Oder es fanden sich wie auch immer abgetrennte Körperteile Tage später in den Fischnetzen der Einheimischen.
Hier glaubte mir jeder meine Eingangsgeschichte, was meine Schulter anbelangte.
Gewohnheit macht leichtgläubig.
Allein in der Woche, in der Javier auf der Insel war, wurden zwei Touristen nachhaltig vermisst. Nachhaltig deshalb, weil kurzfristig Vermisste es viele gab.
Das waren die, die nach einem Tag irgendwo wieder aus einem Busch herausgekrabbelt kamen, gerade wieder aufgewacht aus ihren Ganga Träumen oder irgendwelchen magischen Pilzgerichten.
„Nachts schwimmen, nicht gut“, meinten die Einheimischen am Split, „da sind die großen Haie unterwegs.“
Javier hatte schon oft auf seinen Reisen erlebt, wie diese zivilisationsverwöhnten Touris, zu denen er ja eigentlich auch gehörte, sämtliche Vorsichtsmaßnahmen vor Ort in den Wind schlugen.
Was hatte er alles schon gesehen. Leute mit Schlappen im Gebirge. Leute, die ohne Taschenlampe und Karte in Höhlensysteme gingen. Leute, die bei Tiersafaris gegen jede Vernunft das Auto verließen.
Und auch hier auf Caye Caulker meinte der Kapitän, mit dem er eines Tages zum Schnorcheln draußen war, ob er richtig sehen würde am Horizont.
„Was machen denn die da?“, rief er und er zeigte auf zwei fette, rosafarbene Stehpaddlerinnen, die dort bestimmt seit Stunden, erst wohl gedankenverloren, unterwegs waren und nun wohl langsam bemerkten, dass sie viel zu weit hinausgepaddelt waren.
Mann, Mann, Mann, das war doch kein Binnensee hier.
Mädels, seid ihr bescheuert?
„Ohne uns haben die keine Chance zurückzukommen. Bei der Meeresströmung. Keine Chance. Die sieht dann keiner mehr wieder. Der einzige Verleih dieser Dinger ist zwei Stunden westlich von hier. Und nach dieser unbewohnten Busch- und Mangroveninsel dort vorne kommt nix mehr. Nur noch Wasser. Vollkommen crazy die Mädels.“
Wäre unser Boot also nicht zufällig vorbeigekommen, „dann wären die ausgetrocknet auf hoher See“, meinte der Skipper. „Oder später ertrunken, was auch immer… oder beides. Aber zurückgekommen wären die nicht mehr.“
Und half dabei der ersten, die schon schwer nach Sonnenschlag aussah, über die Reling an Bord.
Rückwirkend betrachtet war Javier am meisten schockiert, dass die beiden Frauen sich der Gefahrenlage immer noch nicht wirklich bewusst waren… und wahrscheinlich heute Abend auf den sozialen Medien selbstbewusst und heroisch ihr Abenteuer schildern würden.
Javier hatte da immer so etwas wie einen „Warnkompass“ im Kopf, der ihn abwägen ließ, ob das noch sinnvoll, schon gefährlich oder noch kalkulierbar von den Risiken her sei.
Und das hieß bei `The Split`, never ever, auf die zwischen den Bäumen aufgehängte Schaukel zu steigen und sich laut juchzend in die Strömung zu schaukeln.
Sein Gefahrenkompass funktionierte perfekt, da war er sich sicher!
So leicht brachte er sich nicht selbst in Gefahr.
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Aus der Gruppe fand er Beatrice sofort interessant.
Ja, irgendwie hatte er bei dem Vorschlag sich zusammenzutun auch gehofft, dass sie dabei sein würde. Aber da sie eine allein reisende Frau zu sein schien, hatten die Wetten darauf gutgestanden.
Sie war eins achtundsechzig, sehr schlank, hatte schulterlanges, braunes, gelocktes Haar, kastanienbraune Augen und war, wie man an den vielen Stickern an ihrem Rucksack sehen konnte scheinbar auch ein Reisefreak.
Es sei denn, der war nur geliehen.
Gut gepackt der Rucksack, stellte Javier fest, da gab es ja so manchen Ausreißer in den Überlandbussen. Nichts baumelte an der Seite oder war hastig in die Seitennetze verstaut. Man sah bei ihr kein Tattoo, keine Nasenringe, keine sichtbaren Piercings. Kein Schlabberlook, kein Süßholzgeknabber, keine Dreadlocks, und am wichtigsten:
Es war kein Typ dabei.
Wo war hier der Haken?
Nun, es gab offensichtlich keinen.
„Erstes Mal hier?“, war seine erste, wenn auch nicht sonderlich intelligente Frage, aber irgendwie doch unaufdringlich und so fragte er weiter „Kannst Du mir einen Tipp geben, wo man am besten unterkommt?“
„Ja, erstes Mal, keine Ahnung, ich habe auch noch nichts, brauche aber was Billiges, mein Budget ist nicht mehr ganz so üppig!“
„Wir können ja zusammen schauen, ich denke mal am Pier werden einige Schlepper mit ihren Pappkartons warten, um Unterkünfte zu vermitteln.“
„Wenn Sie nicht zu bekifft am Strand rumliegen, und die Ankunft verpassen.“ Sie lachte.
Mag sein, dass damals einige bekifft am Strand herumlagen, doch es waren immer noch genügend da, um Ihnen ihre Unterkünfte anzupreisen, als sie zwei Stunden später am Pier anlegten.
Selbstgebastelte Collagen aus Bildern von den Gästezimmern, der Vorderfront des Hauses und meistens der Seaview wurden Ihnen zur Inspektion vorgehalten. Unterlegt mit dem Redeschwall des Besitzers der Collage.
„Best price!“ - „Good price only for you.“
Das Übliche.
Wir folgten einem Einheimischen, der als besonderen Service seine Schubkarre mitgebracht hatte, um uns die Rucksäcke zu transportieren.
„Geschenkt…“, war Javiers Antwort, „hier gibt’s eh nur zwei parallel verlaufene Straßen und wir wollen uns die Hostels mal an der Mole anschauen.“
Es wurde `Bellas Backpackers`.
Wie alle Behausungen hier direkt am Strand gelegen. Pink angestrichen. Mit vorgelagerter Terrasse und mit überall diesem feinen zerriebenen, unverschämt weißen Korallensand.
Da sie beide Geld sparen wollten und doch ein wenig Luxus wollten, hatten sie sich schnell entschieden ein gemeinsames Zimmer im ersten Stock mit Strandblick zu nehmen.
Backpacker eben. Unkompliziert
„Hauptsache sauber und so wie das hier aussieht, auch mit dem Wetter, sind wir eh fast immer draußen.“ – „Stimmt, eigentlich kauft man nur die Dusche und ein bisschen Ruhe, …schlag mich, wenn ich schnarche.“
Er hatte schon vorher gelesen von anderen Reisenden, dass diese Insel gefährlich sein könnte.
Gefährlich deshalb, weil man hier nach ein paar Tagen nicht mehr wegwollte.
Und auch sie entschieden fünf Tage lang immer wieder spontan beim Morgenkaffee, dass sie dann doch noch einen Tag bleiben wollten.
„Es ist wirklich das Paradies!“, meinte er.
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Es war, als tasteten ihre Körper nacheinander, während sie noch im Halbschlaf lagen. Bea küsste ihn. Sie stieß ihm ihre Zunge in den Mund, die sehr groß zu sein schien, und er schmeckte ihren Schlaf. Sie hatte die Spitzenunterwäsche abgestreift und auch ihr gestreiftes Schlafshirt `verloren`. Sich dann einfach auf ihn gelegt. “Ich weiß noch“, sagte er später zu sich selbst, „dass ich mich wunderte, wie schwer sie war und wie warm“.
Es war unvermutet gerade jetzt dazu gekommen, aber es war auch irgendwie erwartbar gewesen. So wie sie die Tage zuvor zusammen geschnorchelt hatten am Lighthouse Reef vor Caye Caulker und sich schon beim ersten Mal auf Anhieb ohne Worte unter Wasser verstanden hatten, bedurfte es auch hier und jetzt keiner Worte. Auch hier und jetzt verstanden sie sich auf Anhieb. Jetzt trieben sie nicht mehr nebeneinander her, mit großen geweiteten Augen unter der Maske. Jetzt trug keiner von beiden eine Maske und Bea, dass erkannte er im Halbschlaf aus dem er immer mehr erwachte hatte ihre Augen geschlossen und genoss seine morgendliche Erregtheit in sich.
Und wie beim Schnorcheln auch, so sprachen sie nach dem gemeinsamen Auftauchen nicht weiter über das eben Erlebte.
Nach Caye Caulker fuhren sie weiter nach Tobacco Caye, bekannt durch seine vielen Anhäufungen von riesigen, rosafarbenen Karettmuscheln, die die Fischer nach der Ernte einfach auf die vorgelagerten Riffs warfen. Zu weit entfernt Tobacco Island, um sie in die nächsten größeren Souvenirläden zu bringen und dort an die Touristen zu verkaufen. Der Name Tobacco Caye oder Island erschloss uns nur in dem Sinne, dass man in den dreißig Hütten die hier rumstanden eine Menge Tabak rauchen musste um die Nerven zu behalten und nicht durchzudrehen. Wir drehten nach zwei Tagen nicht durch, sondern mit dem ersten Kleinboot wieder um aufs Festland und fuhren dann weiter über Hopkins und Placencia nach Punta Gorda, ein mehr als verschlafenes Städtchen in dem `laut Reiseführer, die Leute so verschlafen sind, dass sie selbst den Namen des Ortes nicht vollständig aussprechen, sondern nur PG nennen`.
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