„Danke“, sagte Charms.
„Man sieht sich. Ich muss los, will noch zu Daria.“
Ohne dass er es wollte stieg das Bild Darias vor Charms‘ Augen auf, wie sie sich noch vor zwei Tagen im Eighty’s mit einem anderen vergnügt hatte. Es versetzte ihm einen beißenden Stich. Kurz kam ihm der Gedanke, Peter die Wahrheit zu sagen, die Handlung umzukehren, damit Peter endgültig und offiziell die Beziehung zu Daria kappte. Welche Wendung würde ein einziger Satz in der Geschichte wohl bewirken? Es war lächerlich. Peter war mit Daria nicht länger zusammen. Sie war mit ihm, Charms, liiert, und Peter wusste das.
Also besann sich Charms zu einem knappen Abschied, hob die Hand zum Gruß, doch da hatte Peter schon kehrtgemacht und war zur Tür hinaus gestürmt. Das zweite Mal an diesem seltsam unwirklichen Tag.
Joe war unheimlich wütend, das Team hadernd bei seinem Versuch, ihn zu beruhigen, auch, wenn dass das unerwartete Auftauchen Maria Krystofiaks am Set sie alle spürbar aus der Fassung brachte. Selbst Charms und Peter trauten ihren Augen kaum: Im dunkelgrünen Kostüm, einem dazu passenden Hut, einer teuren Sonnenbrille und jenen hochhakigen Schuhen, die sie für gewöhnlich zu tragen pflegte, hatte sie sich an den Sicherheitskontrollen vorbei argumentiert, direkt in Charms‘ und Peters gemeinsame Szene im Café del Mar, die just im Augenblick ihres Hereinschneiens abgedreht worden war.
„Was tust du hier?“, herrschte Joe sie an. „Das ist gegen die Vereinbarung! Du sollst den Drehort während unseres Arbeitsprozesses nicht aufsuchen! Himmel, bin ich der Einzige hier, der sich an die Regeln hält?“
Die Mundwinkel von Charms‘ und Peters Mutter versteiften angesichts des rüden Tonfalls, der ihr gegenüber angeschlagen wurde. Sie riss sich die Sonnenbrille vom Gesicht und präsentierte das sorgfältig geschminkte Gesicht einer Frau, deren glasige Augen ihr eigenes malerisches Werk bereits ein wenig angekratzt hatten, das sie aber immer noch erhobenen Kinns präsentierte. Seine Mutter sah deutlich älter aus seit Charms sie das zuletzt gesehen hatte. Und sie hatte geweint. Weswegen?
„Ich besuche meine Söhne, wann immer es mir beliebt, Joe“, sagte sie hoheitsvoll. „Davon wirst weder du noch ein lächerlicher Vertrag mich abhalten, gewöhn dich dran!“
„Aber – unmöglich!“ Joe war vollkommen außer sich, nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen. Der Schweiß sammelte sich in fetten Perlen auf seiner Stirn. „Maria, keine Besuche am Set! Was denkst du dir dabei?“
„Ich denke mir, dass ich gerne meine beiden Jungs sehen würde. Deswegen bin ich hier.“
Ohne weiter auf Joe einzugehen, der heillos die Arme über dem Kopf zusammenschlug, drehte sie sich zu Charms und Peter, die angesichts des unerwarteten Auftauchens ihrer Mutter wie die Zinnsoldaten vorm Café del Mar standen und gleichermaßen um eine passende Reaktion verlegen waren.
Tatsächlich war es abgesprochen gewesen, dass sie einander in den nächsten Wochen keine Besuche abstatteten, keine Telefonate führten, generell den Kontakt zueinander vorübergehend einstellten. Und doch stand ihre Mutter nun vor ihnen und ihre Lippen verzogen sich zu einem labilen Lächeln angesichts der vereisten Mienen ihrer Söhne. „Charms, Peter! Wie freue ich mich, euch zu sehen!“
Sie umarmte Charms, der die Umarmung nach Verwinden des ersten Schocks innig erwiderte, doch Peter entzog sich der liebgemeinten Geste, als hätte er sich an ihrer Mutter die Haut verätzt.
„Was machst du hier?“, fragte er und in seiner Stimme schwang pfeifende Kälte mit. Mams Lächeln geriet ins Kippen, und sie riss sich sichtbar am Riemen, um nicht zu zeigen, dass seine Zurückweisung sie verletzte.
„Ich wollte euch besuchen“, sagte sie, wobei ihre Stimme ein wenig wackelte. „Wir haben uns seit Wochen nicht mehr gesehen.“
Ein schiefes Grinsen deformierte Peters Gesicht. „Ist ja nicht so, als ob wir uns sonst wöchentlich zum Nachmittagscafé getroffen hätten.“
„Hey!“, warf Charms scharf ein. „Rede nicht so mit ihr!“
„Ja, ja.“ Peter zog eine der Zigaretten hervor, die er eben noch in ihrer Szene im Café geraucht hatte. Als er Marias Blick auf sich brennen spürte, hielt er ihr feixend die Packung hin. „Willst du eine?“
Maria hatte das Rauchen vor etwa einem Jahr, nicht ohne Rückfälle, eingestellt und dementsprechend schien es sie aus der Bahn zu werfen, dass ihr Ältester ihre abgebrochene Laufbahn nun aufgenommen hatte. Was eine gewisse Ironie nicht entbehrte, denn sie wusste sehr genau über Peters Drogeneskapaden Bescheid, und man hätte meinen können, dass nichts was er tat, sie noch hätte erschrecken können. Allerdings schien sie sich in keinem guten Allgemeinzustand zu befinden und Peters derb neckisches Verhalten machte die ganze Sache nicht besser.
Verärgert riss Charms seinem Bruder das dargebotene Zigarettenpäckchen aus der Hand. „Du bist so ein Idiot!“
Doch Peter hatte dafür nur ein dreistes Lachen übrig. „Ach übrigens, Mam – es war vollkommen überflüssig, dich gestern anzurufen und nach Charms‘ Adresse zu fragen. Ich wusste sie schon vorher, weil ich vor ein paar Wochen bei ihm war. Joe fand aber, unser Telefonat gäbe eine – wie war das? – ach, ja: schlüssige und runde Szene ab. Als ob ich dich je wegen sowas anrufen würde. So viel zum Thema real.“
Er hatte sie auf Joes Geheiß hin angerufen, um Charms‘ Adresse zu erfragen? Und nun gab er großspurig Preis, dass er vor Wochen gegen den bereits bestandenen Vertrag verstoßen hatte, um Charms zu sprechen? Lief der Trottel eigentlich noch sauber?
„Pass auf, was du sagst, Bürschchen, ich warne dich!“, bellte Joe, während Peter unbeeindruckt den aufgeatmeten Rauch seiner Zigarette auspustete und die sich auftürmende Asche am Ende der Kippe zu Boden regnen ließ.
„Okay, dein kleiner Goldjunge hat bestimmt Zeit für dich.“ Das galt Mam, die wie versteinert stand und Peter aus geröteten Augen anstarrte, als sehe sie ihn zum ersten Mal. „Ich jedenfalls muss mich auf die nächste Szene vorbereiten. Schließlich soll ja alles schlüssig und rund wirken. Man sieht sich.“
Damit hob er die Hand und schlenderte ohne ein weiteres Wort vom Schauplatz. Charms sah, wie sich einige der Kameraleute um ihn scharten, um ihn zu den Bussen zu geleiten, die sie wieder ans Set bringen würden.
Mam schlug die Hände vors Gesicht. „Mein Gott, mein Gott!“
Charms nahm sie in die Arme, während er angestrengt die Tatsache auszublenden versuchte, dass das halbe Team, inklusive Joe, immer noch um sie versammelt stand und das Szenario argusäugig beschattete. „Du kennst Peter doch, er meint das nicht so. Komm schon, lass uns woanders hingehen…“
„Vergiss es, Charms, ihr bleibt schön hier!“, keifte Joe und stellte sich ihnen mit verschränkten Armen in den Weg; eine Haltung, die seine massige Figur zusätzlich betonte. „Allein dass sie hier ist, gefährdet das Projekt. Keine privaten Unterhaltungen, ist das so schwer zu kapieren?“
Charms hob an: „Aber wenn…“
Doch Joe ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Nein, und Punktum! Maria, geh bitte, du bringst den Jungen ja ganz durchei-…“
Wimmernd verfestigte Maria ihre um Charms‘ Hals geschlungenen Arme. Für Außenstehende musste es wie ein Anfall übermütterlicher Zuneigung aussehen, eine Mutter, die gewaltsam von ihrem Kind weggerissen wurde, und bis zu einem gewissen Grad mochte das auch stimmen, weitaus weniger offensichtlich allerdings dürfte Maria Stimme am Ohr ihres Sohnes gewesen sein.
„ Charms, versuch zu entkommen. Nimm Peter mit und versuch zu fliehen.“
„Was erzählst du ihm da?“, rief Joe dazwischen und ehe Charms sich versah, hatte er auch schon einen Hechtsprung vorwärts getan und Maria gewaltsam Charms‘ Armen entrissen. „WAS HAT DU EBEN ZU IHM GESAGT?“
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