat. – Stimmt, besser nicht am Telefon. – Gut, wir kommen morgen Nachmittag vorbei.« Er verabschiedete sich. Dann erklärte er Katharina: »Das war Paul Leydth, mein ehemaliger Doktorvater. Er hat uns morgen Nachmittag zum Kaffee eingeladen. Wir könnten Laura mitnehmen. Paul mag Kinder. Und Laura wird es dort gefallen. Schönes Haus mit einem tollen Garten.«
Laura? Katharina sah erschrocken auf die Uhr. »Hilfe, ich muss los. Laura vom Kindergarten abholen.«
»So früh schon?«
»Ich will vorher noch kurz nach Hause. Sehen, ob ich mit dem Passwort weiterkomme, das ich in der Agentur gekriegt habe. Für Melanie Wahrigs Rechner. Und ich will Laura nicht unbedingt mit in die Wohnung ihrer Mutter nehmen.«
Andreas Amendt stimmte ihr zu: »Sehr vernünftig.«
Ein Händedruck, ein unverbindliches »Bis morgen!«.
Katharina stellte erstaunt fest, dass sie das traurig machte.
***
Das Gesicht des Mannes, der Katharina, Hans und Lutz aus der Hofeinfahrt zu Katharinas Haus entgegentrat, lag im Schatten einer Kapuze: »Katharina Klein?«
Er wartete die Antwort nicht ab und griff in seine geöffnete Jacke.
Auch das noch!
Katharinas Fuß schnellte vor und traf den Arm des Mannes mit voller Wucht. Gleichzeitig ließ sie ihre Handtasche von der Schulter rutschen und mit Schwung auf den Kopf des Mannes krachen. Die Bleieinlage im Taschenboden zeigte Wirkung. Der Mann sackte nach vorn, nur um gleich von Katharinas Knie wieder hochgerissen zu werden. Eine Sekunde stand der Mann aufrecht. Die Pistole mit Schalldämpfer rutschte aus seiner Hand und schlug klappernd auf den Gehsteig. Dann fiel der Mann nach hinten. Sein Kopf knallte auf das Pflaster.
Katharina stürzte sich auf den Mann und riss ihn am Kragen hoch. Mit der freien Hand zog sie die Stockert & Rohrbacher Modell 1 aus ihrer Handtasche und hielt dem Mann die Mündung an die Stirn.
»Wer schickt dich? Und wen hat er noch geschickt?«
Der Mann kniff die Lippen zusammen. Katharina stieß seinen Kopf zurück auf das Pflaster. Dann zeigte sie ihm den Griff ihrer Pistole und deutete auf die in Gold eingravierten Kerben. »Max Boroffski! Miquel de Vega!«
Die Namen ließen den Mann zusammenzucken.
Sie deutete eine dritte Kerbe an: »Du!«
Dann richtete sie die Waffe wieder auf die Stirn des Mannes: »Eins … zwei …«
Der Mann schloss angsterfüllt die Augen. Er murmelte »De Vega!« und ein russisch klingendes Wort.
»Das heißt ›Schwester‹«, übersetzte Lutz.
»Ich bin nicht deine Schwester.« Mit dem Griff ihrer Waffe verpasste Katharina dem Mann einen wohldosierten Kinnhaken. Er sackte ohnmächtig zusammen. Katharina stand auf. Sie roch Urin. Die Hose des Mannes war nass im Schritt. Und so jemand arbeitete als Killer.
Endlich hatten auch die beiden Polizisten im unauffälligen Opel – der von Polanski geschickte Polizeischutz –, bemerkt, dass etwas passiert war. Sie kamen herangelaufen, ihre Pistolen aus den Holstern nestelnd. Was für Dilettanten! Wenigstens hatten die jetzt das Vergnügen, den Mann ins Polizeipräsidium zu bringen. Schnell ließ Katharina ihre Waffe verschwinden.
In einer Leistungsschau glänzend koordinierter operativer Hektik drehten die beiden Polizisten den Ohnmächtigen auf den Bauch und legten ihm Handschellen an, während Katharina Handschuhe und eine Plastikhülle für Beweismittel aus ihrer Handtasche zog. Mit spitzen Fingern sicherte sie die Waffe des Killers, ließ das Magazin herausfallen und packte beides in die Hülle. Sie zog den Schutzstreifen des Klebeverschlusses ab und verschloss den Beutel sorgfältig.
Nachdem die beiden Polizisten den langsam wieder zu sich Kommenden an eine Mauer gelehnt hatten, richteten sie sich auf.
»Das war aber in letzter Sekunde«, sagte einer der beiden. »Jetzt sehen Sie, was passiert, wenn wir nicht ständig in Ihrer Nähe sind.«
Hans holte Luft, doch Katharina unterband die Schimpfkanonade mit einer knappen Geste. »Dann bringen Sie den Mann mal ins Präsidium. Polanski wird sich freuen. Ach ja, Sie sollten ihn vorher vielleicht noch nach weiteren Waffen durchsuchen.«
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