»Wenn er das baut, was mir fehlt, will ich nie mehr schlafen!«
»Wovon redest du?«
»Deswegen rufe ich an: Ich habe gerade versucht, meinen Spielzug von heute Morgen nachzubauen, habe es aber nicht hinbekommen. Auf jeden Fall habe ich so ziemlich jede mögliche Kombination der Blöcke ausprobiert, die ich verwendet hatte. Irgendwann wird das langweilig.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Ja, aber ich meine nicht nur das Nachbauen von etwas, was man schon gebaut hat, sondern das Spiel an sich. Irgendwie passiert immer dasselbe, man puzzelt rum und merkt dann, dass man immer nur bestimmte Kombinationen zusammenstellen kann, man kann nichts riskieren.«
»Riskieren?«
»Riskieren.«
»Was meinst du?«
»Ich nehme zum Beispiel einen Block für ›im Alter von fünf Jahren Prügel bezogen‹ oder so was, mit dem Block komme ich aber nie weiter, irgendwann wird jede Kombination mit der Episode immer abgelehnt, irgendwann kommt immer raus, dass der Block nicht passt. Warum habe ich den dann aber überhaupt zur Auswahl?«
»Weil es sonst langweilig wäre.«
»Klar, aber wenn ich den gar nicht verwenden kann, ist es zuerst frustrierend und dann langweilig.«
Ferdi brummte zustimmend.
»Verstehe«, sagte er dann.
»Ich hoffe, dass Clemens genau das meint, dass man Risikoblöcke einbauen kann, die eigentlich nicht passen dürfen, die sich aber unter gewissen Umständen doch durchsetzen können.«
»Okay.«
»Mein Nummer Eins-Wunsch ist dadurch natürlich nicht hinten angestellt.«
»Ich weiß, ich weiß, Clemens ist im Bild, er überlegt sich was. Deine Idee mit der Ablage wird er übrigens bauen, danke dafür.«
»Kein Problem. Aber baut mir Blöcke, die ich von Grund auf selber schreiben kann, und ihr werdet mich nie mehr los.«
»Ich weiß, hör mal, ich muss noch was für das Update vorbereiten, war’s das?«
»Das war’s, muss eh Schluss machen, Tine kommt gleich.«
»Okay, mach’s gut.«
»Mach’s gut.«
Das Wochenende verlief gut aber langweilig. Theo war nie ganz bei der Sache, dachte immer an das Spiel und welche Neuerungen Clemens sich ausgedacht haben mochte. Zur gleichen Zeit ging ihm Ferdi nicht aus dem Kopf, er hatte besorgt geklungen und irgendwie gehetzt. Zu der Zeit, als sie sich im Studium kennengelernt hatten, war er eigentlich ein eher ruhiger Typ, den so schnell nichts aus der Ruhe brachte, er hätte eher fünf gerade sein lassen, als nervös zu werden. Aber seit er sich mit Clemens zusammengetan und sie das Geld für ihre Firma bewilligt bekommen hatten, hatten sich die Dinge verändert. In den Anfangstagen von Finally Development hatte die ganze Sache etwas von Spielerei, von einem netten Zeitvertreib, mit dem man sich über einen gewissen Zeitraum beschäftigte, den man aber auch wieder fallen ließ, sobald sich etwas Besseres bot. Und etwas Besseres war eigentlich jeder X-beliebige Job, der einem über den Weg lief. Damals gab es viele Kommilitonen, die sich in den Boomtagen des Internets mit Agenturen selbstständig machten, und kaum jemand überlebte, für alle war es eine interessante, für die meisten aber auch eine anstrengende Zeit, die Nackenschläge austeilte und nur einen Bruchteil überleben ließ. Finally Development gehörte zu diesem Bruchteil, aber den Preis, den Ferdi und Clemens dafür bezahlt hatten, war hoch, fand Theo. Aus der fröhlichen Feiergesellschaft, die die Nächte durchmachte, um einen Auftrag fertigzustellen, und dabei Bier in Strömen fließen ließ, war eine ernsthafte Unternehmung geworden, eine Firma, deren Angestellte er kaum noch kannte. Während Clemens immer noch trotzig seinen Look zur Schau stellte, den man wohlwollend als »etwas vernachlässigt« bezeichnen konnte, kamen die neuen Angestellten zu einem großen Teil im Anzug zur Arbeit. Und der Begriff »Ernsthaftigkeit« war wahrscheinlich noch nicht einmal zutreffend für die Veränderungen, die seine Freunde zeigten. Wenn sich Theo das letzte Gespräch mit Ferdi ins Gedächtnis rief, passte der Ausdruck »Verbissenheit« besser, gepaart mit einer guten Portion »Verzweiflung«. Besonders der Umstand, dass Clemens nicht mit Details über seine Änderungen herausrückte, war seltsam, denn sonst war er es gewesen, der sofort mit Plänen und Ideen aufwartete und die Nächte damit verbrachte, sie mit seinen Freunden zu diskutieren. Oder vielmehr: sie vor seinen Freunden zu verteidigen, denn was immer er ausheckte, hatte Hand und Fuß und musste höchstens an der Oberfläche poliert werden, das, was darunter schlummerte, war meist nahezu perfekt, die anderen mussten das nur erst erkennen.
»Hey, wo bist du gerade?«
Tine saß ihm beim Frühstück im Hotel gegenüber und hatte mit den Fingern vor seinen Augen geschnippt, um ihn in die Realität zurückzuholen, der er offensichtlich schon seit geraumer Zeit entrückt war.
»Bei Ferdi«, gab er zu, bereute aber schon im nächsten Moment seine Ehrlichkeit.
»Mein Gott, verfolgt uns der Typ jetzt schon an unserem gemeinsamen Wochenende? Ich wette, du denkst die ganze Zeit über das Spiel nach, habe ich recht? Du willst lieber jetzt als gleich zurück an deinen Computer.«
Theo blickte über den Tisch und sah in Tines Gesicht, das durch die einzelne Rose inmitten des »Wohlfühlfrühstücks«, das das Hotel bot, halb verdeckt war. Er neigte den Kopf leicht zur Seite, blickte in ihre braunen Augen und sah eine rötliche Strähne darüber fallen. Ihre Stirn war in Falten gelegt, aber er meinte zu wissen, dass ihr Ärger nur gespielt war. Schließlich war er hier mit ihr und nicht zu Hause geblieben. Trotzdem war seine geistige Abwesenheit natürlich eine Beleidigung ihres Wochenendes, an dem er nur ihr gehören sollte. Er lächelte, atmete tief ein und vernahm den schwachen Duft der Rose. Er reichte über den Tisch und legte seine Hand auf ihre.
»Ich habe nur darüber nachgedacht, wie sich Clemens und Ferdi verändert haben, seit sie dieses ganze Geld haben und machen können, was sie wollen.«
»Eben nicht.«
»Ja, genau, eben nicht. Ich habe vorgestern noch mal mit Ferdi telefoniert, und er war irgendwie komisch. Nicht kurz angebunden, auch nicht unfreundlich, aber irgendwie anders. Er wirkte gehetzt, unter Druck, in Eile, irgendwie so was.«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Clemens habe ich schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Mit ihm war ich zwar auch nie so befreundet wie mit Ferdi, aber trotzdem kenne ich ihn auch schon Jahre. Er hat sich immer etwas zurückgezogen und viel nur für sich gemacht, nie eine Freundin gehabt und so. Aber Ferdi meinte, er sei jetzt richtig verschlossen und …«
»Was?«
»Ich weiß nicht, Ferdi wusste es auch nicht.«
»Unglücklich?«
»Wahrscheinlich. Aber egal, das soll uns jetzt nicht kümmern. Bestellen wir uns Sekt?«
»Klar!«
Sie ließen sich eine Flasche Sekt aufs Zimmer bringen, verbrachten den halben Tag im Bett und unternahmen dann einen langen Spaziergang in der frischen Luft des herbstlichen Sonnenuntergangs. Ferdi und sein Befinden waren für den Moment vergessen, und Theo war froh, dass Tine sich wieder etwas beruhigt hatte.
So sehr Theo das Wochenende und die Versöhnung mit Tine genossen hatte, stellte sich sofort die Nervosität ein, kaum dass sie am Sonntagabend wieder zurück waren. Sie aßen zu Abend, und er musste sich beherrschen, um nicht ständig zu seinem Computer herüberzuschielen. Tine beobachtete ihn argwöhnisch, aber sie grinste verschmitzt, als sie anordnete: »Na, geh schon!«
Er bedankte sich, verließ den Tisch, schaltete den Rechner ein und wartete darauf, dass sich das Update installieren würde. Jetzt, wo er wieder an seinem Platz saß, konnte er kaum erwarten zu sehen, was Clemens sich ausgedacht hatte. Die Minuten zogen sich quälend dahin, er stand mehrmals auf und setzte sich sofort darauf wieder hin, aber nichts hielt ihn auf seinem Stuhl. Schließlich schnappte er sich das Telefon und versuchte, Ferdi zu erreichen, aber der ging nicht ran. »Verdammt.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nun mach schon!«
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