Ferdi war in seinem Element und fühlte sich langsam besser. Das Reden über ihr Projekt hatte ihn etwas beruhigt, seine Zunge gelöst und ihn in die Realität zurückgebracht. Allerdings schien jetzt die Stunde des externen Beraters zu schlagen, der die ganze Zeit über keine Miene verzogen hatte und auch jetzt sehr hölzern agierte, seine Worte mit Bedacht wählend.
»Sie sagen, dass es keine zentrale Speicherinstanz gibt, wie wird dann aber in diesem Fall der einzelne Spieler mit Daten versorgt, wenn er wirklich allein spielen sollte? Wenn Ihr Ziel einer weltweiten Spielergemeinde Wirklichkeit werden sollte, müssen die Datenmengen unvorstellbar groß sein, sodass es nicht möglich sein wird, diese alle redundant auf den Endgeräten vorzuhalten. Das Sicherheitsrisiko lokal gespeicherter Daten jedes einzelnen Spielers auf den Geräten aller anderen Spieler wird von dieser Frage noch nicht einmal berührt.«
Er lehnte sich steif zurück, sein Gesicht ließ auch weiterhin nicht erkennen, was seine Motivation war. Wollte er sich nur wichtigmachen, um sein Honorar zu rechtfertigen, sprach der Neid aus ihm und versuchte er deshalb, eine Schwachstelle in ihrem System zu finden? Aber Ferdi war nicht darauf aus, sich verunsichern zu lassen, sie hatten zu lange geplant und alle Für und Wider abgewogen, um jetzt angesichts solcher Anfängerfragen sofort die Waffen zu strecken.
»Das ist eine sehr gute Frage, aber ich kann Ihre Bedenken zerstreuen. Es ist richtig, dass Exil die Berechnungen, die nötig sind, um die einzelnen Spielzüge zu verifizieren, nicht auf einem zentralen Rechner durchführt, für die Datenhaltung aller gespeicherten Spielzüge und Spielstände sind wir allerdings auf zentrale Rechner angewiesen. Diese müssen allerdings nicht sonderlich leistungsfähig sein, sondern nur besonders viel Speicherplatz in einer durchdachten Struktur aufweisen, um zum einen die Datenmenge überhaupt speichern zu können und zum anderen den Zugriff darauf möglichst in Echtzeit zu gewährleisten. Wir arbeiten bereits mit einem anderen Unternehmen zusammen, und zwar handelt es sich dabei um die Firma BitFireS aus Großbritannien, die schon mehrere Preise für ihre innovative Datenspeicherung erhalten hat. Wir stehen in engem Kontakt mit den Entwicklern dieses Unternehmens und testen seit einigen Wochen neue Versionen von FireX, die noch nicht öffentlich erhältlich sind, in unseren Tests aber bisher hervorragend abschneiden.
Zum Thema Sicherheit kann ich auch noch kurz etwas sagen: Die Unversehrtheit der Spielerdaten hat höchste Priorität, daher werden alle Daten redundant vorgehalten, mehrfach gespiegelt und ständig auf Konsistenz überprüft. Dass alle Daten nur verschlüsselt übertragen und gespeichert werden, ist selbstverständlich. Verschlüsselung nach Militärstandards – und darüber hinaus – ist Grundlage unserer Arbeit, ebenso wie die Tatsache, dass kein Datensatz zurückverfolgt werden kann, selbst im unmöglichen Fall der Kompromittierung eines der Systeme würden die Einbrecher also nur Datenmüll erhalten, den sie weder entschlüsseln noch zurückverfolgen können. Aber wie gesagt: Diese Überlegungen sind rein hypothetisch.«
»Das sagt Facebook auch immer«, konnte sich der Externe nicht nehmen lassen zu sagen, aber der eigentliche Schwachpunkt in Ferdis letzten Ausführungen lag ganz woanders, wie ihm schon in der Sekunde, in der er es aussprach, klar wurde. Was lag denn über einem Militärstandard? Gab es das überhaupt? Er hatte sich in Rage geredet, um dem Wichtigtuer das Maul zu stopfen und sich dazu hinreißen lassen, etwas zu behaupten, angesichts dessen Clemens wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte. Was wäre, wenn er seine angebliche Verschlüsselung demonstrieren sollte, was wäre, wenn die Bank ihnen nur Geld bewilligen würde, wenn sie die Wunderwaffe zur Verfügung stellten, die sie ja angeblich bereits in Händen hielten und die sämtliche kryptografischen Bemühungen, die Militärs in der ganzen Welt jemals angestrengt hatten, locker in den Schatten stellte? Mit einem Mal war die Sicherheit verflogen, und Ferdi wurde kalt. Sein Hemd klebte an seinem Körper, der jetzt keine selbstsichere Wärme mehr verströmte, sondern sich zurückzog und sich vor den sanften aber klebrigen Berührungen des Stoffes ekelte, der sich von allen Seiten an ihn anzuschleichen schien. Aber Schützenhilfe kam von unerwarteter Stelle, als sich der Herr zu Wort meldete, der für das Risikomanagement verantwortlich war. Ferdi konnte sich weder an seinen Namen erinnern noch sich vorstellen, was seinen Beruf auszeichnete. Rechnete er Wahrscheinlichkeiten aus, um dahinterzukommen, wie risikoreich ein Unternehmen sein würde und ob es sich lohnte, Geld darin zu investieren? Oder durchleuchtete er Bittsteller, deren Lebenslauf und Familien, damit die Firma nicht jedem dahergelaufenen »Genie« mit einer windigen Idee auf den Leim ging? Durch den Dunst seiner Überlegungen trieben die Worte des Risikomenschen auf ihn zu.
»Danke, haben Sie noch Fragen, Herr Krosch? Wir würden Sie dann nicht mehr benötigen.«
Der schien überraschter von der Frage zu sein als Ferdi, zuckte kurz zusammen und verneinte dann. Seine Reaktion war anscheinend etwas übereilt, denn noch, während er sich erhob, richtete er eine weitere hastige Frage an Ferdi.
»Wie sieht eigentlich Ihr Konzept für die Spielerbindung aus? Rechnen Sie damit, dass die Leute Ihre Spielchen lange mitmachen und dafür monatliche Gebühren bezahlen? Meinen Sie, dass für einen andauernden Spielspaß gesorgt ist?«
Aber Ferdi musste auf diese Provokation nicht antworten, denn Herr Risiko kam ihm zuvor.
»Danke, Herr Krosch, um die inhaltlichen Fragen kümmern wir uns dann.«
Damit war der Techniker entlassen, und Ferdi konnte langsam damit aufhören, zu zittern und die Zähne zusammenzubeißen, damit sie vor Kälte und Unbehagen nicht aufeinanderschlugen. Mit dem Klappen der Tür, die sich hinter Herrn Krosch schloss, überflog ein leichtes Lächeln Ferdis Gesicht, das zu Eis erstarrte, als der Dritte im Bunde jetzt das Wort ergriff.
»So, gut, dann hätten wir das. Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Arend, ich denke, wir können dann hier zum Abschluss kommen. Also. Wir haben Ihre Kostenschätzung ja vorliegen, ich kann Ihnen gleich sagen, dass unser Haus nicht in diese Art von Unternehmungen investiert. Die Welt der Computerunterhaltung ist eine große, aber auch eine wankelmütige Sparte der Unterhaltungsindustrie und Schwankungen unterworfen, die man weder vorhersehen noch in irgendeiner Weise nachvollziehen könnte. Sie werden am besten wissen, wie überraschend der Erfolg für Newcomer zuweilen sein kann, aber nicht, wie viele Firmen mit Potenzial einfach untergehen, weil sie es nie schaffen, ihre Ideen bis zur Marktreife zu produzieren und letztendlich auch am Markt zu platzieren. Der Grund, warum Sie keine Kenntnis davon haben, wie viele gescheiterte Ideen auf eine erfolgreiche kommen, ist einfach der, dass Sie niemals erfahren werden, wer alles gescheitert ist. Wir sind da in einer etwas anderen Position, daher glauben Sie mir: Die Zahlen machen keinen Spaß, zumindest den Verlierern nicht.«
Er ließ ein kurzes, gackerndes Lachen hören, aber sonst rührte sich niemand, anscheinend hatte er den Witz ganz für sich allein gemacht, oder seine Art von Humor war so hinreichend bekannt, dass niemand der anderen mehr darauf reagierte. Ferdi sah sich sein Gegenüber genauer an, so wie er redete, hätte er einen grauen, nervösen Buchhalter erwartet, hager und sich hinter dicken Brillengläsern verschanzend. Auf der anderen Seite des Tisches aber saß ein braun gebrannter Sportlertyp mit kurzen blonden Haaren und einem Anflug von dunklem Bartschatten, der verriet, dass er sich die Haare färbte, was in einem fast grotesken Widerspruch zur Position stand, die er vertrat.
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