»Lass mich, Vater!«, rief er. In seinen Augen flackerte es gefährlich. »Ein Mann muss seine Ehre verteidigen, wenn sie angegriffen wird. Das sind deine eigenen Worte. Willst du dich selbst Lügen strafen?«
Noch einmal versuchte ›El Manco‹, der Ramons Tücke und Hinterlist kannte, das Schlimmste zu verhüten. Mahnend wandte er sich an seinen Stellvertreter: »Wenn es schon unumgänglich ist, bitte ich mir ein unblutiges Degengefecht aus! Man kann schließlich auch elegant fechten, ohne den anderen zu verwunden!«
»Mir soll es recht sein«, murmelte Ramon verschlagen.
»Aber mir ist das gar nicht recht!«, fuhr Alejandro voll flammender Empörung auf. »Von mir aus kann es um Leben und Tod gehen!«
›El Manco‹ lief vor Zorn blaurot an. Concepcion, die das Anzeichen richtig zu deuten wusste, sprang überraschend gelenkig auf und ging zu ihrem Mann hinüber. Sie nahm ihn umschlingend in den Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Es schien ›El Manco‹ zu überzeugen, denn er gab achselzuckend nach und lehnte sich entspannt zurück.
Die beiden Kampfhähne standen einander in der Mitte des großen Raumes gegenüber und salutierten kurz ihre Degen.
»Anfangen!«, hetzte ›Relámpago‹.
Sofort hob Ramon seinen Degen an, setzte sein vorderes Bein vor und streckte sein hinteres. Dann drang er mit einem ersten Ausfallschritt auf den Jungen ein.
Dieser parierte gewandt, gab sich aber keine Mühe seinerseits zurückzuschlagen, sondern beschränkte sich auf bloße Verteidigung.
Scheinbar mühelos konnte Ramon seinen Gegner durch den weiten Raum treiben, bis Alejandro endlich mit den Schultern gegen einen kostbaren Wandteppich lehnte und damit gefangen war. Wütend drang er weiter auf ihn ein. Zwar hatte er nicht die Absicht, › El Mancos ‹ Sohn ernstlich zu verwunden oder gar zu töten, aber er wollte ihm auf jedem Fall zeigen, wer der Herr über die Situation war und ihm eine derbe Lektion erteilen. Er geriet in Schweiß, während er mit heftigen Hieben auf seinen Gegner eindrang und musste nun zu seinem Erstaunen die Erfahrung machen, dass der seine Hiebe – saubere wie unsaubere – elegant und fast spielerisch parierte.
Alejandros Vater quollen vor Stolz beinahe die Augen aus den Höhlen. Fasziniert folgte er der vollendet ausgeführten Fechtkunst. Auch Concepcion stieß ein tiefes, zufriedenes Knurren aus. Nur sie allein wusste, in welch gute Schule ihr Sohn während der letzten Jahre gegangen war.
Längst war aus dem halben Spiel tödlicher Ernst geworden, denn Ramon schien jede Beherrschung und Überlegung verloren zu haben. Er vollführte einen Sprung mit folgendem Ausfall, um seinen Gegner durch eine › Battuta ‹ zu einer Reflexbewegung zu bewegen. Es folgte eine › Konterparade ‹ von Alejandro, und Ramon vollführte eine › Riposte ‹ – › Ligade ‹ – › Doppel-Ligade ‹ …
»So, mein junger Held!«, brüllte er mit sich vor Wut überschlagender Stimme. »Jetzt kannst du dich anstellen, wie du willst! Nun erhältst du einen Stich in den linken Oberarm!«
»Versuch es doch, Bocaza! Du Großmaul!«, grölte Alejandro und lachte voller Hohn dabei.
»Halt dein Maul!«, schrie ›Relámpago‹, der es plötzlich selbst mit der Angst zu tun bekam. »Großmäulige Reden während eines Kampfes sind wider die Regeln!«
Sofort verstummten beide Kämpfer, und sausende Hiebe prasselten auf Alejandro nieder. Ramon, der erfahrene Fechter, wollte den jungen Mann ermüden, um dann zum entscheidenden Streich auszuholen. Aber Alejandro war längst kein Junge mehr. Mit kluger Überlegung war er mit seinen Kräften haushaltend umgegangen und besaß gegenüber seinem Gegner noch genügend Reserven, seinerseits zum Angriff überzugehen. Wieder flackerte es in seinen Augen gefährlich. Seine Paraden wurden schärfer und schärfer. Wie sehr Ramon jetzt selbst in die Verteidigung geraten war, bemerkte er erst, als er plötzlich in der Mitte des Raumes stand, wohin ihn Alejandro getrieben hatte. Minuten später musste er schweratmend Rückendeckung an der Wand suchen.
Das Duell ging weiter.
Alejandro schlug eine Dublette glänzender Finten und Paraden. Er sprang einen Schritt zurück, senkte den Degen und brachte seinen Gegner dadurch für Bruchteile von Sekunden aus der Fassung – Es folgte ein ›Sforza‹! Auf der Stelle katapultierte er Ramon den Degen aus der Hand. Polternd fiel er einige Yards entfernt zu Boden, worauf Alejandro ritterlich einige Schritte zurücktrat. »Heb deinen Degen auf, Ramon!«, forderte er seinen Gegner auf. »Im Gegensatz zu dir kämpfe ich nicht gegen einen Wehrlosen!«
Ramon war einem Wutanfall nahe. Er atmete kurz und stoßweise. Fauchend schritt er an Alejandro vorbei, bückte sich und hob seine Waffe auf … und wollte blitzschnell, mit einem Schrei der Empörung, seinem ritterlichen Gegner in den Rücken fallen. Doch Alejandro hatte den Braten rechtzeitig gerochen. Er war herumgeschnellt und schlug ihm, mit einem einzigen, kräftigen Hieb, ein zweites Mal den Degen aus der Hand. Wieder senkte er seine Waffe, um seinem geschlagenen Gegnerüber abermals die Möglichkeit zu geben seine Klinge aufzuheben.
Wie zuvor dankte Ramon ihm die erneute Ritterlichkeit nicht. Er bückte sich, nahm mit der Rechten erneut den Degen auf und griff mit der Linken nach einem zufällig in Reichweite stehenden Schemel aus schwerem Teakholz. Ohne Vorwarnung schleuderte er ihn Alejandro auf Kopfhöhe entgegen. Aber der ging blitzschnell in die Hocke, und der Schemel flog über ihn hinweg. Er landete in einem kostbaren Spiegel aus geschliffenem Glas, das klirrend zerbarst. Jetzt hatte auch Alejandro von dem unfairen Kampf genug. Dank seiner Überlegenheit wäre es ihm ein Leichtes gewesen, Ramon zu verwunden oder gar zu töten – aber er verzichtete darauf und gab ihn dafür der allgemeinen Lächerlichkeit preis.
Erneut stellten sie sich zum Kampf auf, und wieder prallten die Klingen aufeinander. Ramon tat alles, um zu gewinnen – jetzt wollte er das Glück erzwingen.
Alejandro gab sich den Anschein, ermüdet zu sein und beschränkte sich minutenlang mit reiner Verteidigung. Dann, und für seinen Kontrahenten völlig unvermittelt, schlug er ihm ein drittes Mal den Degen aus der Hand.
Blitzschnell griff Ramon an seinen Gürtel, riss ein langes Messer aus der Scheide und drang damit auf Alejandro ein, dessen Waffe er geschickt unterlief. Für einige Sekunden sah es so aus, als wollte sich Alejandro in seiner Überraschung das Messer ins Herz stoßen lassen. Brüllend sprangen ›El Manco‹ und ›Relámpago‹ auf. Selbst Concepcion stieß einen entsetzten Schrei aus.
Buchstäblich in der letzten Sekunde wich Alejandro blitzschnell zur Seite aus und stellte Ramon ein Bein, der stolperte und von seinem eigenen Körpergewicht weiter gerissen wurde. Er schlug schwer zu Boden. Erst im letzten Moment warf er sein Messer von sich, um sich im Sturz nicht selbst damit in die Brust zu stoßen. Sekundenlang lag er unbeweglich und schweratmend auf dem Bauch.
Alejandro nutzte die Gelegenheit und versetzte ihm, mit der flachen Klinge seines Degens, fünf klatschende Hiebe auf den Hintern. Sein Gegner brüllte vor Wut wie ein zu Tode verwundeter Tiger. Noch einmal kam er auf die Beine, um mit den Fäusten auf Alejandro vorzugehen.
Aber jetzt war es ›El Manco‹, der genug hatte. »Schluss!«, donnerte er dazwischen. »Sofort aufhören!«
Ramon kam schnell wieder zur Besinnung und gehorchte. Sein schweißüberströmtes Gesicht war eine Fratze aus Wut und Verzweiflung.
»Du darfst dich bei meinem Sohn bedanken, Ramon«, sagte ›El Manco‹ eisig, »dass er dich so ritterlich und anständig behandelt hat. Verdient hast du es nicht!«
Ehe der Gedemütigte etwas erwidern konnte, wurde hinter ihnen die Tür aufgerissen und ›El Mancos‹ Leibdiener trat atemlos ein.
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