„Und wie schaut es aus, meine Damen und Herren, noch ein Bier?“ Mike hatte sich mit beiden Händen auf den Tresen gestützt und schaute mit hochgezogener Augenbraue auf die leeren Gläser. Lässig hing ein weißgraukariertes Geschirrtuch über seiner Schulter.
Sarah schüttelte den Kopf, doch Tom nickte. „Na klar, noch mal dasselbe für alle. Schließlich haben wir noch einen langen Abend vor uns.“
Tom zuckte gleichgültig mit den Schultern und schob Mike sein leeres Glas hinüber. Wer weiß, wie lange sie hier sitzen und warten mussten, bis doch noch jemand Bekanntes den Weg in den Pub finden würde.
„Ich kann nicht mehr trinken, mir wird jetzt schon ganz schwindelig. Außerdem muss ich früh aufstehen und neun Uhr im Laden sein. Ihr dagegen habt Wochenende und könnt ausschlafen“, beschwerte sich Sarah.
„Na komm, eine Bierlänge noch und wenn bis dahin keiner mehr über die Türschwelle kommt, den wir kennen, hast du gewonnen, kannst in dein Bett gehen und brauchst morgen nicht mit auf die Piste.“ Jessica machte ein honigsüßes Gesicht und klimperte mit ihren langen Wimpern.
Wie immer sah ihre Freundin fantastisch aus. Sie war über eins siebzig groß, sportlich durchtrainiert, hatte langes blondes Haar und Mandelaugen. Sie hatte ein wunderschönes Gesicht, das sie dezent schminkte, und in ihrer Röhrenjeans und dem eng anliegendem Rollkragenpullover sah sie einfach zum Anbeißen aus. Für Männer war sie die reinste Augenweide. Jeder, der ihren Weg kreuzte, schaute sich nach ihr um, und an Komplimenten, die ihr zu Teil wurden, mangelte es weiß Gott nicht.
Sarah schaute auf die Uhr, die an der dunklen Wand über dem Regal hing, das mit Gläsern und Flaschen gefüllt war, und stellte fest, dass der Zeiger in wenigen Minuten dreiundzwanzig Uhr schlug. Sie war müde von dem langen Tag und sehnte sich nach ihrem Bett.
„Abgemacht. Eine Bierlänge, mehr nicht! Aber jetzt bringe ich erst einmal mein altes Bier weg. Haltet den Platz frei.“
Sarah drehte sich abrupt auf ihrem Hocker um und schwang sich hinunter.
Oh, das hätte sie wohl lieber nicht tun sollen. Plötzlich spürte sie, wie der Alkohol ihr nicht nur zu Kopf stieg, sondern auch in die Beine floss. Auf wackligen Füßen und mit gerötetem Gesicht bahnte sie sich einen Weg durch die Massen, grüßte ein paar Leute, die sie kannte, und verschwand eilig in der Toilette.
Zehn Minuten später erschien sie wieder an der Bar und sah, dass Mark und Tom die Plätze getauscht hatten. Jetzt war nur noch der Platz neben Mark frei. Sie ahnte, dass Mark dies geschickt unter einem banalen Vorwand eingefädelt hatte, um neben Sarah sitzen zu können. Stöhnend hievte sie sich auf den Barhocker neben ihm.
„Und alles okay bei dir?“, fragte Mark mit sehnsuchtsvollen Augen.
Wie zufällig berührten sich ihre Arme und Sarah hatte das Gefühl, Mark wollte sich an ihrem Körper heranschmiegen. Irgendwann musste sie schließlich mit ihm reden und ihm erklären, dass sie im Moment nur freundschaftliche Gefühle für ihn empfand und nicht bereit für ein Abenteuer war. Aber jetzt schien nicht der richtige Augenblick zu sein, sie ahnte nicht, wie er reagieren würde. Außerdem hatte sie bereits genug Alkohol im Blut und ihre Zunge wurde schwer.
„Klar, alles supi bei mir“, beantwortete Sarah seine fürsorgliche Frage und versuchte, auf Abstand zu gehen. Sie spürte, dass sie mittlerweile zu viel Bier getrunken hatte und morgen garantiert einen Kater bekam. Deshalb versuchte sie, den letzten Schluck hinunter zu spülen und sich dann auf den Weg nach Hause machen.
Sie drehte sich zu Jessica und Tom, nahm ihr fast leeres Bierglas und prostete den beiden zu.
„Sag mal Jessica, was hältst du davon, wenn wir nächstes Wochenende in die Eishalle gehen, da ist wieder Discolauf am Samstag?“, schlug Sarah ihrer Freundin vor.
Von jeher liebte Sarah das Schlittschuhlaufen. Als kleines Mädchen erzählte ihre Großmutter immer Geschichten über die Eisprinzessin, wenn sie abends an Sarahs Bett saß. Seitdem war es Sarahs größter Kindheitstraum gewesen, selber einmal eine Eisprinzessin zu werden. Deshalb ging sie so oft wie möglich in die Eishalle zum Trainieren, um einmal wie die Eisprinzessin in ihren Träumen zu werden.
„Das müsste sich machen lassen. Ich sag dir am Montag Bescheid, ob es dabei bleibt.“
Jessica sah ihrer Freundin an der Nasenspitze an, dass es Zeit zum Aufbruch wurde. Die Wette war anscheinend verloren, da niemand mehr den Pub betrat.
Einige Leute verließen bereits die Lokalität, trotzdem konnte Mike sich nicht über seinen Umsatz an diesem Abend beklagen.
Jessica trank den letzten Rest und gab Sarah zu verstehen, es ihr gleich zu tun.
„Ja!“, brüllte Tom aus heiterem Himmel und riss seine rechte Faust in die Höhe. „Ich habe es gewusst. Gewonnen!“
Die Mädels schauten erschrocken zu Tom auf, der seinen Hintern vom Barhocker hob und ein Strahlen im Gesicht hatte.
„Was?“ Mit fragendem Blick schaute Jessica in dieselbe Richtung wie Tom und stierte genauso wie er zum Eingang. Jessicas Gesichtszüge verzogen sich zu einem breiten Grinsen, als sie sich wieder zu ihrer Freundin umdrehte.
Sarah folgte nun ebenfalls Toms Blick und rutschte dabei auf ihrem Barhocker in die andere Richtung. Ihre Augen blieben an der Eingangstür zum Pub hängen, die gerade von einem ziemlich gut aussehenden Mann geschlossen wurde. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Die Wette! Jetzt verstand sie Toms Reaktion. Es kamen vier neue Gäste und Tom musste diese wohl kennen. Mist, dachte Sarah bei sich, und stützte sich auf Marks Arm ab, um besser sehen zu können, wer den Pub zu später Stunde noch besuchte. Ihr Blick streifte von einer Person zur nächsten, doch sie kannte die Neuankömmlinge nicht. Zuerst sah sie eine hoch gewachsene, schlanke und äußerst attraktive Blondine im Designermantel mit Pelzkragen, die wohl Mitte dreißig war, gefolgt von diesem unglaublich gut aussehenden Mann, dessen Arm auf ihrer Schulter lag, um sie vorwärts in Richtung Tresen zu schieben. In deren Gefolgschaft befanden sich zwei weitere Männer, doch Sarah starrte unverwandt in die attraktiven Gesichtszüge des ersten. Trotz des hochgestellten Mantelkragens und dem dicken Schal um den Hals zog sein Anblick sie in ihren Bann. Sarah saugte jedes Detail auf. Er hatte Augen, deren Blaugrau sie sofort faszinierten. Ihr Herz setzte für einige Wimpernschläge aus und das Blut rauschte in ihren Ohren. Wow! Mit aller Kraft konnte sie sich von diesem Anblick lösen.
Tom hinter ihr wedelte erfreut mit seinen Armen, um die Neuankömmlinge auf sich aufmerksam zu machen.
„Kennst du diese Leute?“, richtete Sarah überflüssigerweise ihre Frage an Tom, ohne dabei den Blick abzuwenden, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
„Sicher. Das sind unsere neuen Chefs, Daniel Hochkamp und sein Bruder Richard. Und dahinter siehst du Alexander, ein sehr guter Freund von den beiden, und Melanie, Melanie Hansen. Daniels Partnerin. Melanie und Daniel treten stets gemeinsam in Erscheinung und scheinen unzertrennlich. Sie hängt wie eine Klette an ihm“, flüsterte Tom Sarah zu und verleiherte die Augen. Er holte kurz Luft, bevor er fortfuhr. „Sie ist die Tochter des Bauunternehmers Hansen. Sie stammen alle von hier, aber Daniel und sein Bruder waren für einige Jahre in Frankfurt. Daniel Hochkamp ist fünfunddreißig. Richard vierzig.“ Tom räusperte sich und hielt verlegen die Hand vor dem Mund.
Sarah verspürte plötzlich ein bedrückendes Gefühl in der Herzgegend, als ihr klar wurde, was Tom gerade gesagt hatte. Dieser imposante Mann, der sich ihrer vollen Aufmerksamkeit sicher sein konnte, und diese elegante Frau vor ihm waren ein Paar. Es war ja nicht so, dass Sarah irgendwelche Absichten hegte, doch ein Hauch von Enttäuschung breitete sich in ihrer Brust aus.
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