»Das ist rassistisch!«
»Nein, nur diskriminierend.«
Sie lachten beide und sahen sich eine Zeit lang schweigend an. Je länger Theo über seinen neuen Job sprach, den er noch gar nicht ausübte, desto besser gefiel ihm die Idee und desto verliebter sah ihn Tine an. Zumindest bildete er sich das ein, aber das konnte auch an dem Wein liegen, den sie zusammen tranken und worauf sie bestanden hatte. Eigentlich wollte er sich heute enthalten, aber sie hatte insistiert, dass er sich nicht nur mit seinen Freunden betrinken könne, sondern auch mit ihr, und einen Grund zu feiern hätten sie ja nun. Dem hatte er nicht lange etwas entgegenzusetzen gehabt.
Als sie später zusammen im Bett lagen und Tine schon eingeschlafen war, dachte Theo über die überraschende Wendung nach, die sein Leben nehmen sollte. Beinahe fühlte er sich versucht, seine Mutter anzurufen, um ihr über die neuesten Entwicklungen zu berichten, und wunderte sich selbst über diese Anwandlung, aber ein schneller Blick auf die Uhr belehrte ihn eines Besseren. Er konnte das Gefühl nicht bezeichnen, das ihn beim Gedanken an seine Zukunft ergriff, war es Hoffnung? Zuversicht? Das war vielleicht etwas zu stark, aber es war ein gutes, ein positives Gefühl, es bescherte ihm auf eine angenehme Art Freude darüber, eine Perspektive zu haben. Vielleicht war es das, was ihm bisher gefehlt hatte. Mittelmäßiger Schüler, mittelmäßiger Student, das Studium kurz vor Abschluss abgebrochen und sich dann mit Jobs über Wasser gehalten. Obwohl »über Wasser gehalten« auch ein Schlagwort war, das auf ihn nicht zutraf. Schlecht war es ihm nie gegangen, er hatte sich nicht durchschlagen müssen, hatte viel Glück gehabt und immer schnell einen Job gefunden, der ihm zumindest nicht so sehr zuwider war, als dass er ihn sofort wieder geschmissen hätte. Er hatte keine schmutzige, keine Drecksarbeit machen müssen, hatte sich weder verkaufen noch prostituieren müssen und war immer über die Runden gekommen. Das war zum Teil auch Tine geschuldet, die ebenfalls immer gearbeitet hatte und fleißig war, sodass sie sich zusammen diese Wohnung leisten konnten, den Lebensstil pflegen, den sie genossen, und nicht jeden Pfennig zweimal umdrehen mussten. Vielleicht war es das, was ihn jetzt ein bisschen mit Stolz erfüllte, mit Zuversicht. Er hatte eine Gelegenheit, etwas mehr aus seinem und auch aus Tines Leben zu machen. Ferdi hatte ihm noch keine Zahlen genannt, der Vertrag sollte erst in den nächsten Tagen aufgesetzt werden, zunächst hatte er Theos Zusage gebraucht. Aber Ferdi hatte ihm in Aussicht gestellt, dass er verdienen werde »wie noch nie in seinem Leben«. Theo konnte sich darunter eine ganze Menge vorstellen, aber sobald er sich eine konkrete Zahl vor Augen hielt, die durch dieses Versprechen abgedeckt sein konnte, wurde ihm schwindelig. Sie konnten reisen, sie konnten sich ein Auto kaufen, das nicht drohte, alle naselang liegenzubleiben, und ihn schon seit Monaten veranlasste, lieber den Bus zu nehmen. Sie konnten sich eine größere Wohnung leisten, teuren Wein kaufen, mehr elektronisches Spielzeug, eins von diesen Angeberhandys, eine neue Küche. Und fast erschreckte er bei dem nächsten Gedanken: Sie konnten spießig werden, ruhiger, gesetzter, weil sie eine Sicherheit hatten. Sie konnten eine Familie gründen. Was sie bisher beide auf eine unbestimmte Zukunft verschoben hatten, konnte vielleicht Wirklichkeit werden. Aber Theo war noch nicht betrunken genug, um die Planung seiner Vaterschaft sofort in Angriff nehmen zu wollen, aber zu betrunken, um sie in Angriff nehmen zu können. So vertagte er weitere Planungen auf die nicht mehr ganz so unbestimmte Zukunft, küsste seine schlafende Gefährtin und ließ sich aus den Wachträumen in die der Nacht hinübergleiten.
vier
Ferdi kam nach dem Abend im Hotel irgendwann am Vormittag zu sich. »Ein Glas Wein, zwei Glas Wasser«, murmelte er vor sich hin und behandelte seine Nachlässigkeit mit Schmerzmitteln. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er zu spät kommen würde, aber die guten Nachrichten würden das mehr als ausgleichen. Er hatte einfach noch einen Termin gehabt. Bei diesem Gedanken stutzte er kurz. Wem war er denn überhaupt Rechenschaft schuldig? Den Geldgebern? Den Teilhabern, die sich aufspielten, als gehörte ihnen der Laden? Was hatten die schon getan? Nun, immerhin hatten sie das Projekt ermöglicht. Sein Vorsprechen in der Bank war fast zwei Jahre, sogar gefühlte Jahrzehnte her, und was hatte sich in dieser Zeit alles verändert … Kein Grund zur Undankbarkeit, ermahnte er sich, es war nur natürlich, dass er gewisse Aufgaben abgeben und von Profis erledigen lassen musste. Was wusste er schon von der Vermarktung von Software in einem globalen Zusammenhang? Bei den Gesprächen mit ihren Geldgebern hatten sie schnell feststellen müssen, dass sie eben doch nur Anfänger waren, Kinder mit einem großen Traum, dessen Konsequenzen sie nicht absehen konnten oder vielleicht auch nicht absehen wollten. Ihre Vision war ihr Baby, das Spiel, an dem sie jahrelang gearbeitet hatten, und natürlich wollten sie das Spiel vermarkten, wollten es weltweit gespielt sehen, wollten ihre Vision umsetzen, aber das bedeutete eben auch, dass man bestimmte Zugeständnisse machen musste. Das betraf nicht ihren Kleidungsstil, wie Clemens immer betonte, aber es betraf ihre Einstellung, ihre Professionalität. Wenn eine Untersuchung ergab, dass ein Spiel, das weltweit vernetzt eingesetzt werden sollte, besser ankam, wenn die Schaltflächen in Grün statt in Blau ausgeführt waren, dann nahm man eben Grün. Ferdi hatte seinen Kleidungsstil der angenommenen Größe und Tragweite ihres Projektes angepasst, hatte sich ein paar feine Anzüge fertigen lassen, trug Hemden und ab und zu sogar Krawatten. Aber er repräsentierte die Idee auch nach außen und konnte sich nicht in seinem Keller einschließen, so wie Clemens es tat. Das war nun auch nicht sein Ding, er flocht lieber die Fäden zusammen, knüpfte Kontakte, kontrollierte und verkaufte, während Clemens der einsame Grübler war, genial auf seinem Gebiet, aber eben nicht dazu zu gebrauchen, einem Banker klarzumachen, dass er ihm möglichst schnell eine möglichst große Menge Geld geben musste. Ferdi fühlte sich nicht wohl bei diesen Gedanken, so als übte er Verrat an seinem Freund, als täte er ihm Unrecht. Trotzdem musste er bei der Vorstellung von Clemens in einem Anzug lächeln.
»Er ist dabei«, rief er Clemens zu, als er es irgendwann geschafft hatte, im Büro aufzutauchen.
»Was? Wer?«
»Theo. Er ist dabei.«
»Gut. Gut.«
»Gut? Ist das alles? Es war ein hartes Stück Arbeit, ihn zu überzeugen, da erwarte ich ein bisschen mehr Begeisterung.«
»Wie hart das Stück Arbeit war, sehen wir bestimmt auf der Spesenrechnung von gestern, oder? Wo wart ihr? Im Hilton?«
»Excelsior.«
Clemens pfiff durch die Zähne, und Ferdi fühlte sich ertappt. Trotzdem ließ er sich seine Freude darüber, Theo überzeugt zu haben, nicht so schnell nehmen.
»Was hältst du von ›Produktmanager‹?«
»Was soll das sein?«
»Theos Berufsbezeichnung.«
»Von mir aus.«
»Sag mal, was ist los?«
»Was soll sein?«
»Hast du schlecht geschlafen oder so was? Ich komme hier rein, um dir zu erzählen, dass nicht irgendwer, sondern Theo mitmacht und dass wir auf ihn zählen können, und du muffelst hier rum. Theo ist einer von uns, vergessen?«
Clemens lachte kurz auf, es hörte sich so an, als würde er verächtlich nach Luft schnappen. Er verdrehte die Augen und sah Ferdi schief an.
»Einer von uns. Sehr gut.«
»Was soll das?«
»Was das soll? Ich kann dir sagen, was das soll!«
Mit diesen Worten knallte er seine Handfläche auf den Tisch und stand auf. Im nächsten Moment schien ihm dieser Gefühlsausbruch, der so gar nicht zu ihm passte, auch schon leidzutun. Er setzte sich wieder hin und stützte die Stirn in seine Hände.
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