»Klingt aber sehr –«
»Rassistisch. Ja. – Hat die Frau schon ein Kind?«
»Ja.«
»Gesund?«
»Soweit ich weiß.« War Laura krank? Katharina glaubte es nicht. Sie hätte in der Wohnung bestimmt Hinweise gefunden, Medikamente. Und die Kindergärtnerin wüsste sicher Bescheid und hätte sie darauf hingewiesen.
»Nun, es wäre möglich, dass die Frau den idealen Vater finden will und die Spermien untersuchen lässt.« Arnulf Sturmer kramte in einem Aktenschrank und zog ein Buch hervor, das er Katharina gab:
»Gute Gene – Chance der Zukunft« lautete der Titel. Die Autoren waren Prof. Dr. med. Annemarie Fischer-Lause und … Prof. Dr. med. Markus Henthen.
»Kann ich mir das mal ausleihen?«, fragte Katharina rasch.
»Natürlich. Aber wiederbringen!«
»Versprochen. – Ach, kennen Sie zufällig auch diesen Henthen?«
»Nur über das, was man in der Klinik so erzählt. Superstar der Reproduktionsmedizin. Und …« Er unterbrach sich.
»Und?«, bohrte Katharina nach.
»Übler Bursche. Streitsüchtig. Elitär. Intrigant. Angeblich ist er der praktische Arm von Fischer-Lause.«
Katharina schob das Buch in ihre Handtasche. Arnulf Sturmer setzte sich wieder. »Tja … – Dann werde ich mal meinen Bericht schreiben.«
»Und?«
»Ich wüsste nicht, was der Aufhebung Ihrer Suspendierung im Wege stehen sollte. Aber seien Sie vorsichtig mit Hölsung. Ich habe mehr als eines seiner Opfer hier sitzen gehabt.«
***
Jeannies Nase war wundrot, ihre Augen verquollen. Mit wenig Begeisterung schob sie sich einen Löffel Hustensaft in den Mund. Sie nickte Katharina zu und versuchte, den Löffel zwischen den Zähnen, zu lächeln. Eine Kleenexbox auf dem Schreibtisch hatte, nach dem Füllstand des Papierkorbs zu schließen, schon reichlich bluten müssen.
Katharina beugte sich sorgenvoll vor: »Sie sehen aber gar nicht gut aus.«
»Sch’upf’n«, ächzte Jeannie mit verstopfter Nase. Sie griff erneut nach der Kleenexbox und versenkte einen Nieser in das frische Tuch.
»Gesundheit. – Sollten Sie nicht lieber zu Hause im Bett liegen?«
»Kann ’och An’reas nich’ ’leinlass’n.« Jeannie warf das Taschentuch in den Papierkorb. »Wart’ übri’ngs auf Sie. Da drin …« Sie deutete auf eine unscheinbare Tür.
»Danke. – Gute Besserung.«
Katharina konnte sich ihre Schadenfreude wirklich nicht erklären. Das arme Mädchen.
Sie öffnete die Tür, die zu Andreas Amendts Büro führte. Der Rechtsmediziner war gerade dabei, Kaffee einzuschenken. Er sah zu ihr auf: »Auch einen?«
Vor dem Schreibtisch saß Eric Neurath, der Neurologe. Er erhob sich und reichte Katharina die Hand. »Es ist eine Katastrophe. – Meine gesamten Unterlagen zu Frau Wahrig sind weg. Und in der Radiologie sind alle Daten gelöscht. Computerfehler. Angeblich.« Er ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken.
Katharina nahm den Kaffee, den Andreas Amendt ihr reichte: »Kann man nicht einfach neu röntgen?«
»Das hat Metzel schon gemacht. – Hier, sehen Sie.«
Andreas Amendt schaltete einen Röntgenfilmbetrachter ein. Katharina sah das Bild eines Schädels mit einem runden Loch.
»Das ist alles meine Schuld«, erklärte Dr. Neurath. »Ich musste bei der Operation die Wundränder glätten.«
»Und die Splitter?«
»Entsorgt. Irgendwo im organischen Müll, vermutlich schon verbrannt.«
»So ein Mist!« Katharina nahm einen großen Schluck Kaffee. »Aber die Prellung, die wir gefunden haben … Der Handabdruck.«
»Auch nicht mehr nachzuweisen«, antwortete Andreas Amendt. »Doktor Metzel hat nicht darauf geachtet, bevor er den Schädel geöffnet hat. Dabei hat er die Gesichtsmuskeln durchtrennt und Restblut ist ins Gewebe gelaufen. Metzel ist ein herausragender Theoretiker. Doch die Praxis? Die war eigentlich meine Aufgabe. Aber ich bin ja suspendiert.«
»Aber können Sie nicht trotzdem nach der Leiche sehen? Ich meine, vielleicht lässt sich noch was retten.«
»Damit würde ich die ganze Untersuchung kompromittieren. Außerdem …« Er hielt inne.
»Ja?«, drängte Katharina.
»Meine Ausweiskarte für die Leichenhalle ist gesperrt. Alexandra Taboch liegt auch da unten.«
»Fassen wir also zusammen: Wir haben eine Leiche, an die wir nicht herankönnen, die pathologischen Beweise dafür, dass sie getötet wurde, sind allesamt vernichtet.«
»Und wir haben eine exzellente spurenkundliche Analyse durch zwei anerkannte Experten«, setzte Andreas Amendt fort, »die es offiziell gar nicht gibt. Zudem haben wir nicht mal einen Verdächtigen.«
»Nein, mindestens fünfzehn Verdächtige, von denen drei ihre DNA-Spuren in Form von gefüllten Kondomen hinterlassen haben.«
»Was uns aber auch nichts nützt, da wir nichts haben, womit wir sie vergleichen könnten.«
»Alles in allem der schlimmste Fall von Murphys Gesetz, den ich je erlebt habe«, fasste Dr. Neurath zusammen. »Das Einzige, was ich euch bieten kann, sind ein paar Abrechnungscodes der Buchhaltung. Das System läuft unabhängig von den digitalen Krankenakten. Aus Datenschutzgründen.«
Das brachte Katharina auf eine Idee: »War Melanie Wahrig eigentlich bei einem Arzt in der Uniklinik in Behandlung? Vor ihrem Unfall, meine ich?«
»Das müsste sich ja herausfinden lassen.« Andreas Amendt schaltete den Monitor seines Computers ein und tippte ein paar Tasten – ohne Erfolg. Er schlug mit der Faust auf die Tastatur. »So ein Mist. Mein Account für die Patientendatenbank ist auch gesperrt.«
Dr. Neurath stand auf und ging um den Schreibtisch. »Lass mich mal.« Er begann zu tippen. Kurze Zeit später erschien ein sehr kurzer Eintrag zu »Wahrig, Melanie« auf dem Bildschirm.
Andreas Amendt und Dr. Neurath sahen sich erstaunt an.
»Was ist los?«, fragte Katharina.
»Sie haben den richtigen Riecher gehabt. Frau Wahrig war Patientin hier an der Uni-Klinik. Aber die EDV spinnt mal wieder. Nach diesen Unterlagen lebt Melanie Wahrig noch.«
»Und das heißt?«
»Das ist so ein Datenschutz-Feature«, erklärte Andreas Amendt. »Erst nach dem Tod haben andere Abteilungen wie etwa die Pathologie oder wir hier in der Rechtsmedizin Zugriff auf die Krankenakte. Solange ein Patient lebt, muss der behandelnde Arzt den Zugriff extra freigeben. Selbst die Buchhaltung erhält nur Abrechnungscodes.«
»Wer ist denn der behandelnde Arzt? Oder steht das da nicht?«
»Moment.« Dr. Neurath tippte ein paar Tasten. Andreas Amendt pfiff durch die Zähne. Er drehte den Monitor zu Katharina. In der Maske stand »Behandelnde Ärzte: Henthen, Fischer-Lause«.
Grimmig zog Katharina das Buch aus der Tasche, das ihr Arnulf Sturmer gegeben hatte, und warf es auf den Schreibtisch. »Warum geht jemand wohl zu Henthen und Fischer-Lause? Und warum sammelt dieser Jemand das Sperma von Männern? – Melanie Wahrig war auf der Suche nach einem Vater für ihr zweites Kind! Und Henthen hat für sie das Sperma untersucht.«
»Das sähe dem Henthen ähnlich«, sagte Dr. Neurath. »Würde passen: Er hat Zugang zum Computersystem, und einem Star wie ihm –«
»Die Theorie hat leider einen enormen Fehler«, unterbrach ihn Andreas Amendt. »Solche Gentests sind nur mit der Einwilligung aller Beteiligten möglich. Und außerdem wären die Untersuchungen über meinen Schreibtisch gegangen.«
»Warum?«
»Weil das einzige Labor zur DNA-Analyse an der Uniklinik in diesem Gebäude steht. Die Genforschung nutzt es zwar mit, aber wir müssen jede Untersuchung freigeben. Ich. Zumindest bis letzten Freitag«, sagte Andreas Amendt. »Ich habe schon in meinen Unterlagen nachgeschaut. Als ich die Kondome gesehen habe, hatte ich die Idee auch.«
»Und inoffiziell?«, fragte Katharina.
»Inoffiziell?«
»Sie wissen schon: Eine Hand wäscht die andere.«
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