»Tante Sandra mag Frauen lieber«, erklärte Laura und fuhr belehrend fort: »Das ist aber völlig normal! Und nicht schlimm!«
Katharina musste wider Willen lächeln. »Nein. Das ist wirklich nicht schlimm.«
»Und?« – »Und was?« – »Magst du Frauen lieber?«
Katharina wusste nicht, ob sie stöhnen oder lachen sollte. »Nein, ich mag Männer lieber.«
»Echt?« – »Ja, echt!« Katharina fand, das war ein gutes Schlusswort für die Diskussion ihres Liebeslebens.
Laura war anderer Meinung: »Aber du hast keinen Freund?«
»Nein. Das hab ich doch schon gesagt.« In Sachen Verhör konnte sogar Polanski noch etwas von Laura lernen.
»Magst du den Andreas?«
Katharinas Magen wusste nicht, ob er angenehm kribbeln oder sich zusammenziehen sollte. Nach einer Pause sagte sie, so leicht es ihr möglich war: »Ja, ich mag ihn.«
»Er mag dich auch!« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Laura präsentierte der Verdächtigen die Beweise.
Katharinas Wangen brannten, besonders an der Stelle, die Andreas Amendts Lippen berührt hatten. »Ja. Ich glaube schon.«
»Warum ist er dann nicht dein Freund?« – Gestehen Sie, Angeklagte!
Katharina sagte streng: »Ab ins Bett, Laura.«
***
Crazeology
Montag, 26. November 2007
Katharina setzte sich mit einem Ruck in ihrem Bett auf.
Glücklicherweise hatte das Telefon rechtzeitig geklingelt, bevor ihr Traum endgültig entwürdigend geworden war.
Ärgerlich stellte sie fest, dass ihre Brustwarzen sich aufgerichtet hatten und gegen den Stoff ihres T-Shirts drückten. Sie sollte rasch den Delfin in ihrer Nachttischschublade einweihen und dann wieder schlafen. Aber – was hatte sie noch mal geweckt?
Das Telefon aus ihrem Traum klingelte immer noch. Sie sah auf die Uhr. Kurz vor halb sechs. Wer auch immer so früh anrief, hatte hoffentlich einen sehr guten Grund. Sie antwortete mürrisch: »Hallo?«
»Guten Morgen, Katharina.« Schlief Polanski eigentlich nie? »Ich wollte Sie noch einmal an Ihren Termin mit dem Psychologen erinnern. Doktor Sturmer erwartet sie um Punkt halb neun.«
Katharina gähnte zur Antwort.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
»Nein. Das Telefon hat ohnehin geklingelt.«
»Dann ist’s ja gut. – Oh! Hören Sie, ich würde Sie nicht wecken, wenn es nicht ungeheuer wichtig wäre. Hölsung veranstaltet eine echte Hexenjagd gegen Sie. Wir brauchen jeden Punkt, den wir kriegen können. Also seien Sie heute bitte anständig, verantwortungsvoll –«
»Kurz, eine gute Polizistin. Sonst noch was?«
»Ach ja, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
»Danke, Chef.«
Katharina ließ sich auf ihr Bett zurücksinken. Es nützte nichts: Sie war wach. Und die Stunde Schlaf lohnte auch nicht mehr.
Leise ging sie ins Bad und stieg unter die Dusche. Heiß, kalt, heiß, um den Kreislauf in Gang zu bringen, dann ein angenehmes Lauwarm. Shampoo, Haarspülung, vitalisierende Haarpflege. Sie griff zu Schaum und Rasierer; es wurde wieder mal Zeit, nachdem sie am Freitag ihren Ladyshave-Tag versäumt hatte. Achseln, Beine, Bikinizone.
Sie spülte die Reste des Rasierschaums gründlich ab und griff zu ihrem Lieblings-Duschgel. Sündhaft teuer, aber was soll’s? Es war ja ihr Geburtstag.
Endlich stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab. Sie föhnte und bürstete die langen, glatten, schwarzen Haare, bis sie glänzten. Zufrieden betrachtete sie sich im großen Spiegel an der Badezimmertür: Ihre Figur war schlank, muskulös, ihre Brüste fest, die kleinen braunen Brustwarzen hatten sich in der morgendlichen Kühle aufgerichtet. Nicht schlecht für dreiunddreißig.
Sorgsam manikürte sie sich die Fingernägel. Nagellack? Sie entschied sich dagegen, nur eine dünne Schicht Nagelpflege.
Während sie darauf wartete, dass die Nagelpflege trocknete, betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Eigentlich auch nicht schlecht: hohe Wangenknochen, vielleicht etwas zu volle Lippen, graugrüne Augen, asiatisch mandelförmig, die Haut glatt, nur einen Hauch von Lachfältchen – nicht der Rede wert. Sie zupfte ein paar überflüssige Härchen aus den Augenbrauen und zog einen sanft geschwungenen Lidstrich.
Mochte Andreas Amendt eigentlich Asiatinnen? Nicht doch! Sie wollte für sich gut aussehen, immerhin war heute ihr Geburtstag!
***
Katharina hatte nie viel für Frauen übriggehabt, die jammerten, sie hätten nichts zum Anziehen. Und doch stand sie selbst ratlos vor ihrem geöffneten Kleiderschrank: Es war ja schließlich so etwas wie ein Feiertag. Und beim Psychologen sollte sie vielleicht auch etwas eleganter erscheinen.
Sie entschied sich für ein seidenes Bustier, einen bestickten Tanga und schwarze Seidenstrümpfe. Damit waren die schwersten Entscheidungen schon mal gefällt.
Und jetzt? Jeans und Sweatshirt? Oder Kostüm? Ja, sie hatte tatsächlich ein Kostüm. Für Aussagen vor Gericht. Endlich fiel ihre Wahl auf eine schwarze Stoffhose, eine schwarze, silbergrau bestickte chinesische Bluse mit Stehkragen und Halbschuhe mit erträglichem Absatz.
Sie betrachtete sich im Spiegel. Irgendetwas fehlte. Sie nahm die Silberkette mit dem Jadestein aus der kleinen Schatulle auf der Kommode, in der sie ihren Lieblingsschmuck aufbewahrte. Thomas, ihr Kollege, hatte ihr den Stein geschenkt.
Einen kleinen Augenblick musste sie innehalten. Sie schämte sich. Fast das ganze Wochenende hatte sie nicht an ihren Partner gedacht. Als ob die drei Jahre ihrer Zusammenarbeit schon völlig ausgelöscht waren. Zu einem anderen Leben gehörten.
***
Als Katharina in die Küche kam, saß Laura bereits am Küchentisch. Ihre Haare waren noch feucht. Sie musste selbstständig geduscht haben. Das Mädchen strahlte, als sie Katharina sah: »Du siehst heute aber hübsch aus!«
»Danke, Laura. – Willst du dir nicht die Haare föhnen? Sonst holst du dir noch einen Schnupfen.«
»Ich komm nicht an den Föhn.«
Katharina nahm Laura an die Hand, ging mit ihr ins Bad und begann, Laura die Haare zu föhnen. Das Mädchen hatte sehr feine Haare, die Katharina vorsichtig bürstete. Zuletzt band sie dem Mädchen einen Pferdeschwanz mit einem schwarzen Samtband. Laura mochte das: »Jetzt bin ich auch hübsch.«
»Aber gut drauf aufpassen!«
»Klar!«
»Du bist schon groß, ich weiß! So, und jetzt gibt es Frühstück.«
***
Katharina schmierte Laura gerade ein Brot mit Marmelade, als das Telefon klingelte. »Kannst du mal rangehen, Laura?«
Das Mädchen lief in den Flur zum Telefon. »Hier ist der Anschluss von Katharina Klein. Ich bin Laura?«
Der Anrufer würde vor Schreck am Herzinfarkt sterben.
»Ja, sag ich ihr. Worüber? Ja, klar. Ich bin doch schon fast fünf. Auf Wiederhören.«
Laura kam in die Küche gestapft.
»Und? Wer war das?«
»Das war ein Herr Kurtz. Du sollst dich nicht wundern, hat er gesagt.«
Typisch Antonio. »Hat er auch gesagt, worüber?«
»Nein. Außerdem …«
»Ja …?«
Laura schob die Unterlippe vor. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du heute Geburtstag hast.«
»Das ist doch nicht so wichtig, Laura.«
»Doch. Ich hab gar kein Geschenk für dich.«
»Aber das macht doch nichts. Weißt du, Frauen wollen manchmal gar nicht daran erinnert werden, dass sie älter werden.«
»Das hat Mama auch gesagt.«
»Und?«
»Sie hat gesagt, sie wird jedes Jahr fünfundzwanzig.« Laura dachte angestrengt nach. »Das ist auch schon ganz schön alt, oder?«
***
»Sie sind also Katharina Klein?« Katharina hatte sich an skeptische Blicke gewöhnt. Arnulf Sturmer sah schließlich auch nicht aus wie ein Polizeipsychologe. Eher wie ein in die Jahre gekommener Preisboxer.
»Sie haben mit angesehen, wie Ihr Kollege Thomas Henrich erschossen wurde?«, fragte der Psychologe knapp.
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