So, und nun Punkt. Das hatte ich wohl schon erzählt?
Isolde nickt, während Euline wieder ihr linkes Auge betupft. Ich hatte immer gehofft, sagt die, indem sie sich in ihrem Sessel ganz nach vorn schiebt, ich hatte geglaubt, dass auch Männer sinnvoll leben. Nicht nur die... äh... die großen Asse, wie Schauspieler, Künstler… äh... die ganz durchschnitt… die ihrer normalen Arbeit nachgehn und treu dabei helfen, Kinder und… nicht wahr, sogar Enkel großzuziehen!?
Nach dieser langen Rede nimmt sie einen Schluck aus der Tasse, rutscht im Sessel wieder nach hinten.
Das liegt oftmals auch am Geschick der Frau, sagt Caminchen. Man musste den Mann richtig einspannen ins Familien-Geschirr.
Wie willst du den Charakter der Männer anschirren? protestiert Isolde. Dieser schwanzgesteuerten Monster?!
Isolde, mach mal ’nen Punkt! ermahnt Božena streng. Du bist doch selbst... wankelmütig. Wie viele Männer hast du zum Teufel gejagt?! Und deine Sprache, sag’s etwas gewählter: gesteuert von der unteren Magnetnadel, so vielleicht.
Ja, hehe, das ist lustig, und aber: Die große Liebe kam eben nur ein- oder... na, höchstens zweimal.
Und warum hast du nicht zugegriffen? Erzähle Isolde!
Nee, das ist keine spannende Story. ’S war Schicksal.
Nach erwartungsvoll und enttäuschtem Schweigen sagt schließlich Caminchen: Na, heute nicht, aber irgendwann kannst du’s erzählen. Hmm, ja... und die Männer sind wirklich anders gewickelt, aber das ist halt die Kunst, sie trotzdem zu steuern.
Sie holt tief Luft: Ich sag’s rundheraus, wie es war. Manches hat man gedeichselt... hm ja... sogar mit bloßer... ich nenn’s mal
S exuelle Berechnung. Von mir zum Beispiel hätt ich niemals gedacht, dass ich mich freiwillig anbiete zum Sex, um damit Vorteile rauszuschlagen. Und doch hab ich’s gemacht: Mich prostituiert ─ aus Berechnung. Zu meiner Verteidigung: Nicht für mich wollte ich etwas erkaufen. Am wenigsten für mich.
Das ist ganz allmählich gewachsen in unsrer Ehe. Im Lauf der Jahre war das Feuer runtergebrannt, man ist zur Arbeit gerannt und abends in der Wohnung neben’nander hergelaufen und weil die Betten Seite an Seite gestanden haben, ist es eben – bei uns meist samstags und mittwochs – dazu gekommen, ohne dass es einen besonders aufgeregt hätte. Dann kam man in das Alter, wo die Hormönchen weniger wurden, und ich hatte kaum noch Lust auf diese Sachen. Wenn er nicht ab und zu indirekt aber unübersehbar sein Bedürfnis gemeldet hätte, wäre nichts mehr gelaufen. Mit der Zeit wurde klar, dass man seinen schwieriger werdenden Charakter nur damit ein bisschen im Griff halten konnte. Wenn ihm die gewissen Bett-Dinge fehlten, bemerkte ich, wie er den ganzen Tag vor sich hin schwieg, dazu mufflig-freudlose Mienen aufsetzte, als sei ihm die ganze Welt eine Last. Bald wurde sein Ausdruck leidend, er antwortete nur noch brummig-gereizt, wenn überhaupt. Schließlich schnauzte er von früh bis zum Abend um sich herum, so dass die ganze Familie erschrocken das Weite suchte und heimlich bei mir anfragte: Was hat er denn nu’ bloß wieder? … Dann wusste ich, es ist wieder mal nötig und ich gab ihm Zeichen, als hätte ich Bedürfnis. Und er lud mich zu einem Glas Rotwein und wurde nett und weich. Hinterher war er wieder ein Mensch und kümmerte sich bereitwillig um Familie, Garten, Haushalt und Welt. Hm. Er war wieder ein verlässlicher Tragbalken in meinem Mutterleben.◄
Bewusste... äh, Prostitution?! staunt Euline verblüfft.
Ja, so war’s, stimmt Božena zu. Da musste man durch, auch wenn es lästiger wurde, je älter man war. Aber eine knurrige Atmosphäre ist schwerer zu ertragen als dieses manchmal etwas schmerzhafte Theater alle paar Tage oder dann Wochen.
Schmerzhaft!? sagt Euline erschrocken.
Naa, nicht nur, man schwebte zwischen Qual und Wonne, aber so musste man halt den Angetrauten an den Familienkarren fesseln, damit er nicht sonstwo den »Sinn des Lebens« sucht oder vielmehr hinträgt, hoho.
Isolde mokiert sich: Ja, gucke, so also habt ihr das Eheschiff durch die tückischen Wellen geschaukelt. Siehst du, Euline, wenn wir das gewusst hätten! Aber bei dir wär’s kaum so gegangen, dein erster Mann Josef, der hätte ’nen Harem gebraucht und der zweite hatte immer das junge Fleisch deiner Tochter vor Augen.
Isolde, sei still, mahnt Caminchen und streicht tröstend über Eulines Handrücken. Wenn jemand darüber reden will, dann mein Herzl selbst.
Jaja, schon gut. Sie will eben ihre schlimmen Geheimnisse nicht von der Seele schütten, obwohl es gut für sie wäre. Aber eure »Prostitution«: Da war also gar keine richtige Liebe mehr zwischen euch, sondern nur Zweckgeschäft?
Na, nee, das allein hätt sicher auch nicht gereicht, um die Chose zusammenzuhalten, schließlich… hmm ja, es hat zwar auch manchmal gekracht und gedonnert… hm, aber das war mehr Ent-Rostung der Ehe und hinterher...
Caminchen sieht Božena auffordernd an: Lies doch diese Geschichte vor, hier hast du den Text zurück, gefällt mir ganz gut, vielleicht am Schluss noch... nee, lass es so. Bin froh, dass wir drauf kommen, sonst hätt ich die Rückgabe wieder vergessen.
Das hat mir mal eine Kollegin geschildert, sagt Božena. Und so ähnlich ist’s manchmal bei uns auch gelaufen. ... Ohren auf!
E he-Entrostung.Eine Reise war geplant, und am Ende musste sie heulen. Mit andern Worten: Es hatte mal wieder gerumpelt in der Ehekiste. Die große Liebe war ja schon lange abgeleiert, aber man hatte sich an das Leben mit dem alten Kerl doch gewöhnt.
Natürlich ist die Ehe zu anderen Zeiten besser gelaufen. Zum Beispiel, als er ein paar Jahre auf Montage gearbeitet hat und nur an Wochenenden nach Hause kam. Da gab’s nie Streit und sie war immer die Liebste und Beste. Das waren die Jahre, als er die sogenannten Großbauten des Sozialismus mit aufgebaut hat, Stadthalle oder Palast der Republik und so, da mussten sie immer mal mächtig ranklotzen und zum Schluss gab’s Hauruck-Aktionen: Bis in die Nacht um zwei, andern Morgen trotzdem um sieben auf der Matte stehn. Ja, und wenn so was geschafft war, dann hat er sich mit seinen Kollegen sinnlos betrunken. Vor Freude. Und sie hat Geschenke gekriegt von seinen fetten Prämien, und er war happy und die Ehe lief. ... Seit der Wende gibt’s auch solche Objekte mit Termindruck, wo die beinahe Tag und Nacht arbeiten, damit irgendein Haus oder Bürogebäude noch vor Winter bezugsbereit ist. Wenn sie damit fertig sind, betrinken sie sich auch. Aber vor Angst: Wie es weitergeht, ob sie einen neuen Job finden, ob sie es bis zur Rente schaffen und so. … Ja, er hat’s schon schwerer als sie. Deshalb erträgt sie ja auch weitgehend seine Launen. Aber an dem Tag hatte er mit seinem Genörgel ihre Stimmung permanent runter-gepeitscht. Frühstück: Wieso ist kein Honig da? fragt er in provozierendem Ton, obwohl eigentlich ausgemacht war, dass er sich mit drum kümmert, um die ewige Einkauferei für den ewigen dicken Bauch. Denn er isst auch das meiste und er legt Wert auf dies und das und große Mengen.
Sie antwortet auf sein Geknurre: Weil ich vor der Reise gestern noch Rasiercreme gekauft habe, für dich. Und neue Nachtwäsche, für dich. Und eine Schirmmütze. Für dich. Und darüber die Fresskäufe vergessen habe.
Mittags kriegt sie den nächsten Anschnauzer um die Ohren. Das Essen steht nicht pünktlich auf dem Tisch. Da ist sie wohl mit schuld, denn sie weiß ja, dass er zum bellenden Tier wird, wenn er hungrig ist. Aber den ganzen Vormittag hatte sie gekramt und gepackt, damit für alle eventuellen Fälle und Wetter nichts fehlt. Er dachte wohl, dass er der einzige war, der arbeitet, indem er das Auto entplünderte, putzte, was längst vorher erledigt sein sollte.
Kurz vor der Nacht stellt er fest, dass sie vergessen hat, seine Lieblingshose aus der Reinigung zu holen.
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