Dr. Baker eröffnete ihr die Möglichkeit, halbtags, wenn die Kinder im Kindergarten beaufsichtigt wurden, im Pallotti für ein geringes Gehalt zu arbeiten und sich von der deutschen Masseuse, Birgit Bogner ausbilden zu lassen. Bobby glaubte seinen Ohren nicht, als er hörte, dass Zehava von seiner alten Freundin, Birgit Bogner im Pallotti ausgebildet werden sollte und schlug vor, Pit und Birgit zum Abendessen einzuladen, um die alten Kontakte wieder aufleben zu lassen. Vielleicht könnte er Pit dazu überreden, doch wieder seine Klarinette aus dem Kasten zu holen und sich der Jazzband anzuschließen. Auf jeden Fall unterstützte er Zehava Ambitionen, einen Beruf zu erlernen, der die Haushaltskasse etwas auffrischten würde. Ein Anrufbeantworter wurde angeschafft, der potentielle Eigentümer von Immobilien auf nachmittags vertröstete.
Aber Bobby war mit sich selbst unzufrieden. Er machte seinen Ingenieur-Job im Büro, aber er liebte ihn nicht. Obwohl er Maschinenbau studiert hatte, gerne am Zeichenbrett stand oder saß und als Konstrukteur sein erstes Berufsziel vor einigen Jahren erreicht hatte, war er mit sich und der Welt nicht im Reinen. In seinen Augen war der stets mit neuer Hoffnung anvisierte Versuch, in die Tätigkeit eines Immobilienmaklers einzusteigen, mehr als frustrierend gewesen. Es klappte einfach hinten und vorne nicht. Die Annoncen in den Zeitungen waren teuer und brachten nichts. Er grübelte Tag und Nacht und wartete auf den Tag der Erleuchtung.
„Das ist die Lösung!“, dachte er eines Morgens, als die Sonne blutrot über dem Indischen Ozean ihre Laufbahn begann und die weichende Dämmerung ihn zwang, sich aufrecht im Bett hinzusetzen. Trotz der frühen Stunde stieß er Zehava an, beugte sich über sie und flüsterte:
„Ich hab’s.“
„Doch nicht mitten in der Nacht. Lass mich zufrieden.“
„Die Sonne geht auf und ich habe eine Idee.“
„Warum hat das nicht bis Morgen Zeit?“
„Es ist Morgen. Ich hab die Lösung.“
„Welche Lösung?“
„Wie wir an das große Geld kommen.“
„Aber doch nicht um diese Zeit. Lass mich in Ruhe.“
„Am Samstag klappern wir die Ostküste ab und machen Besuche bei den Farmern, die neben den Küstenorten Land besitzen, das an den Indischen Ozean grenzt.“
„Was soll so ein Quatsch? Willst du Farmen kaufen?“
„Parzellieren, Grundstücke verkaufen.“
„Du hast sie doch nicht mehr alle. Mit welchem Geld?“
„Kredit von der Bank.“
„Keine Bank gibt dir Geld ohne Sicherheit.“
„Das Risiko ist gleich null. Der Wert einer Immobilie steigt. Die ersten Monate arbeite ich umsonst, organisiere alles von der ersten Unterhaltung mit den Farmern und den Bürgermeistern bis hin zu der Beauftragung eines Landvermessers, eines Planungsbüros und den für die Genehmigung zuständigen Behörden.“
„Also wirklich, du solltest lieber die Augen wieder schließen und dir alles in Ruhe überlegen. Beim Frühstück können wir über alles reden, aber jetzt will ich endlich wieder schlafen, verdammt noch mal. Lass mich mit deinem Schmarrn am Samstagmorgen in Ruhe.“
Vor dem Frühstück grübelte Bobby wie ein Verrückter, überlegte, was zu tun sei und ersann Alternativen, wie und wo er beginnen sollte. Bei Tisch fragte er Zehava, was sie davon halten würde, wenn sie beide die Farmer und Bürgermeister in den kleinen Gemeinden am Indischen Ozean an zwei, drei Samstagen besuchen würden, um ihnen die Umwandlung ihrer Salzwiesen in Bauland schmackhaft zu machen. Er wollte sowohl den Farmern als auch den Gemeindevorständen vorschlagen, durch Umwidmung ihres Weidelandes in Bauland Raum für eine Ortserweiterung zu schaffen.
Zehava meinte, dass sie sich den Vorschlag in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen müsse, aber im Prinzip einverstanden sei, wenn die Kinder bei den Großeltern untergebracht werden können. Beim Abendessen wurde Bobby mit der von ihm entwickelten Strategie konkreter. Zwei Wochen später saßen sie im Auto und klapperten die Farmer und Bürgermeister der Küstenorte Kleinmond, Hermanus, Bettys Bay und Gaansbaai ab, Frustriert mussten sie feststellen, dass der Wille zur Erweiterung der kleinen Küstenorte zwar vorhanden war und die Idee einer Ortsvergrößerung besonders bei den Farmern Euphorie hervor rief, für die umgehende Umsetzung jedoch die finanziellen Mittel fehlten. Bobby gab die Hoffnung nicht auf und vereinbarte Termine mit Bankern in der City, um sie von seiner Idee einer Küstenbebauung zu überzeugen.
Planung, Vermessung, Straßenbau, die kompletten Verlegungen von unterirdischen Wasser-, Elektro-, Telefon- und Entwässerungsleitungen kosteten viele viele Rand und konnten nur von einer risikobereiten Bank vorfinanziert werden. Die Vermarktung der einzelnen Parzellen könnte zwar parallel laufen, aber das Risiko, alle Grundstücke mit Gewinn verkaufen zu können, war auch für eine Bank ein viel zu großes Risiko. Bobbys Vorschläge, potentielle Käufer zum Erwerb von Parzellen zu animieren, indem man ihnen vertraglich vereinbarte Ratenzahlungen von geringer Höhe über einen Zeitraum von zehn Jahren und mehr anbietet, waren Überlegungen wert, waren aber nicht zur Lösung der Vorfinanzierung geeignet. Bobby ließ nicht locker, vereinbarte Termine mit versierten Notaren in der City und ließ sich beraten. Er musste finanzkräftige Investoren finden und mit ihnen eine kleine Aktiengesellschaft gründen, die die Planung und Verlegung aller notwendigen Versorgungsleitungen vorfinanzieren müsste. Die Vermarktung wollte Bobby übernehmen und es den Käufern ermöglichen, ihre Parzellen mit monatlichen Ratenzahlungen zu erwerben. Bis zur völligen Bezahlung sollten die Grundstücke zwar von den zukünftigen Eigentümern bebaut werden können, aber bis zur Begleichung des Restbetrages im Besitz der Gesellschaft bleiben.
Die ehemaligen Bandmitglieder, wie Robin Rain, Mendel Grosmann, Peter Bogner und er selbst waren mittlerweile verheiratet hatten zum Teil Häuser erworben oder gebaut, um ihre Kinder in solider Umgebung zu erziehen. Einige hatten sich selbständig gemacht, Firmen gegründet und standen als gemachte Männer mitten im Leben. Es ging ihnen gut und die boomende Wirtschaft versprach, dass es ihnen in naher Zukunft noch besser gehen würde. Alle nahmen Bobbys Einladung zu einem zwanglosen Treffen in Ritchies Apartment ohne zu zögern an. Wie zu erwarten, war die Wiedersehensfreude so groß, dass man sich spontan zu monatlichen Treffen entschloss, bei denen wieder in bewehrter Besetzung gemeinsam musiziert werden sollte. Jazz, Swing, Rap, Rock and Roll, Boogie Woogie und im Trend liegende Tanzmusik sollte zum Repertoir gehören. Pit und der inzwischen von ihnen gewonnene Ben Kaminski sollten als Klarinettist und Trompeter hinzugezogen werden. Robin war der erste Gastgeber, auf dessen Terrasse sie am nächsten Samstag zeigen wollte, was sie noch drauf hatten. Es dauerte auch nicht lange bis die sechs Gentlemen in neuer und wechselnder Besetzung wie in alten Zeiten jazzten, sangen und versuchten, Cool Jazz ins Programm zu nehmen. Tatsächlich überlegten sie, ob sie als Grufties in die Szene zurückkehren sollten, um dem Nachwuchs zu zeigen, wie echter Jazz klingen muss. Egal wie, alle hatten wieder ihren Spaß und jeder gab bei den nächsten Trefffen auf unterschiedlichen Terrassen sein Bestes. Bevorzugt wurde von allen die Proben auf der Dachterrasse über der Sky Bar vom Ritz, bei denen ein paar Zuhörer applaudierten. Bei schlechtem Wetter übten sie in den Wohnzimmern oder in Ritchies Apartment.
Dann hatte Bobby die Idee, in Ritchies Autosalon Werbung für die Cape Town Brass „Sex Apostels“ zu machen. Er vertrat die Meinung, dass sie mittlerweile Brass-Virtuosität vom Allerfeinsten machten und mit ihrer Kunst nicht nur Passanten mitten in der City begeistern sollten, sondern mit Swing und Jazz auf ihre Donnerstage auf der geräumigen Dachterrasse über der Sky Bar im Riz aufmerksam machen sollten. Es war ein Glücksfall, dass sie sich als Solobläser zusammengefunden hatten, und es verstanden, sowohl in dieser Formation als Sextett als auch mit Gästen einen mitreißenden Brass-Sound zwischen klassischen Meisterwerken und bestem Swing, Jazz oder Filmmusik hinzulegen. Sie wurden immer besser. Ob Bach, Wagner oder Evergreens von Frank Sinatra bis Ray Charles, als Ensemble hatten sie stets eigene raffinierte Arrangements im Repertoire. Voller Humor und Fantasie unternahmen sie spielfreudig immer wieder gewagte Klangexperimente, die sie auf Tonbändern abhörten und bis zur Perfektion korrigierten. Sie übernahmen neueste Soundtrack der in Kapstadt laufenden großartigsten Filme und lockten mit genialen Motiven und markanten Themen der größten Kino-Blockbaster ein begeistertes Publikum auf die Dachterrasse vom Ritz. Dort entführten sie die Audienz mit Musik von Ludovico Einaudi und Max Richter in eine ganz neue individuelle Tonsprache der klassischen Musik, in Klangwelte aus Träumen und Farben, die sie nicht mehr losließen. Für diese Abende im Ritz warben sie mit „Best of Classics.“
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