Er grinste, wurde aber direkt wieder ernst.
»Jetzt mal Butter bei die Fische. Ich hätte dich gern dabei. Du warst von Anfang an Teil der Sache, wir haben mittlerweile einen riesigen Stab von Testern, ich weiß noch nicht mal die Namen der meisten Leute, die jetzt dabei sind. Du kennst dich mit der Nummer aus wie kein anderer, du hast die meiste praktische Erfahrung damit, wahrscheinlich mehr als wir selbst. Du hast gute Ideen, bist clever und zuverlässig, kannst dich ausdrücken, siehst gut aus …«
»Hey, was war noch mal genau meine Aufgabe? Soll ich dir mit nacktem Oberkörper Luft zufächeln?«
»Darüber könnte man sprechen …«
Jetzt lachten sie beide, und Theo merkte, dass Ferdi sein Angebot ernst meinte. Er überlegte und musste feststellen, dass er tatsächlich in einem Job arbeitete, den er lieber heute als morgen hinschmeißen würde, wenn er das Geld nicht bräuchte. Und die Aussicht, für Finally Development zu arbeiten und den ganzen Tag mit einer Tätigkeit zu verbringen, der er sowieso liebend gern ausschließlich nachgehen würde, schien ihm fast zu schön, um wahr zu sein.
»Weißt du, was passiert, wenn man Menschen Geld dafür zahlt, dass sie etwas tun, woran sie Spaß haben und was sie auch ohne Bezahlung sowieso schon machen?«, fragte er. Es war ein letztes Aufbäumen.
»Was?«
»Die Motivation sinkt.«
»Kein Witz?«
»Kein Witz.«
»Kein Problem, dann zahlen wir dir halt nichts.«
»Ist das wirklich euer Ernst? Das mit dem Angebot?«
»Würde ich sonst mit dir hier sitzen und dich sündhaft teuren Traubensaft aufs Tischtuch schütten lassen? Klar ist das unser Ernst, meiner zumindest, die anderen wissen noch nichts davon. Clemens gegenüber habe ich es kurz erwähnt, der wird sich den Arsch abfreuen, wenn du mitmachst, und bei deinen Referenzen kann sonst niemand was dagegen haben. Der Rest ist Formalität, glaub mir.«
Theo sah seinem Freund in die Augen und meinte, ihn noch nie wirklich angesehen zu haben. Er hatte sich verändert, war gereift und erwachsen geworden. Theo spielte Computerspiele, aber Ferdi machte sie, verkaufte sie und war dabei, einen Markt zu erobern, zielstrebig und unbeirrbar im Glauben an seine Sache. Theo beneidete ihn um seinen Willen und seinen Ehrgeiz, allerdings nicht um den Preis, den er dafür zahlen musste. Innerhalb des letzten Jahres war er nicht nur reifer, sondern auch sichtbar älter geworden, unter seinen Augen zeichneten sich Ringe ab, die nicht nur von ein paar wenigen durchwachten Nächten herzurühren schienen, sondern die er sich über einen längeren Zeitraum hinweg erarbeitet haben musste. Aber wenn er sich die gute Laune ansah, die Ferdi versprühte, hätte er selbst dafür bestimmt auch ein paar Augenringe riskiert.
Er sah sich noch einmal um, als wollte er sich von der Umgebung, von etwas Wohlbekanntem verabschieden und aufbrechen zu etwas Neuem. Er ließ den Blick schweifen und beendete die Runde wieder bei den erwartungsvollen Augen seines Freundes. Er nickte langsam.
»Ich denke, ich bin dabei.«
»Super, das freut mich. Echt.«
Sie stießen mit dem Wein an, das Essen kam, und es gab nichts mehr zu besprechen.
Es war schon spät, als Theo nach Hause stolperte, weinselig und froh. An jeder zweiten Straßenlaterne machte er kurz Pause, um zu verschnaufen und sich den Tag noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Sie hatten gespeist wie die Könige, bevor der Abend langsam undurchsichtig wurde und im Schleier viel zu teuren Weins versank. Er erinnerte sich nicht mehr an Details, aber es hatte auch einige unschöne Szenen gegeben, zumindest für Hotel und Personal, Ferdi und er waren glimpflich und übermütig lachend davongekommen. Was im Einzelnen passiert war, würden sie wahrscheinlich erst mit der astronomisch hohen Rechnung erfahren.
An der Wohnungstür stocherte er eine Zeit lang mit dem Schlüssel am Schloss herum, bevor er merkte, dass er versuchte, mit seinem Autoschlüssel in die Wohnung zu gelangen. Bevor er den richtigen Schlüssel heraussuchen konnte, öffnete sich die Tür schon, und Tine stand im Nachthemd vor ihm. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts Gutes.
»Sag mir, dass dir dein Handy geklaut wurde.«
»Was?«
»Ich habe dich ungefähr zweitausend Mal angerufen.«
»Warum?«
Tine antwortete nicht, drehte sich auf der nackten Ferse herum und verschwand in der Küche. Theo stolperte in die Wohnung, machte die Tür lauter zu, als er beabsichtigt hatte, und schlich ihr nach.
»Was war los?«
»Nichts weiter. Wir waren nur mit meiner Mutter zum Essen verabredet. War nicht so wichtig, nur ihr Geburtstag, du erinnerst dich vielleicht nicht, aber es gibt auch noch andere Termine und Verbindlichkeiten abseits von deinen Computerspielen und Besäufnissen oder was auch immer du gemacht hast. Ich habe dir die Decke aufs Sofa gelegt.«
Theo stand wie ein begossener Pudel im Türrahmen, Tine drückte ihn beiseite und ging ins Schlafzimmer. Vor seinen Augen drehte sich alles, und er merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Etwas Seltsames ging hier vor. Das Essen mit ihrer Mutter, verdammt! War das nicht erst morgen? Instinktiv wusste er, dass er handeln musste, aber er hatte keine Idee, wie er es anstellen sollte. Der Bonus vom Wochenende war verspielt, so viel war klar. Er schlich zum Schlafzimmer und klopfte zart an die Tür, zumindest war das sein Plan gewesen, denn im Tran schätzte er den Abstand falsch ein und wischte einmal kurz an der Tür vorbei, bevor er mit seinem ganzen Gewicht dagegen fiel.
»Tine …«
»Verschwinde.«
»Ich war mit Ferdi unterwegs …«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Ich habe einen neuen Job.«
»Das ist ja toll. Willst du dir auch gleich eine neue Wohnung suchen?
»Was?«
»Komm endlich rein, oder willst du dich die ganze Nacht durch die Tür unterhalten, du Idiot?«
Er drückte die Klinke und stapfte ins dunkle Zimmer. Es dauerte eine Weile, bis er den Lichtschalter gefunden hatte, das grelle Licht blendete ihn, und er hob die Hand, um seine Augen zu schützen.
»Du verstehst das falsch …«
»Was genau verstehe ich falsch? Dass du uns versetzt hast? Dass meine Mutter sauer auf dich ist? Dass ich sauer auf dich bin? Dass du ein unzuverlässiger Arsch bist, der mir total auf den Sack gehen würde, wenn ich einen hätte?«
Theo wusste, dass es die wahrscheinlich unpassendste Reaktion war, in dieser Situation über diesen lächerlichen Witz zu kichern, aber er konnte sich dennoch nicht beherrschen.
»Blödmann.«
»Ich kündige meinen Job. Ferdi hat … Ich fange bei Ferdi an. Er … Sie brauchen Leute, die sich mit dem Spiel auskennen. Ich verdiene viel mehr als vorher. Und … Ich kriege dann Geld fürs Spielen, stell dir das vor. Dann brauche ich zu Hause nicht mehr zu spielen, das mache ich dann tagsüber, also in der Firma, für Geld.«
»Du verarschst mich.«
»Ruf Ferdi an, wenn du mir nicht glaubst. Wir waren in einem Hotel essen, riesig, das Ding … teuren Wein gab’s auch. Und Essen. Auf Firmenkosten.«
»Wir reden morgen.«
»Tut mir leid, dass ich nicht angerufen …«
»Wir reden morgen! Und meine Mutter rufst du auch an, sie hatte Geburtstag.«
»Scheiße …«
Er wankte aus dem Zimmer, holte sich eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, stellte sie vor das Sofa auf den Boden und vergaß sie sofort. Er ließ sich vornüber in die Kissen fallen und war im nächsten Moment eingeschlafen.
Der nächste Morgen war genau so, wie Ferdi ihn vorhergesagt hatte: »Du wirst glauben, dass alles nur ein Traum war«, hatte er prophezeit, »du wirst meinen, dir das alles im Tran nur ausgedacht zu haben, und dein Schädel wird dir recht geben, weil er alles daran setzen wird, zu platzen. Ich habe dir gleich gesagt: Zwei Gläser Wasser auf ein Glas Wein, dann wird alles gut. Der Wein kann noch so gut sein, wenn du dir ein paar Liter davon reingekippt hast, wird der Kater nicht lange auf sich warten lassen.«
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