Sex Apostels 16. Dezember 1966
Robert Eliot war nicht nur ein begabter Saxophonist, sondern auch voller Ideen und ein brillianter Organisator, der im Vorort Belleville aufgewachsen war und an der UCT (University of Cape Town) sein Studium als Maschienenbau-Ingenieur erfolgreich abgeschlossen hatte. Seine Bewerbung bei der South African Navy hatte den erhofften Erfolg und bescherte ihm den gut honorierten Job als Ingenieur in Simonstown, einem Vorort von Kapstadt am Indischen Ozean. Schon als Schüler hatte Bobby sich einer Band angeschlossen und bei späteren Jam Sessions die Leitung der Southern Cross Jazz Band . übernommen. Vor einigen Jahren wurde er als junger Musiker von einem Freund zu einer unvergesslichen privaten Filmshow eingeladen, nach deren Besuch seine Sinne revoltierten, die prägende Musik immer wieder auftauchte und die Erinnerung an diesen Streifen ihn zeitlebens mental belastete.
In düsterer kaltblauer Atmosphäre eines fernen Planeten lag ein toter Astronaut an einem felsigen Hang. Diese Szenerie wurde von einem vernebelten eisigen Jazz mit orientalischen Elementen erst leise und dann immer lauter untermalt. Ein aus dem Nebel erschienener Greis mit dem Gesicht einer Echse prophezeite mit vibrierender Stimme im Sprechgesang das Ende der Welt. Zu den von einzelnen gehämmerten Tönen des Keyboards begleiteten Sequenzen singender Frauen war von deren Sündhaftigkeit und Verderbnis die Rede. In den starren abgestumpften Augen der alten Frau spiegelten sich die Exekution eines jammernden Kindes und die schemenhafte Schändung eines jungen nackten Mädchens. Über dem immer noch krächzenden Mund des von roten Bandagen umwickelten, sich langsam wendeten Schädels starrten aus tiefen Höhlen zwei schwarze Knöpfe, während im Hintergrund zwei sich umklammernde nackte Paare zu den nervenden Lauten von Saxophon und Klarinette mit grotesken Zuckungen versuchten, sich im dumpfen Rhythmus eines scheinbar wahnsinnigen Drummers zu vereinigen. Je heftiger die Zuckungen, desto brünstiger die Laute des Greises und die Klänge der Klarinette. Aus grünem Nebelschwaden stieg eine weiß gekleidete Frau mit offenen grauen Haaren und weißem Gesicht zu dem toten Astronauten herab und öffnete den Helm. Die Kamera folgte dem Blick ihrer blutenden roten Augen und erschreckte das Publikum mit einem edelsteinbesetzten Totenkopf, der mit Mimik und Gestik den unerträglich lauten Sprechgesang des Greises übernahm, stiller wurde, leise sang, flüsterte, verstummte.
Das starre Gesicht des Sängers erschien ohne rote Bandagen. Nur die Lippen formten die Worte, während sich die Kamera entfernte und ein Buch fokussierte, das der Sänger beschwörend in die Höhe gehoben hatte. Auf dem Cover erkannte man einen Drudenfuß. einen fünfeckigen goldenen Stern, das Pentagramm der bösen Mächte. Von allen Seiten huschten zombiartige Wesen vorbei. Von einem Baumstamm hingen Vogelscheuchen vor flackernder Feuersbrunst und erinnerten bei sakraler Jazzmusik an die Kreuzigung Christi. Weißgewandete Frauen sangen wippend ein abgewandeltes Halleluja. Für Bruchteile von Sekunden erschien ein schwarzes brennendes Kreuz. Die Frauen verfielen zu den Klängen von Klarinette und Saxophon wie Derwische in eine drehende Trance bis sie umkippten und im Kreis mit ausgestreckten Armen bäuchlings ihre Finger nach einem Baby ausstreckten das geopfert werden sollte.
Aus der Tiefe stiegen zwei Hände empor, die das Baby in die Höhe hoben, immer höher, immer weiter entfernt von den ausgestreckten Fingern der sich wendenden und auf dem Rücken liegenden nackten Frauen aus deren Brüsten kleine Flammen züngelten.
Damit endete das Psycho-Horror-Spektakel und hinterließ bei dem betreten schweigendem Publikum den bitteren Geschmack des Abgeschmackten. Dieses Spektakel verbannte in Bobbys Psyche den Rock ‚n‘ Roll in eine Anbetungsmusik für den Satan. In wechselnden Intervallen zog der Film mit seiner krassen musikalischen Untermalung unerträglich oft durch sein Gehirn und ließ ihn mit den Gedanken spielen, von hier fortzuziehen.
Seit zwei Jahren lebte Bobby mit seiner kleinen Familie recht und schlecht in der Nähe zu seinem Arbeitsplatz in Simonstown und träumte von der großen Freiheit, vom großen Geld, großer Yacht und vom großen Haus in Green Point mit Panoramablick über City, Hafen und Tabel Bay. Das alles würde immer nur ein Wunschtraum bleiben solange er weiter als Ingenieur bei der SA-Navy ein Gehalt bezog. Schnelle Aufstiegsmöglichkeiten gab es ohne Beziehung nicht, ein Erbe war auch nicht in Sicht. In finanzieller Hinsicht sah die Zukunft trübe aus. Während er sich vom Balkon auf seinem Saxofon den Frust von der Seele blies, dachte er daran, seinen Job als Ingenieur an den Nagel zu hängen.
Seit Monaten liebäugelte er im Geheimen mit der lukrativen Branche der Immobilienhändler. Allerdings kannte er sich in dem Metier nicht aus und ließ sich von einem befreundeten Agenten in die Zunftgeheimnisse einweihen. Neben seiner Ingenieurtätigkeit versuchte er mit Zehavas begeisterter und tatkräftiger Unterstützung, sein Glück als Vermittler von Apartments, Grundstücken, Häusern und Eigentumswohnungen an der Ostküste. Mit Erspartem finanzierten sie teure Annoncen in den beiden Tageszeitungen ‚Argus‘ und ‚Cape Times‘. Jedes Mal, wenn das Telefon läutete sprang Zehava hoffnungsvoll in die Höhe und meldete sich mit fröhlicher Stimme: „Bobby Eliot Agencies. Good Morning. Can I help you?“
Freunde, seine alten Klassenkameraden, Bekannte und Zehavas Freundeskreis sagten ihre Unterstützung zu. Aber das Glück hatte einen langen Atem, forderte Geduld und Eigeninitiative in Hinblick auf neue Kontakte und Wiederbelebung alter Freundschaften.
„Rain speaking. Can I help you?“
„Robin Rain?“
„Yes, what can I do for you?“
„Bobby Eliot speaking, old fellow. How-do-you-do?“
„Bobby Eliot! Das gibt es nicht! Wie geht es dir altem Hasen? Immer noch auf Freiersfüßen? Lang ist’s her.“
„Nein, ich bin glücklich verheiratet und nenne ein Mädchen und einen Jungen mein Eigen und Du?“
„Erinnerst du dich noch an Gesine?“
„Aber Hallo! Wer Gesine kennenlernen durfte, hat sie nie vergessen. Sie war damals eine Ikone und ich bin sicher, dass sie heute noch die kleine Göttin ist, die sie damals war. Wenn immer eine schlanke blonde Frau vor mir schreitet, überhole ich sie und schau ihr voll ins Gesicht, um sie anzusprechen. Stets ein lautes ‚Hallo Gesine‘ auf der Zunge, konnte ich die beiden Worte nie aussprechen.“
„Seit neun Jahren ist sie meine Frau und Mutter unseres Pärchens. Wir wohnen in Rondebosch in der Nähe vom Baxter Theater. Komm uns mal besuchen. Sie wird sich freuen. Bring deine Frau und eure Kinder mit.“
Ein Termin wurde für nächsten Sonntag vereinbart. Bobby lehnte sich zurück, schloss die Augen, sah Gesine in ihrer jugendlichen Schönheit vor sich und machte sich Gedanken, wie sie wohl nach zehnjähriger Ehe und zwei Kindern aussehen wird. Er war gespannt und dachte an die Zeit, als sie im Schülerorchester musizierten und ihre eigene Band gründeten. Robin war ein Drummer par excellence, saß am Keyboard und stand hin und wieder auch als Vokalist vor dem Mikro. Aufgrund vieler Zigaretten, Joints und harten Drings klang seine unausgebildete Stimme rostig und rau. Aber sie hatte ein Tembre, das die Audienz gegeisterte. Das war Rap, dieser, rhythmische Sprechgesang in der Popmusik, wie ihn das junge Publikum hören wollte.
Gesine hielt unverrückbar an ihren von ihren Eltern übernommenen festgefügten Prinzipien nach wie vor fest. Sie verachtete Heroin und solche Menschen, die Cannabis verkauften, konsumierten, sich in fataler Abhängigkeit an das Kraut ruinierten und elendlich zugrunde richteten. Ihr war es zu verdanken, dass Robin nicht wieder in die Anhängigkeit geriet und zum Haschischsklaven wurde, wie Ritche Rickloff, der vor vielen Jahren aus London in Kapstadt auftauchte und kurzzeitig als Keyboarder und Vokalist die „Southern Cross‘ auffrischte. Ritchie war ein arroganter Angeber, der den Cockney in Kapstadt heraus hängen ließ und damit protzte, dass er nie verheiratet war, zwei Söhne von zwei Frauen in London zurückgelassen hatte und eine reiche Witwe in Kapstadt vögeln würde. Andererseits war er ein talentierter Musiker und witziger Unterhalter, der seine reiche Witwe mit Jungvolk nach Strich und Faden betrog, ihr das Geld aus der Tasche zog und erreichte, dass sie ihm mitten in der City in der Burg Street Ecke Shortmarket Street einen Laden mietete, in dem er mit wachsendem Erfolg europäische Sportwagen und japanische Limousinen verkaufte und binnen kurzer Zeit einen schwunghaften Handel mit den elegantesten Modellen betrieb. In der Main Road in Mowbray leitete er eine Werkstatt mit acht Mechanikern, die die in Zahlung genommenen alten Autos auf Vordermann brachten und für beträchtlichen Gewinn sorgten.
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