Kurtz bot Katharina und Amendt Plätze an, deckte rasch drei Gedecke auf, stellte eine große Karaffe mit Wasser und ein kleinere mit Wein auf den Tisch. Offenbar war er gerade am Kochen gewesen, denn auf der Anrichte lagen diverse fertige und halbfertige Zutaten. Mit Feuereifer machte er sich wieder ans Werk.
Katharina bedeutete Amendt, ihn nicht anzusprechen. »Kochen ist ihm heilig.«
Amendt nickte zustimmend. »Natürlich ist es das.«
***
Kurze Zeit später stand das Essen vor ihnen: ein in Olivenöl angebratenes Rinderfilet in einer Chianti-Sauce, umrahmt von scharf gewürztem Gemüse aus dem Wok. Kurtz hatte gerade seine italienisch-asiatische Phase, kulinarisch gesprochen.
Andreas Amendt betrachtete das Stück Fleisch auf seinem Teller wie eine auf besonders interessante Art dahingeschiedene alte Dame auf dem Autopsietisch.
»Sie können ruhig essen. – Bessere Küche werden Sie in Frankfurt kaum finden, schon gar nicht am Montagmittag«, sagte Katharina.
»Eigentlich esse ich ja kein Fleisch«, murmelte Andreas Amendt entschuldigend.
»Madonna! Kein Fleisch! Katharina, wen bringst du da an meinen Tisch?« Antonio Kurtz verfiel in seinen breitesten italienischen Akzent.
»Essen Sie ruhig! Bei Kurtz mache ich auch immer eine Ausnahme«, sagte Katharina, während sie ihr Messer durch das butterweiche Filet zog.
»Meine kleine Katharina hier isst sonst nur Fleisch, das sie selbst geschossen hat«, ergänzte Antonio Kurtz mit dem Stolz eines sizilianischen Vaters.
Andreas Amendt schnitt endlich sein Filet an: »Wenn das so ist: In der Rechtsmedizin lägen da noch zwei Drogendealer auf Eis.«
Antonio Kurtz lachte, dass ihm die Tränen kamen. »Meine Katharina. – Eine ganze Einheit von ihrer Sorte und die Kriminalitätsrate in Frankfurt wäre bei null.«
»Was macht eigentlich dein Fischgericht? Cai Piranha?«, fragte Katharina zwischen zwei Bissen. »Ich habe am Freitag Hans und Lutz getroffen. Sie sagten, sie würden Caluha für dich besorgen.«
»Eigentlich waren sie wegen dir da.«
»Wegen mir? Warum?«
»Später. Nach dem Essen.«
***
Endlich hatte Antonio Kurtz die Teller abgeräumt und Espresso zubereitet. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und lehnte sich zurück: »Weißt du eigentlich, wen du erschossen hast, Katharina?«
Katharina schüttelte den Kopf: »Nein.«
»Dein Chef hat es dir nicht gesagt? Seltsam.« Antonio Kurtz wiegte den Kopf hin und her. Dann wandte er sich an Lutz: »Die Akte, bitte.«
Der große Leibwächter reichte ihm einen Hefter, dem Antonio Kurtz ein Foto entnahm. Er legte es vor Katharina und Andreas Amendt auf den Tisch. Katharina erkannte den kahl geschorenen Mann mit der Narbe auf der Wange nicht wieder, doch der Arzt nickte: »Das ist einer der beiden Toten. Laut Ausweis Maximilian Grün.«
»Nun, eigentlich Max Boroffski«, erläuterte Antonio Kurtz. »Ein Russlanddeutscher, der für diverse Kunden als …«, er suchte kurz nach dem passenden Euphemismus, »… als Problemlöser gearbeitet hat.«
»Ein Killer?«, fragte Katharina.
»Nicht nur. Auch Knochenbrüche und andere grobe Arbeiten. Arbeitete vor allem für unsere Freunde aus dem Osten. Alles in allem kein wirklich wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Angeblich Ex-KGB, aber da weiß ich nichts drüber.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Warte es ab, Katharina. – Dein Problem ist dieser hier:«
Kurtz zog ein neues Foto aus der Akte. Ein attraktiver Südamerikaner, vielleicht Mitte zwanzig.
Wieder nickte Andreas Amendt: »Das ist der zweite Mann, den Frau Klein erschossen hat: Miguel Aroso. So stand es zumindest in seinem Pass.«
»Tja, das ist Miguel de Vega.«
Katharina spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »De Vega? Hat er etwas mit –?«
»Der Sohn von Felipe de Vega, ja. Sein Stammhalter und Erbe. Zumindest, bis du ihm eine Kugel in den Kopf gejagt hast.«
»Oh Gott«, sagte Katharina tonlos.
»Wer ist Felipe de Vega?«, fragte Andreas Amendt.
»Ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit«, antwortete Kurtz. »Der letzte der großen kolumbianischen Drogenbarone. Der Mächtigste und Gefährlichste.«
»Und was macht sein Sohn hier?«
»Das hat mich auch gewundert. De Vega liefert nämlich nur in Ausnahmefällen direkt nach Deutschland. Das Geschäft hier hat die östliche Bagage unter sich aufgeteilt. Aber er sollte wohl eine verloren gegangene Speziallieferung sicherstellen. Im Auftrag von Papa.«
»Speziallieferung?«, fragte Katharina.
»War für einen besonderen Kunden. Mehr weiß ich auch nicht. Muss aber jemand mit guten Beziehungen sein. Immerhin hat er dafür gesorgt, dass die Lieferung bequem den Zoll passieren konnte.«
»Geheimdienst?«
»Vielleicht. Wie schon gesagt, ich weiß es nicht. Die Russen wissen es auch nicht. Waren ziemlich wütend deswegen. De Vega muss wohl die Wogen geglättet haben, wenn sie ihm trotzdem einen ihrer Problemlöser ausleihen. War wohl im beiderseitigen Interesse, die Lieferung wiederzufinden.«
»Wiederfinden? Die beiden wollten das Zeug doch an Hölsung verticken, oder nicht?«
Kurtz schüttelte den Kopf. »Nein. Der ursprüngliche Dieb muss den Deal eingefädelt haben. Und nachdem Boroffski und de Vega Junior ihm das Kokain abgenommen haben, dachten sie wohl, sie machen Papa de Vega noch eine Freude und holen sich auch noch das Geld.«
»Apropos: Was hat der Sohn von de Vega in Deutschland zu suchen?«, fragte Katharina.
»Lutz?«
Der Hüne schaute von dem Buch auf, in das er sich vertieft hatte: »Hat hier studiert. In Heidelberg. Philosophie und BWL. Angeblich guter Student.«
»Philosophie? Und wieso rennt er dann mit einer MAC-10 durch Frankfurt und pustet Leute um?«
»Ich nehme mal an, auf Anweisung von Papa de Vega«, antwortete Kurtz. »Nicht, dass Miguel eine Extra-Einladung zum Leute-Umlegen gebraucht hätte. Angeblich hat er bereits als Dreizehnjähriger als Laufbursche verkleidet ein Treffen des Kartells im Alleingang in ein Blutbad verwandelt.«
»Das Medellín-Massaker? Das war er?« Katharina zwang sich, nicht laut durch die Zähne zu pfeifen. Das Medellín-Massaker hatte zahlreiche Drogenbarone das Leben gekostet – und so Felipe de Vegas Machtposition konsolidiert.
Kurtz nickte: »Deshalb wird die ganze Angelegenheit von der Polizei als höchst geheim behandelt. Polanski hat sogar Polizeischutz für dich angeordnet.«
»Und woher weißt du dann davon?«
»Das ist nicht der Punkt … oder vielleicht gerade doch. Das Polizeipräsidium ist löchriger als ein Schweizer Käse. Wenn ich an all die Informationen komme, dann hat de Vega sie ganz sicher auch und weiß, wer den Spross seiner Lenden erschossen hat. Deshalb werden Lutz und Hans ab sofort nicht mehr von deiner Seite weichen!«
»Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.«
Kurtz musterte sie mit einer Mischung aus väterlichem Stolz und Sorge: »Ich weiß, Katharina. Aber de Vega ist unberechenbar. Und Hans und Lutz sind einfach die Besten.«
»Ist das wirklich –?«
»Katharina! Dein Vater war mein bester Freund. Ich habe ihm mein Ehrenwort gegeben, dass ich seine Familie schütze, wenn ihm was passiert. Und daran halte ich mich! Also sei vernünftig!«
»Na gut! – Sieht ja nicht so aus, als hätte ich eine andere Wahl.«
»Natürlich nicht. – Aber zu einem anderen Thema: Mir sind da so Gerüchte zu Ohren gekommen: Du untersuchst den Tod deiner Nachbarin?«
»Woher weißt du das denn?«
»Ich habe gute Beziehungen zum Ordnungsamt. Die erzählten mir, dass du gerade an sie ausgeliehen bist. Polanski verleiht sein bestes Pferd im Stall nicht ohne Grund.«
»Weißt du denn irgendetwas darüber?«
»Leider nein. Nicht wirklich mein Feld.«
Katharina dachte kurz nach. »Kennst du vielleicht einen Markus Henthen? Oder eine Annemarie Fischer-Lause?«
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