Danke, Hölsung, dachte Katharina. Warum hast du es nicht gleich als Postwurfsendung verteilt?
»Und Sie? Schon wieder an einem neuen Fall?«, fragte die Oberbürgermeisterin neugierig.
»Nun, ehrlich gesagt …«
»Ich verstehe schon, Sie dürfen nicht darüber reden.«
»Nein, ich bin suspendiert.«
»Suspendiert? Doch nicht wegen …«
»Doch! Leider.«
Walpurga Grüngoldt sprang auf. »Das ist ja ein Skandal! Ich werde sofort mit Kriminaldirektor Polanski reden. Seine beste Beamtin – eine Heldin – suspendiert.«
»Ach, Polanski sitzt in der Küche!« Katharina wusste nicht, was sie ritt. Vielleicht wollte sie sich dafür rächen, dass ihr Chef ihr die Identität der Toten verschwiegen hatte. Walpurga Grüngoldt stürmte aus dem Wohnzimmer.
»Polanski! Das ist ja ein Skandal!«, drang ihre Stimme aus der Küche. »Suspendiert! Eine Heldin suspendiert!«
Ein paar Sekunden später schleifte die Oberbürgermeisterin Polanski ins Wohnzimmer und schubste ihn auf einen Sessel. »Suspendiert? Einen Orden hat Frau Klein verdient. Sie hat meinem Sohn das Leben gerettet.«
Polanski fasste sich wieder: »Ganz meine Meinung, Frau Grüngoldt. Aber leider steht Aussage gegen Aussage. Der verdeckt ermittelnde Beamte, den Frau Klein festgenommen hat …«
»Der Typ mit dem Geldkoffer war Polizist?« Frank Grüngoldts Stimme überschlug sich fast.
»Ja. Er sagt, er hatte die Situation unter Kontrolle.«
»Was?«, riefen Mutter und Sohn gleichzeitig schrill.
Frank Grüngoldt erklärte: »Der Typ hat sich doch angepisst vor Angst. – Entschuldigung, Mama.«
»Weiter, Frank! Erzähl, was passiert ist.«
»Der hat sich doch in seine Ecke verkrochen. Und gewimmert wie ein Kind. Erst hat der eine einen Mann erschossen …«
»Meinen Partner. Thomas Henrich«, warf Katharina ein.
»Und dann wollten die abhauen. Uns Männer erschießen und die Mädchen als Geiseln nehmen. Doch da kam Gottseidank Frau Klein.«
Polanski hatte aufmerksam zugehört. »Und so ist es wirklich gewesen?«
»Mein Sohn denkt sich so was doch nicht aus. Da können sie auch die anderen drei fragen«, sagte Walpurga Grüngoldt entrüstet.
»Keine Sorge, das werde ich tun. Frau Grüngoldt, wären Sie damit einverstanden, dass Ihr Sohn eine offizielle Aussage vor dem Untersuchungsausschuss macht?«
»Mein Sohn ist volljährig, Herr Polanski.«
»Natürlich sage ich aus. Und meine Freunde auch.« Frank Grüngoldt hatte trotzig die Arme verschränkt.
»Hervorragend.« Der Kriminaldirektor nickte anerkennend.
***
Nach und nach gingen die Gäste. Walpurga Grüngoldt gab Katharina zum Abschied ihre Visitenkarte. Sie solle sich melden, wenn sie irgendetwas brauche. Katharina steckte die Karte in den Rahmen des Spiegels im Flur.
Andreas Amendt verabschiedete sich als Letzter. Katharina brachte ihn zur Tür. »Danke«, sagte sie leise. »Für das Essen, für die CD.«
»Das ist mir …«
»Nein. Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit.«
Andreas Amendt musterte sie. Sein Blick war undurchdringlich.
»Was ist?«, fragte Katharina.
»Ach nichts. – Vielleicht wirklich.«
Ohne nachzudenken stellte sich Katharina auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange: »Tschüss. Bis morgen.«
Andreas Amendt nickte ihr noch einmal zu. Dann drehte er sich um und ging die Treppe hinunter. Katharina wartete, bis sie die Haustür klappen hörte. Dann schloss sie die Tür und legte die Kette vor.
Morgen würde sie sich die CD anhören. Von Anfang bis Ende.
***
Let’s Face the Music and Dance
Dienstag, 27. November 2007
Der Wecker zeigte viertel vor sieben. Verdammt, sie hatte verschlafen. Erst jetzt bemerkte Katharina den Kaffeegeruch. War außer ihr und Laura noch jemand in der Wohnung? Ach ja, richtig. Hans und Lutz waren bei ihr »auf die Matratzen gegangen«.
Sie tappte in die Küche. Hans, Lutz und Laura saßen am Küchentisch. Lutz hatte einen dicken Wälzer vor sich, Laura malte. Hans las Kalle Blomquist, höchst konzentriert die Wörter mit den Lippen formend.
Lutz blickte auf. »Wollten dich gerade wecken«, brummte er. »Dachten, wir lassen dich ausschlafen.«
Katharina nickte dankbar. Sie murmelte »Guten Morgen«, während sie zur Kaffeemaschine schlurfte.
»Guten Morgen, Katharina. Hast du gut geschlafen?«, fragte Laura.
»Tief und traumlos.«
»Hat dich Susanne nicht besucht?«
»Nein. Sie kommt nicht jede Nacht, weißt du?«
»Mama war bei mir. Die ganze Nacht. Hat mir ganz viel vorgelesen.«
Katharina konnte nicht widerstehen und gab Laura einen Kuss auf das frisch gewaschene Haar.
Dann setzte sie sich mit ihrer Kaffeetasse an den Frühstückstisch. »Lutz, ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Klar.«
»Ich möchte, dass du mit mir zum Kindergarten fährst und Laura reinbringst.«
»Klar.«
»Und ich möchte, dass du dich ein wenig mit der Kindergärtnerin unterhältst.«
»Keine Frauen, keine Kinder, Katharina!«
»Doch nicht so! – Du sollst … einfach ein bisschen mit ihr plaudern.«
»So wie mit dem Henthen gestern?« Lutz grinste wie ein Haifisch beim Anblick gut gemästeter Touristen.
»Nein, ganz normal reden. Du wirst sehen, was ich meine. Vielleicht erzählt sie dir was Interessantes.«
»Verstehe. – Warum ich? Hans kann das viel besser.«
»Nein, in diesem Fall –«
»Warum sprichst du nicht selbst mit ihr?«, fragte Hans eifersüchtig.
»Weil ich eine Polizistin bin.«
»Tante Elfie mag keine Polizisten«, verkündete Laura. »Sagt immer Bullen. Dabei haben die gar keine Hörner. – Katharina hat keine.« Sie sah Katharina fragend an.
»Nein, und auch meine Kollegen nur sehr selten.« Katharina unterdrückte ein Grinsen. Kuhhörner wären für Berndt Hölsung ein echtes Upgrade. »Ach, Lutz? Was hältst du eigentlich von diesem Henthen?«
»Nullnummer. Schätze mal, die Fischer-Lause übernimmt bei denen das Denken. – Werde mal ein paar von den Mädchen anrufen, später. Sieht mir aus wie ein typischer Kandidat für den Edelpu–«
»Mach das.« Katharina hob abwehrend die Hand.
Hans fragte: »Und was machen wir sonst so, heute?«
»Ich fahre nachher mal in die Werbeagentur, für die Lauras Mutter gearbeitet hat. – Da werdet ihr wohl im Wagen warten müssen.«
Hans zuckte mit den Schultern. »Kein Problem! Kann ich das Buch mitnehmen? Ist gerade so spannend.«
»Natürlich.«
Lutz schlug Hans auf den Rücken. »Bin stolz auf dich, Kleiner. Ein ganzes Buch!«
***
»Warum machst du dich eigentlich über Hans lustig, Lutz? Ich meine, über seine Lesegewohnheiten? Ist doch sonst nicht deine Art?«, fragte Katharina. Nachdem sie Laura im Kindersitz angeschnallt hatten, hatte sich Lutz auf den Beifahrersitz von Morris gezwängt. Jetzt schlichen sie durch den Frankfurter Morgenstau. Hans folgte ihnen im zweiten Wagen.
»Mach mich nicht lustig«, grummelte Lutz. »Bin wirklich stolz. Hans war Analphabet. Hab ihm das Lesen beigebracht. – Hat keine schöne Kindheit gehabt, der Hans.«
***
Katharina hielt vor dem Tor des Kindergartens. Lutz stieg aus und ging mit Laura die Stufen zum Eingang hoch. Elfie LaSalle begrüßte ihn überaus freundlich. Sie gingen hinein.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Lutz zurückkam. Katharina steuerte den Wagen wieder in den Verkehr und schaltete das Navigationssystem ein, um sich zu stop! navigieren zu lassen.
»Und?«, fragte sie neugierig. »Was ist mit Elfie LaSalle?«
»Niedlich«, murmelte Lutz. »Intuitive Neo-Marxistin.«
»Hat sie dir was über Laura erzählt?«
»Mag den Vater nicht. Hält ihn für einen Aufreißer. Außerdem war die Mutter immer sehr besorgt um die Gesundheit von Laura. Laura ist aber kerngesund, sagt Elfie.«
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