»Tut mir leid, aber siehst du nicht, was hier los ist? Seit Monaten reißen wir uns den Arsch auf, aber es ist nie genug. Immer kommt so ein … Klaus? … rein und will irgendwas.«
»Dietmar?«
»Mir egal, wer das ist, für mich heißen die alle Klaus!«
»Und was wollte er?«
»Irgendwas! Keine Ahnung, ständig Änderungen, Clemens hier, Clemens da, können wir nicht, sollten wir nicht? Wie wäre es hiermit? Es wäre aber besser, wenn so und nicht anders. Der Markt sagt aber. Ich scheiße auf den Markt!«
»Der Markt zahlt unsere Gehälter …«
»Das ist doch Kacke! Der Markt zahlt überhaupt nichts, der Markt will nur, immer will er irgendwas! Unsere Gehälter werden von unseren Ideen bezahlt, von dem, was hier drin ist!«
Dabei tippte er sich mit dem Finger an den Kopf und sah irgendwie grotesk aus, fast meinte Ferdi, ein irres Blitzen in seinen Augen ausmachen zu können, dann aber erkannte er, dass Clemens einfach nur völlig überarbeitet war. Er musste in der letzten Zeit ständig hier gehockt und gebastelt haben. Wenn man sich die Ergebnisse ansah, die er produzierte, schien es fast unmenschlich, dass ein einziger Kopf sich solche Sachen ausdenken konnte. Und besonders schwer fiel es Clemens, Sachen abzugeben, er erledigte die Dinge lieber selbst. Sie hatten mittlerweile eine ganze Horde von bestimmt außergewöhnlich talentierten Programmierern eingestellt, aber Clemens ließ sie nicht an das Herzstück heran, machte alles selbst, was den Kern der Software betraf und überließ den anderen »Kleinkram«, wie er sagte, unwichtiges Zeug, das jeder, der mit irgendeinem beliebigen Körperteil eine Tastatur traf, irgendwie zusammenstümpern konnte.
»Das ist doch Unsinn, Clemens. Niemand zahlt dir dein Essen und deine Miete, nur weil du tolle Ideen hast, du musst sie auch verkaufen, und der Markt sagt dir nun mal, was du einstreichen kannst.«
»Falsch, der Markt sagt mir, was ich für Ideen haben soll. Der Markt weiß angeblich, was die Leute wollen und das sollen wir liefern!«
»Aber irgendeinen Kompromiss …«
»Jaja, einen Kompromiss … einen faulen Kompromiss! Wir hätten Exil …«
» Lifelines «
»Ja, Scheiße, genau, Lifelines , so ein weich gespülter Kackname! Exil heißt das, was ich hier mache, ich kann noch nicht mal mehr bestimmen, wie das Ding heißen soll! Wir hätten Exil allein fertig machen und dann auf den Markt werfen sollen. Dann hätte sich der Scheißmarkt dran verschlucken können. Hier! Friss oder stirb! Dann hätten wir ein fertiges Produkt gehabt, und da hätte auch keine Armee von Kläusen mit Umfragen und anderem Mist kommen können, weil: Wir wären einfach fertig gewesen. Und die Leute hätten es uns aus den Händen gerissen.«
»Das hätten wir nie allein geschafft, und das weißt du.«
»Jaja, ich weiß«, schnaubte Clemens. »Finanzierung hier, Sponsoring da, Venture-Scheiße hier, Capital-Kacke da.«
»Hör auf jetzt, wir waren am Ende, wir hatten nichts mehr, wir hätten noch ein oder zwei Wochen weitermachen können, dann wäre Schluss gewesen. Und Exil hättest du einstampfen oder die Idee an einen der Großen verkaufen könne. Selbst wenn das geklappt hätte, wärst du dein Baby losgeworden und hättest nichts, aber auch gar nichts mehr daran ändern können. Sie hätten es ›Barbies rosa Wunderland‹ nennen und als kostenlose Dreingabe für ein Pfund Mett raushauen können, und du hättest hier gesessen, und es wäre auch nicht richtig gewesen! Scheiße, Mann!«
»Ja genau, Scheiße, Mann! Ich will einfach mein Leben zurück, verstehst du das nicht?«
So emotional hatte Clemens noch nie geredet, und Ferdi fiel es schwer, damit umzugehen, vor allem, da er sehr gut nachvollziehen konnte, wie Clemens sich fühlte. Ihm selbst war der Wandel in ihrem Leben auch nicht leicht gefallen, aber im Gegensatz zu Clemens haderte er nicht mit der Veränderung, sondern hatte sie als etwas Notwendiges akzeptiert. Er war überrascht, dass es Clemens so schwer fiel, das hinzunehmen, was sie eigentlich die ganze Zeit gewollt hatten. Oder war genau das das Problem? Hatten sie eben nicht das bekommen, was sie wollten? Waren sie von der Entwicklung überrollt worden, ausgenutzt und jetzt in eine Ecke gedrängt, aus der es kein Entkommen gab? Er trat an Clemens heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Diese plötzliche Nähe, die sich wie ein tonnenschweres Gewicht auf ihm niederließ, schien in Clemens einen Damm brechen zu lassen.
»Mann, Ferdi, weißt du noch, wie wir angefangen haben? Bei meinen Eltern unterm Dach. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Klappstuhl, und du hast auf der alten Matratze gesessen. Den Malblock von meinem kleinen Bruder haben wir als Flipchart aufgestellt und wilde Diagramme gemalt. Wir haben gesoffen und rumgesponnen und Pläne gemacht und geträumt und wussten, alles würde total geil werden und super und abgefahren, und wir würden Millionen machen.«
»Wir werden Millionen machen.«
»Ja, weil wir unseren Arsch dafür hinhalten.«
»Übertreib nicht.«
Clemens sah Ferdi traurig an und legte seine Hand unvermittelt auf Ferdis, die noch immer auf seiner Schulter ruhte. Bei der plötzlichen Berührung zuckte Ferdi unwillkürlich kurz zusammen. Clemens hatte seine Regung bemerkt, die Ferdi dadurch noch peinlicher wurde.
»Was ist? Habe ich mich so verändert? Sehe ich so scheiße aus?«
»Ehrlich gesagt … Ja.«
Ferdi lächelte dabei, und Clemens tat es ihm gleich.
»Danke, Mann.«
»Sag mal, nimmst du irgendwas?«
»Du nicht? Erzähl mir nichts.«
Ferdi schwieg. Jeder meinte natürlich, dass er sich jederzeit unter Kontrolle hatte, da bildete er keine Ausnahme und auch Clemens offenbar nicht.
»Ich will einfach wieder was träumen, ich will einfach ein bisschen länger schlafen und rumhängen, wenn mir nicht nach Arbeit zumute ist. Ich will nicht, dass hier so ein Klaus reinkommt und mir sagt, was ich zu tun habe. Ich weiß, dass wir es allein nie geschafft hätten, tut mir leid, da hast du recht. Ich bin zu idealistisch, aber ich will eben nicht nur nach dem Markt leben, ich will selbst bestimmen, wo es hingeht, was als Nächstes kommt und wie das Kind heißt.«
Er machte eine lange Pause, seufzte mehrfach und fuhr dann fort, langsam, zögerlich, so als müsste er sich jedes Wort vorher dreimal zurechtlegen.
»Du kennst den Umfang der Geschichte gar nicht, Ferdi. Die Kläuse haben noch ganz andere Pläne, die wollen irgendwas Großes veranstalten, eine Riesenschau, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Du nicht, ich auch nicht. Die Ideen, die die einbringen, sind toll, keine Frage, aber ich will nicht wissen, warum die mit diesen Ideen kommen. Scheiße, klar will ich’s wissen, ich bin verdammt neugierig, aber irgendwie auch nicht.«
»Wovon redest du?«
»Ich weiß es selbst nicht. Die wollen Datenformate und Schnittstellen, die einfach nicht nötig wären, ich habe keine Ahnung, wo die mit Exil hinwollen. Natürlich gibt es immer eine plausible Erklärung, aber manchmal ist die einfach zu plausibel. Ich frage die, warum wir Schnittstellen brauchen, um Daten von außen einspielen zu können, die antworten, dass man das Ganze in einem größeren Kontext sehen müsse. Wir erzeugen Daten, wir importieren keine! Was soll das?«
»Ich werde da mal nachfragen …«
»Den Teufel wirst du, lass die ihr Ding machen, ich mache meins. Und ich sage dir eins: Sobald Exil fertig und auf dem Markt ist, bin ich hier raus. Hier drin gibt es noch mehr Ideen, die reichen für ›Finally Development II‹, und dann machen wir alles richtig, denn ich hoffe, du bist dabei, mein Freund.«
Ferdi war gerührt von einer derart persönlichen Ansprache, und so entschlossen sie sich kurzerhand, an diesem Abend Arbeit Arbeit und Überstunden Überstunden sein zu lassen und einen trinken zu gehen »wie in alten Zeiten«.
Читать дальше