Katharina nickte. Wenigstens etwas.
Lutz schwieg. Doch nach einer Weile sagte er: »Hat mich eingeladen. Zum Tee.«
»Elfie?«
Lutz brummte zur Bestätigung.
Katharina trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad: »Komm schon, Lutz. Spann mich nicht auf die Folter. Hast du angenommen?«
»Hab gesagt, dass ich schaue, ob ich Zeit hab. Viel zu tun und so.«
»Magst du sie nicht?«
»Doch, schon.«
»Aber?«
»Weiß nicht. Frauen und so. Will keinen Stress.«
So konnte man es natürlich auch sehen.
***
Die Werbeagentur stop! residierte in einem alten Fabrikgebäude in der Hanauer Landstraße. Sie bogen auf den Firmenparkplatz ein und stellten sich auf den Bereich, der mit »stop! here for your success!« gekennzeichnet war.
Die alte stählerne Doppeltür, die zu den Räumen von stop! führte, war von einem Graffiti-Künstler bunt bemalt worden. Katharina wuchtete sie auf und ging zielstrebig auf die Empfangsdame zu. Sie war blond; ihre üppigen Kurven waren in ein zu enges Kostüm gezwängt. Auf ihrer Brust prangte ein achteckiges Namensschild: »stop! Mein Name ist Sarah«.
»Guten Morgen, mein Name ist Katharina Klein. Ich komme wegen Melanie Wahrig und –«
»Gut, dass Sie kommen. Herr Beyer hat schon auf Sie gewartet«, unterbrach Stop!-Mein-Name-ist-Sarah sie schwungvoll. Sie griff zum Telefon. »Hasko, der Copywriter von Frau Wahrig ist am Front Entrance.«
Ein Stück entfernt von ihnen sprang eine Tür auf. Ein graumelierter, sportlicher Mann kam herausgestürmt. Er eilte auf Katharina zu und streckte ihr die Hand entgegen.
»Hasko Beyer, CEO von stop! Gorgious, dass sie kommen konnten. Wir haben Sie schon gestern erwartet. Kommen Sie.« Während er ihr noch die Hand schüttelte, zog er sie bereits mit sich durch die Tür, durch die er gekommen war.
Ein großer Tisch, umstanden von hochlehnigen Stühlen: offenbar ein Konferenzraum. Die drei Männer, die sich über den Tisch gebeugt hatten, sahen auf, als Katharina und Hasko Beyer hereinkamen.
«Okay, Boys«, hob Hasko Beyer an. »Das hier ist der neue Copywriter, den uns Melanie proposed hat. Ihr Name?«
»Katharina Klein«, antwortete Katharina unsicher. Irgendetwas lief hier gerade ganz schwer an ihr vorbei.
»That’s Hartmut Farber, Art-Director.« Der Mann, der ihr die Hand reichte, mochte Mitte fünfzig sein. Er hatte sein schütteres, graues Haar kurz geschnitten. Seine Augen lagen tief zwischen scharfen Müdigkeitsfältchen.
»Wigo Bach, Chief Conceptioner.« Der Mann war braungebrannt, drahtig, hatte einen Dreitagebart und kurze, übersorgfältig frisierte Haare: Oswald aus der Notrufzentrale würde sofort anfangen, zu schmachten.
»Ernesto Langmann, Customer Contacts.« Ende zwanzig. Eine dekorative Mischung mit einem guten Schuss Südamerika. Das dunkelrote Hemd spannte sich über seiner bodybuildinggestählten Brust.
»Und that ist unser Problem.« Hasko Beyer deutete auf den Tisch.
Dort lag, auf einem roten Samtkissen …
… eine Stockert & Rohrbacher Modell 1.
Um die Pistole herum, sorgfältig auf schwarze Pappen aufgeklebt: Plakate, Prospektseiten, Anzeigen.
»Ich hoffe, Sie haben not problems mit Waffen.«
Katharina schüttelte den Kopf. Wenigstens konnte sie zu dem Thema etwas halbwegs Intelligentes von sich geben.
»Der Customer hat unsere Designs für die Campaign rejected. Wir diskutieren gerade das Why«, erläuterte Hasko Beyer.
Okay, der Kunde hatte also die Entwürfe abgelehnt. Jetzt ging es, soweit Katharina verstanden hatte, um das Warum. Sie lehnte gleichfalls über den Tisch, in der Hoffnung, so halbwegs kompetent und interessiert zu wirken. Fast im gleichen Moment wusste sie bereits, was an den Entwürfen nicht stimmte: Das zentrale Motiv war die Modell 1, vor blauem Hintergrund, im Licht glänzend. »Perfection in Precision« stand darüber in weißen, plastischen Lettern. Im Hintergrund eine Gewehrzielscheibe mit zerlöchertem Zentrum. Katharina konnte sich gut vorstellen, wie die beiden Waffenschmiedinnen darauf reagiert hatten.
Nun denn, sie hatte nichts zu verlieren, wenn sie weiter mitspielte. »Das Plakat ist Blödsinn. – Das hier …« Katharina nahm die Waffe an sich. »… ist eine Defensivwaffe. Kein Sportgerät. Einfach zu bedienen, gut einzustellen, leicht zu ziehen und zu tragen. Für Leute, die mit der Waffe mehr anrichten wollen, als Scheiben zu lochen. Und nichts, aber auch gar nichts, findet sich davon auf dem Plakat.«
Die Männer nickten beschämt. Katharina fuhr mutiger fort: »Diese Waffe soll Schaden anrichten. Einen gewalttätigen Angriff abwehren. Wie alle Waffen von Stockert & Rohrbacher.«
»Aber es sind doch Präzisionswaffen?«, fragte Wigo Bach schüchtern.
»Natürlich. Die besten, die es gibt. Und die teuersten. Jeder, der mit Schusswaffen arbeitet, weiß das.«
»Und was –?«
»Das …«, Katharina deutete auf das Plakat, »das ist ein Sportspielzeug für reiche Waffennarren. Das hier …«, sie hielt wieder die Waffe hoch, »… ist eine Pistole für Leute, die sie auch brauchen. Polizisten, Militär.« Kriminelle, fügte sie für sich hinzu. »Dafür ist sie entworfen worden. Die Modell 1 hat eine richtige Seite.«
Sie zeigte Hasko Beyer den Blick über das Visier der Waffe.
»Und eine verdammt falsche!« Katharina richtete die Pistole auf die vier Männer. Hasko Beyer und Hartmut Farber hoben erschrocken die Hände. Ernesto Langmann ließ sich auf den Boden fallen und schlug die Arme über den Kopf.
Befriedigt legte Katharina die Waffe zurück auf den Tisch. Die Männer waren blass, ihre Augen groß wie Untertassen.
»Bloody brillant«, stammelte Hasko Beyer. »Das war sehr impressing, Frau Klein. Aber eine Campaign …«
»Die Waffe soll als Einsatzwaffe verkauft werden. Und das hier ist … Nicht mal die Zielscheibe im Hintergrund stimmt.«
»Warum denn nicht?«, fragte der Art-Director schmollend.
»Das ist eine Zielscheibe für Gewehre. Jeder, der sich mit Waffen auskennt, sieht das sofort.«
»Sie wissen aber viel darüber.« Hasko Beyer verfiel vor Schreck ins Deutsche.
»Ich war beim Law Enforcement, bevor …« Katharina bremste sich. Jetzt fing sie auch schon mit diesem Sprach-Mischmasch an.
»Und Sie glauben, eine Campaign ›richtige Seite, falsche Seite‹ wird vom Customer appreciated?«
Katharina dachte daran, mit welchem Vergnügen die beiden Waffenschmiedinnen eine Schaufensterpuppe in Stücke geschossen hatten: »Oh ja!«
***
Hasko Beyer führte Katharina in ein Eckbüro mit großen Fenstern. Er bot ihr einen Platz an, während er selbst in seinen Bürosessel fiel.
»Ich bin wirklich impressed. Jetzt müssen wir Ihren Preis negotiaten.«
»Meinen was?«
»Ich möchte, dass Sie das Projekt übernehmen. Konzept und Text. Was ist Ihr Preis? Sie müssten allerdings sofort starten.«
»Eigentlich bin ich wegen Melanie Wahrig hier.«
»Yeah, I know. Sie hat Sie uns wärmstens empfohlen.«
»Nein, deswegen komme ich nicht.« Katharinas Magen zog sich zusammen. Aber jetzt war vermutlich die letzte Gelegenheit. »Melanie Wahrig ist tot.«
»Was?« Hasko Beyer sprang auf.
»Ich habe sie am Donnerstag in ihrer Wohnung gefunden. Am Freitag ist sie im Krankenhaus gestorben.«
»Das ist ja …« Hasko Beyer brach ab.
»Ich weiß, das ist sicher ein Schock.«
»Das ist eine Katastrophe. Wissen Sie, an wie vielen Projekten sie für uns gearbeitet hat? Wer soll das denn jetzt alles übernehmen?« Hasko Beyer rieb sich über das Gesicht und hob dann den Kopf wieder. »Aber Sie sind doch Texterin?«
Katharina hasste sich für das, was sie jetzt tat. Aber das hier war ihre beste Spur. Wer so über Menschen sprach …
»Ja«, sagte sie fest.
»Ich kann Ihnen für die Campaign zwei fünf zahlen.«
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