»Wöchentlich? So oft?«
»Entweder ist Henthen sehr genau, oder Alexandra Taboch war sehr ängstlich.«
»Oder das Kind war besonders wertvoll. – War sie auch bei Fischer-Lause?«
»Ja. Zur genetischen Untersuchung und zur Abstimmung mit dem Kindsvater – eine Samenspende. Anonym, aber genetisch dokumentiert. Ungewöhnlich, aber möglich. – Warten Sie mal.«
Andreas Amendt stand auf und nahm einen Ordner aus dem Regal. Er blätterte schnell. Endlich hatte er gefunden, was er suchte. »Tatsächlich. Alexandra Taboch hat ihre Gene untersuchen lassen. Ziemlich aufwendig. Und dann wurde ein Abgleich durchgeführt.«
»Was ist das?«
»Ich bin mir nicht sicher. Gehen wir doch mal rüber in die DNA. Vielleicht kann uns Torsten weiterhelfen.«
***
In der Mitte des Raums, umgeben von der komplexen Maschinerie des automatisierten DNA-Labors, saß ein junger Mann vor mehreren großen Monitoren.
»Hallo, Torsten«, sagte Andreas Amendt laut.
Der junge Mann reagierte nicht. Amendt tippte ihm vorsichtig auf die Schulter. Der Mann fuhr erschrocken herum. Dann tippte er eine Taste auf einem Gerät, das um seinen Hals hing. »Entschuldigung. Ich habe Musik gehört. – Manchmal hat es auch Vorteile, schwerhörig zu sein«, erklärte er und deutete auf das Kabel, das von dem Gerät zu einem CD-Spieler führte. »Ich kann mich direkt in meine Hörgeräte einklinken. Ziemlich guter Klang sogar. – Und, Andreas, kann ich was für dich tun?«
»Hier, darüber sind wir gestolpert.« Amendt hielt ihm die Blätter hin.
»Moment.« Torsten Kleinau stand auf. Erst jetzt sah Katharina, dass auf seinem Arm eine schwarze Ratte saß, die er nun behutsam hochhob und unter dem Kinn kraulte. Dann setzte er das Tier in einen Käfig.
»Haustiere am Arbeitsplatz?«, fragte Katharina belustigt.
»Leider nicht. Tierversuche. Ich werde sie später leider sezieren müssen.« Er hatte wohl gesehen, wie Katharina das Gesicht verzog, daher fügte er hinzu: »Keine Sorge, das Tier erhält vorher eine Dosis Natrium-Pentobarbital. Ganz human.«
Katharina betrachtete das Tier, das gierig an der Wasserflasche nuckelte. Traurig. Aber das war wohl nötig für den medizinischen Fortschritt.
Torsten Kleinau blätterte den Ausdruck durch, den Andreas Amendt ihm gab: »Das ist eine ziemlich umfassende Genanalyse. So ziemlich alle Risikofaktoren drin.«
»Und was ergab die Analyse?«
»Genau genommen sind das zwei. Mutter und potenzieller Vater. Und die möglichen Kombinationen, soweit wir das bestimmen können.«
»Und?«
Torsten Kleinau blätterte weiter, sah auf die Resultate. Dann lachte er auf und reichte sie Andreas Amendt zurück: »Ein Planspiel.«
»Ein Planspiel?«
»Ja, für das perfekte Kind. Egal in welcher Kombination, die Gene wären extrem gut und sehr geschützt vor Krankheiten wie Krebs oder Kreislauferkrankungen. Einige äußere Faktoren sind auch dabei. Das Kind wäre blond, blauäugig: ein ›Arier‹. Lass mich raten: Das kommt von Henthen?«
»Oder Fischer-Lause.«
»Nein, nicht Fischer-Lause. Sie hat es mehr mit den schönen Mischungen. So wie deine Kollegin.« Er stand auf und reichte Katharina die Hand. »Ich bin übrigens Torsten Kleinau. DNA.«
»Katharina Klein.«
»Die Kill–« Er stockte.
»Ja, die Killer Queen.« Schon wieder dieser verhasste Spitzname.
»Wahnsinn. Ich habe die DNA-Tests für den Spielplatz-Mörderfall gemacht.«
»Ach, dann habe ich Ihnen für die Verurteilung zu danken.«
»Aber Sie haben doch den Verdächtigen gefunden.«
»Und Sie haben bewiesen, dass er es wirklich war.«
Torsten Kleinau errötete vor Stolz, was ihn noch jünger aussehen ließ. Ein recht hübscher Junge, allerdings ziemlich klein. Bis auf seine Hände. Sie hingen an seinen dünnen Armen wie Baggerschaufeln.
»Und diese Planspiele? Wozu dienen die?«, fragte Katharina neugierig.
»Ach, das ist so ein Ding zwischen Henthen und Fischer-Lause. Ein sportlicher Wettkampf. Sie testen hier manchmal fiktive Genkombinationen. – Damit dürfte Henthen aber den Highscore haben. Eine bessere Kombination habe ich noch nicht gesehen.«
»Das hier stammt aus meinen Akten. Das sind reale Untersuchungen«, erklärte Andreas Amendt.
Torsten starrte ihn mit offenem Mund an. »Wirklich? Da muss ein Fehler passiert sein.«
»Und wenn nicht?«
»Dann könnt ihr den Eltern gratulieren. Sie werden ein genetisch perfektes Kind haben. Wenn nichts dazwischenkommt.«
»Dazwischenkommt?«, fragte Katharina.
»Nun, die Zeugung ist so eine Sache. Pater semper incertum est. Der Vater ist immer ungewiss, nicht wahr?«
»Und was würde man machen, wenn man das Kind wirklich so haben will?«
»Hundertprozentig? Dann eine In-vitro-Befruchtung unter strengsten Bedingungen. – Hätte auch den Vorteil, die besten Embryos aussuchen und implantieren zu können.«
»Wird das hier an der Klinik gemacht?«
»Wenn es nach Henthen ginge, ja. Aber die Rechtslage ist ziemlich grau. Grundsätzlich möglich ist es. Die Technik existiert, nur die Gesetze noch nicht.« Torsten Kleinau gab Andreas Amendt die Unterlagen zurück. »Ich bin mir aber sicher, dass das ein Fehler in den Akten war. Ein so perfektes Paar zu finden, ist praktisch unmöglich. Oder jemand wollte dich ärgern.«
»Nein, das hier ist gemacht worden, bevor ich angefangen habe. Da hat sich Doktor Metzel um die DNA-Genehmigungen gekümmert.«
Torsten Kleinau zuckte mit den Schultern. »Nun ja, Metzel …« Er und Andreas Amendt lachten. Doch Katharina kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe.
***
»Ein perfektes Kind? Meinen Sie, Henthen hat Gott gespielt?«
»Eher Frankenstein.« Andreas Amendt lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und streckte sich.
»Da haben Sie Ihr Mordmotiv. Henthen ist ja ganz scharf auf das Kind, wie wir wissen«, sagte Katharina. Sie sah auf die Uhr. Es war schon Viertel nach drei. Um vier Uhr musste sie Laura aus dem Kindergarten abholen. »Tut mir leid, ich muss weg. – Haben Sie Lust, heute Abend zum Essen zu kommen? Laura würde sich freuen.«
Andreas Amendt antwortete unverbindlich: »Mal sehen, ob ich es einrichten kann.«
Katharina war schon an der Tür, als Amendt sie aufhielt. »Hier, die Unterlagen. Ich bin inzwischen misstrauisch, was die Uniklinik angeht. – Und was Melanie Wahrig betrifft: Haben Sie da eine Idee?«
»Vielleicht kann ich ja die Erzeugerkandidaten herausfinden. Ich werde mich morgen mal bei dieser Werbeagentur umhören. Stop!«
***
Während Katharina Morris durch den Nachmittagsverkehr steuerte, malte sie sich aus, was wohl Elfie LaSalle sagen würde, wenn nicht nur sie, sondern auch Hans und Lutz im Kindergarten aufliefen. Vermutlich würde sie sofort nach Verstärkung schreien.
Die beiden Leibwächter blieben bei Morris stehen, den Katharina wieder auf den Hof des Kindergartens gelenkt hatte. Die Sonne hatte sich hervorgetraut, deswegen spielten einige Kinder im Garten. Schnell umringten sie die beiden Männer und Morris.
Elfie LaSalle fing Katharina an der Tür ab. »Haben Sie schon etwas herausgefunden? Laura sagt, Sie wollen –«
»Die bösen Männer fangen, die ihre Mutter getötet haben? – Ich bin dran, aber mir fehlt noch eine richtige Spur.« Sie folgte der Kindergärtnerin in das große Spielzimmer. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt …«
»Ich denke schon die ganze Zeit nach. Der Auftragsdienst hat übrigens Tom Wahrig noch nicht erreicht.« Elfie LaSalle hielt so abrupt inne, dass Katharina beinahe gegen sie gelaufen wäre. »Aber da war noch etwas. Vor vielleicht einem Jahr, Laura war gerade in den Kindergarten gekommen, da ging es Melanie Wahrig nicht so gut. Sie sah sehr krank aus. Bedeutet das etwas?«
»Vielleicht. Hat Laura mal was von einem Brüderchen oder Schwesterchen erzählt?«
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