Der Alte vom Berge
Abenteuerroman
von
Susann Smith & Thomas Riedel
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1. Auflage
Design:
© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel
Impressum
Copyright: © 2019 Susann Smith & Thomas Riedel
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
»Ich sehe wundervolle Dinge –
Gold, wohin das Auge blickt.«
Howard Carter (1874 - 1939)
Kapitel 1
Mossul,
Hotel ›Lion of Niniveh‹
I
n der exklusiven Hotelbar › Lion of Niniveh ‹war an diesem frühen Nachmittag der Teufel los. Zwei Männer wälzten sich vor der Theke auf dem staubigen Boden.
Mit aufgerissenen Augen verfolgten die wenigen Gäste wie gelähmt den ungleichen Kampf.
Ein blonder, athletisch gebauter Weißer lag schräg über einem dunkelhäutigen Kurden und drehte ihm den Arm herum.
In der Faust des Eingeborenen blitzte ein Dolch. Stöhnend vor Schmerz öffnete er die Finger. Der reichhaltig verzierte und nadelspitze Krummdolch fiel klirrend zu Boden.
Dann holte der Blonde aus und schlug zu. Blut lief über das cremefarbene Jackett des Mannes, der eben noch an der Bar gesessen und als harmloser Gast seinen Cocktail getrunken hatte.
Ist er wirklich so harmlos? Sein Auftraggeber Abu Barca würde bald wissen, dass er hier kläglich versagt hatte – und dann würde er nicht mehr lange zu leben haben.
Der Weiße beugte sich über seinen besinnungslosen Gegner und zog ihm das linke Augenlid auf. »Haschisch«, knurrte er nur. »Hat sich mit Haschisch aufgeputscht. Man sieht es an seinen Pupillen. Solche Menschen befinden sich in einem rauschähnlichen Zustand und haben keine Hemmungen mehr, keinen eigenen Willen.« Er nahm das zweischneidige › Jambiya ‹ an sich, dass hier so ziemlich jeder arabische Mann als kulturelles Symbol und Schmuckgegenstand am Gürtel trug, ging zur Theke und zündete sich eine Zigarette an. Unsere Reise nach Mossul fängt ja gut an , dachte der Blonde und rieb sich etwas verlegen die rechte Hand. Verdammt! Viel später hätte ich nicht eingreifen dürfen, dann wäre der Anschlag geglückt.
Während der Kurde hinausgeschleppt und draußen vor der großen Freitreppe des Hotels einigen Polizisten übergeben wurde, wandte sich ein untersetzter Mann an den Blonden.
»Herzlichen Dank, mein Freund«, sagte er, während er seine Hornbrille zurechtrückte. »Sie haben mir das Leben gerettet, Mister …«
»Hemsworth. Jacob Edward Hemsworth. Meine Schwester und ich kamen vor vierundzwanzig Stunden in Mossul an. Wir sind auf Expeditionsreise.«
»Darf ich fragen, ob ich einen Landsmann vor mir habe?«
»Wenn Sie Engländer sind, dann stimmt‘s«, erwiderte der junge Mann lächelnd. »Gute Freunde nennen mich übrigens Jack.«
»Dann möchte ich Sie auch so nennen, Jack. Schließlich wäre ich ohne Sie jetzt ein toter Mann gewesen und hätte meine Arbeit hier auf ziemlich unrühmliche Weise beenden müssen. Ich bin John B. Atkins aus Edinburgh.«
»Donnerwetter!«, entfuhr es Hemsworth überrascht.
»So hätte ich mir einen unserer bekanntesten Archäologieprofessoren nicht vorgestellt«, meldete sich eine Frauenstimme aus dem Hintergrund.
Eine schlanke, sportliche Frau, mit langen blonden Haaren und strahlend blauen Augen, war, in einem eleganten Kleid, welches in seiner Farbe der ihrer Iris glich, die Treppe heruntergekommen und schritt auf die beiden Männer zu.
»Dass Sie mich überhaupt dem Namen nach kennen, ist schon allerhand«, staunte der Professor. Er erkannte sofort die Ähnlichkeit zwischen den beiden jungen Gästen. »Menschen in ihrem Alter kennen meistens nur die besten Kricket-Mannschaften und Theaterschauspieler.« Der im ganzen Empire berühmte Forscher zwinkerte den beiden zu. »Aber auch das eine solch junge Dame der feineren Gesellschafft offensichtlich mehr über mich weiß, erstaunt mich.«
»Zur Ehrenrettung der jüngeren Generation muss ich widersprechen, Professor. Mein Bruder und ich wissen zum Beispiel, dass Sie vor einigen Wochen einen aufsehenerregenden Artikel für die Universität Cambridge veröffentlicht haben«, sagte Jacks Schwester. Dabei umspielte ein süffisantes Lächeln ihre Mundwinkel.
»Jetzt sagen Sie nur noch, Miss, Sie hätten ihn gelesen?«, schmunzelte der Professor überrascht.
»Aber sicher. Mein Bruder und ich haben Archäologie in Oxford studiert«, gab sie das Geheimnis um ihr Wissen preis. »Natürlich interessieren wir uns sehr für Ihre Forschungen. Morgen wollen wir mit einer Karawane über den Tigris setzen und uns die Ausgrabungen in ›Niniveh‹ ansehen. In Ihrem Artikel ging es doch um verschollene Keilschrifttafeln, die Sie aus dem Oberlauf des Flusses bergen und entziffern konnten. Und er war gespickt mit geheimnisvollen Andeutungen über einen wertvollen Schatz, dem Sie auf die Spur gekommen sind. Liege ich richtig?«
»Alle Achtung!«, entfuhr es Professor Atkins an Jack gerichtet. »Ihre Schwester ist bestens informiert.« Er musterte die attraktive Blondine. »Mein Kompliment, Miss.«
»Ich darf vorstellen … Meine Schwester, ... genauer gesagt meine Zwillingsschwester, Salvinia. Sally, Professor John Atkins.«
»Wir sollten nach der ganzen Aufregung einen Schluck trinken«, schlug Sally freudig vor. Sie fühlte sich geschmeichelt, dass der angesehene Akademiker sie lobte.
»Stimmt«, entgegnete der Professor. »Außerdem bin ich Ihrem Bruder noch meinen Dank schuldig für sein energisches Eingreifen vorhin.«
Sally und Jack sahen den Forscher von der Seite an, der umständlich seine Brille abnahm und sie mit seinem Rockzipfel putzte.
»Sie scheinen gefährlich zu leben, Professor«, bemerkte Sally. »Haben Sie bei Ihren Ausgrabungen möglicherweise ein Tabu gebrochen?«
»Das wüsste ich auch gern.« Jack Hemsworth drückte seine abgebrannte Zigarette in einem Messingaschenbecher aus. »Weshalb wollte man Sie töten?«
»Das ist nicht so wichtig«, wehrte Atkins ausweichend und gelassen ab. »Unsereiner lebt in diesem Land und bei diesem Geschäft immer gefährlich. Ich habe schon zahlreiche Drohbriefe bekommen. Der Mann mit dem Dolch«, er warf einen Blick auf die Waffe vor ihm, »wollte mich vermutlich aus dem Weg räumen.«
Sally und Jack Hemsworth nickten dem Professor zustimmend zu.
Jack zog die Augenbrauen hoch und betrachtete den Gelehrten etwas genauer. Er schätzte den massigen, aber geschmeidigen Mann auf Mitte vierzig. Er hatte eher das Aussehen eines Globetrotters als das eines international bekannten Forschers.
Während der Barmixer die Drinks zubereitete, sah Jack am anderen Ende der Theke eine aparte, schwarzhaarige, junge Frau.
Sie saß neben einem älteren Herrn und blickte ihn unverwandt an.
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