Du kriegst aber auch nichts in Griff! hat er gebrüllt. Sie hat zurückgebrüllt, was sie alles in Griff gekriegt hat an dem Tag: Frühstück hin- und weggeräumt, Mittag gekocht, hin und weggeräumt, Vesper hin, weggeräumt, Abendbrot hin, weg. Abwaschmaschine gefüllt, geleert, gefüllt. Wohnung gemoppt. Treppe gefegt und gewischt, Fenster der Hausordnung geputzt. Sein Lieblingshemd gewaschen, gebügelt. Und als er abends seinen Krimi guckte: Klopse für die Reise gebraten, Waschbecken hinter ihm hergeputzt wie jeden Tag, Klo entstunken wie jeden dritten Tag...
Alles selbstverständlich, hat er zur Antwort geknurrt. Da ist ihr der Kragen geplatzt. Eigentlich war ihre Reiselust sowieso nicht groß, und lange hatte sie gehofft, ein bisschen krank zu werden. Aber ihm zuliebe war sie gesund geblieben, wollte ihm nicht die Freude verderben. Aber wenn sie so ein blödes Kalb ist, das nichts auf die Reihe kriegt, dann ist es besser, wenn er sich von ihr erholt. Kann überlegen, ob er überhaupt zurückkommen will, zu einer, die nichts, aber auch nichts auf die Reihe kriegt.
Ich – komme – nicht – mit, hat sie ganz ruhig gesagt.
Ab ins Schlafzimmer und ihre Koffer wieder ausgepackt. Demonstrativ geknallt mit Schranktüren, Kofferdeckel und allem, was sich knallen lässt... Er sitzt im Wohnzimmer und kaut schweigend, hassblickend sein zweites Abendbrot: Eine Scheibe Wurst mit Käse drauf.
Am andern Morgen steht er spät auf, redet mit weicher Stimme, aber das Thema nicht berührend, geschweige denn sich entschuldigend, immer um den heißen Brei drumrum. Sie bleibt abweisend, pampig, will nicht umkippen. … Eisiger Abschied. Er rast wie verrückt um die Straßenecke, fährt fast den Hund der Nachbarin übern Haufen.
Ein ruhiger Tag. Gardinen gewaschen. Flurschrank entrümpelt. Aber die ganze Zeit klemmt es komisch im Bauch. Abends, als sie grade mit Buch ins Bett gehen will – der Fernseher ist gar nicht erst angeschaltet – klingelt das Telefon: Ich wollte dir wenigstens mitteilen, hört sie seine knarrige Stimme, dass ich heil angekommen bin.
Da muss sie heulen. Ganz überraschend.◄
Da haben wir ja allerhand durchgehechelt in unsrer Altersweisheit, sagt Božena nach einem Schluck Kaffee und gibt dem Wort Weisheit einen ironischen Unterton. Aber zurück mal zum Thema: Zu welchem Zweck wir jetzt existieren. Wenn wir nur essen, trinken, uns verlustieren, sind wir ... das grasende Vieh !
Es klingelt. Caminchens neue Nachbarin, inzwischen hinterrücks West-Hilda genannt, hoch gewachsen, schwarz bemantelt und mit Hut, steht vor der Tür.
Meinens, ich sollt meine Hündin mit reinbring? hören die Freundinnen drinnen. ... Ihre anderen Gäste, was sagns dazu?
Ein lautloser Seufzer geht durch das Zimmer, Blicke werden gewechselt unter hoch gezogenen Brauen.
Das Gespräch lahmt dann, dreht sich abtastend-neugierend um Kaffee und Stolle, um Straßenglätte und um die schöne Dogge, die draußen wartet. Euline gibt endlich − mit stockender Stimme − einen Bericht über ihr Schreckens-Erlebnis. Bis das Telefon klingelt. Da versiegt das Geplauder fast ganz. Wie so oft ist ein Enkel Caminchens dran, Rico, und sie verschwindet − mit dem Hörer am Ohr − nach nebenan. Bald erheben sich Božena und Isolde: Wir gehn, das kann dauern, hab’n heut genug palavert.
Die Nachbarin, ein bisschen erstaunt, schließt sich an.
Euline, soll ich dich heimwärts begleiten? bietet Božena an.
Nein, ich wart auf Caminchen, hab doch Zeit.
Die winkt Abschied aus ihrer Schlafzimmertür, ohne den Hörer vom Ohr zu nehmen: Macht’s gut, bis zum nächsten... bei dir Božena, in deiner Winzigwohn...
Ja, jetzt sind sie weg, spricht sie ins Telefon. Nein, halt, Tante Euline sitzt noch im Zimmer, na... Ja, Rico, die wartet geduldig. … Ja, erzähl mal! Hast Elvira getroffen?...
Hab Sorgen mit meinem Nachwuchs, sagt Caminchen danach zur Freundin. ’N schön’n Gruß von Rico!
Trotzdem bist du glücklich, weil sie anrufen, ich hab keinen Enkel und bin... selbst schuld.
Aber meine lieben dich, tröstet Caminchen. Karli z.B. ..
Ja, nicht wahr, der war mein Herzensschatz. Einmal hat er gefragt: Warum weinst du so oft, Tante Euli? Und ich ihm erzählt, wie sie mein Kind, äh, gestohlen… und als es groß war, hab ich es wieder bekommen, aber es wollte mich nicht und daran ist es gestorben. Und da, äh... da: Du hast ja jetzt mich, hat er gesagt: Du hast ja jetzt mich! Und... äh... mir ein Küsschen gegeben. Da musst ich erst recht nochmal weinen.
Kommt Karli zu Weihnachten her?
Weiß nicht. Los! Zum nächsten Treff kommst du mit Rolli!
⸎
Am Rande des Cottbuser Stadtteils aus Platten-Wohnblöcken der 19ndertsiebziger Jahre – oft würfelähnliche Bauten sind es mit sechs Etagen – stehn die zwei älteren Häuschen. Putz blättert hier und da ab, Dachrinnen schadhaft, Fensterrahmen ergraut. Caminchen in Parka mit Rucksack – die üppige Haarpracht flüchtig nach hinten gebündelt – rollt auf dem Fahrrad heran. Beim Absteigen schwankt sie ein bisschen. Vor den wackligen Gartenpforten trifft sie auf ihre Nachbarin. Die kommt – mit langem, schwarz-vornehmen Mantel und mit Hut auf dem Kopf – vom Einkauf zurück.
Da schau her, Frau Kamjenski! Gut dass ich Sie treff, ich hätt ein paar Fragen. Alle ihre Freundinnen habens so komische Namen?
Ja, das sind so Geschichten. Gehn wir hinter die Hauswand, bei dem Lärm vom Schulabriss drüben verstehn wir das eig’ne Wort nicht und auch die Staubwolken... ich stell mal mein Fahrrad...
Hm ja, die Namen. Die sind langsam gewachsen... Euline heißt eigentlich Heuelwitz, Uline-Margret. Und weil sie oftmals mit Tränen kämpft, hat sie den Namen verpasst gekriegt: Heuli, daraus Euli, schließlich Euline.
Ja, das hab ich schon g’merkt, ständig wischt sie an ihrem Gesicht. Sind’s nur die Augen oder…
Sie trägt einen Kummer mit sich herum und behauptet, sie hätt sich »versündigt«, sogar Verbrechen begangen, was ich nicht glaube. Hm, und unsere Isi heißt Linnekogel, Georgetta, Maria, ja und Isolde. So will sie am liebsten genannt sein: Isolde = Ichsollte, sie sollte ein Junge sein, erklärt sie uns oft. ... Hmm, warum wir auch Lesbili oder so Ähnliches sagen? Ja, es steckt das Wort »lesbisch« darin − das muss sie mal selber erzählen, da hängt eine Story daran, mir ist das peinlich, weil ich mit drin vorkomm in ihrer Geschichte. Und... Waltraud Borman: Sie will den Namen Božena tragen, das hat sie verfügt. Warum sie so heißen will, soll’n wir selber rauskriegen, das verrät sie nicht.
Recht bald werdens für mich auch Spottnamen haben, denkt Frau Westphahl laut vor sich hin. Ich hab’s auch gesehn, wie Frau Božena ihre Augen verdrehte, als ich ein-, zweimal »vom Feinsten« was g’sagt hab. Die Formulierung kennens wohl hier nicht so gut, in den kommunistischen Jahren gab’s ja kaum was vom Feinsten?!
Sinnend wiederholt Caminchen: Kommunistische Jahre?
Hm ja, sagt sie endlich, man wird Sie am Anfang vielleicht... hm... »Frau vom Feinsten« benennen, natürlich nur hinter dem Rücken. Allmählich könnte von Ihren Vornamen was bleiben, die Sie uns neulich verraten haben, Hildegard Gunhilda. Dazu ein Stück vom Familiennamen. West-Hilda vielleicht, das passt auch zu Ihrer Herkunft aus dem westlichen Deutschland.
Spielt denn das noch eine Roll’ im hiesigen Denken, ob man Ost- oder Westbürger ist oder war?
Hmm... ja... wir sind etwas verletzt. Vor allem Božena.
Versteh ich nicht. Jetzt gibt’s doch hier alles. Vom Feinsten, und… Sie und Ihre Freundinnen-Fraun, jede hat eigene Pension... oder... ja Rente. Ganz so fein hab ich’s net.
Ein volles Portemonnaie allein macht uns nicht glücklich.
Sie können doch alles Glück damit kaufen, ihr Frauen im Osten.
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