Doch Betty kannte bereits dieses kindliche Verhalten und ignorierte es. „Hol dir einen Kaffee. Ich gehe schon mal zum Auto. Bis gleich.“ Damit war sie aus der Tür. Schmitti stand verärgert im Büro, hielt immer noch immer den Zettel des Forensikers in einer Hand und schüttelte enttäuscht seinen Kopf. Sie hatte ihm wieder einmal ihren Willen aufgezwungen, ohne dass er es hatte verhindern können.
Verärgert schnaufend verließ er ebenfalls das Büro. Doch sein Weg führte zuerst zum Kaffeeautomaten und danach erst zum zivilen Dienstwagen seiner Kollegin.
Seine neue Tätigkeit an alter Wirkungsstätte hatte sich Tom anders vorgestellt. Doch der nun vor ihm liegende Papierkram musste erledigt werden. Er konnte ihn auch niemand anderem aufs Auge drücken, da er der Neuling in der Abteilung war und sich daher erst einmal in die noch offenen Fälle einzuarbeiten hatte.
Seufzend machte er sich ans Werk und wühlte sich durch den Berg von Akten. „ Arbeitet denn hier niemand ?“, fragte er sich, als er Akte für Akte sorgsam durchging. Doch eine Antwort erhielt er nicht.
Sein Hinterteil schmerzte, als er Stunden später aufstehen wollte, um sich erneut einen Kaffee aus dem Automaten zu holen. „ Mist “, dachte er, „ entweder werde ich alt oder die Stühle hier sind wirklich schlecht .“
Intuitiv reckte und streckte er sich, bevor er sich zum Kaffee holen aufmachte. „Wow, nicht schlecht“, hörte er unvermittelt eine Stimme hinter sich sagen. Verwundert, da er sich immer noch allein im Büro glaubte, drehte er sich um und sah in das, ihn interessiert musternde Gesicht einer Kollegin, die ihm bisher noch nicht vorgestellt worden war.
„Hallo und Sie sind...“, wollte er gerade höflich fragen, als sie ihm spontan die Hand hinhielt und nun lüsternd in sein Gesicht sah. Erschrocken, aber freundlich reichte er ihr die Hand und wunderte sich über ihren ungewöhnlich kräftigen Händedruck.
„Ich bin die Waltraud und du bist Tom.“ Sie grinste zufrieden als er nickte. „Schön, ich soll dich mitnehmen.“ Mit einem frechen Grinsen ging sie mit ihren üppigen Körperformen an ihm vorbei zur Tür. „Du fährst heute auf meiner Tour mit. Du musst doch erst einmal dein neues Revier kennenlernen.“ Sie grinste wieder, warf ihm ein keckes Lächeln zu und verschwand aus der Tür.
Tom schluckte. „ Was war das denn ?“ fragte er sich verwundert, griff aber eilig nach seiner Jacke und folgte ihr etwas zögerlich durch dieselbe Tür. Sie wartete im Flur. Im Gehen grapschte sie ihm unerwartet an den Po. Sein Unbehagen, das ihm schon im Büro hoch gekommen war, steigerte sich. Sie war nun so gar nicht sein Typ von Frau.
Über seinen pikierten Gesichtsausdruck amüsierte sie sich und ließ ein lautes, kehliges Lachen hören, das durch den ganzen Flur schallte. Während sie nun in ihrer Kleidergröße 48 und einem ungewöhnlichen Wippen ihrer Hüften den Flur entlang zum Hof ging, auf dem sowohl die Streifenwagen, als auch die zivilen Dienstfahrzeuge geparkt waren, schaute ihr Tom kopfschüttelnd hinterher.
Waltraud steuerte mit ihrer unübersehbaren Leibesfülle einen der zivilen Dienstwagen, der unter ihrem Gewicht einseitig belastet zu sein schien. Doch die jahrelange Berufserfahrung und der tägliche Umgang mit Fahrzeugen, die eigentlich nicht für sie gemacht waren, sorgten dafür, dass Walli, wie sie ihre langjährigen Kollegen nannten, dennoch souverän ihren Arbeitsalltag bewältigte.
Tom nahm auf dem Beifahrersitz Platz und konnte gerade noch seinen Sicherheitsgurt anlegen, als sie ungewöhnlich schnell den Hof des Polizeirevieres verließ.
Auf der Straße passte sie ihr Tempo dem vorherrschenden Verkehr an. Gleichzeitig versuchte sie Tom in ein privates Gespräch zu verwickeln. „Na, und was hat dich in unsere schöne Stadt verschlagen? Der Job kann es doch nicht sein.“ Sie grinste ihn kurz an, bevor sie ihren Kopf wieder nach vorn und ihre Augen auf die Fahrbahn richtete.
„Doch, die Stadt hat es mir angetan. Ich bin gern hier“, antwortete er etwas einsilbig, da er nicht die Absicht hatte, einer neuen und ihm völlig unbekannten Kollegin die wahren Beweggründe seines Ortswechsels darzulegen.
„Pah, glaube ich dir nicht. Hamburg ist zwar schön, aber auch hektisch. Hannover ist ruhiger. Da würdest du dein Rentenalter viel stressfreier erleben. Also, raus damit. Was ist der wahre Grund für deinen Wechsel.“ Sie grinste breit und sah für einen langen Moment direkt in seine braunen Augen. Das war nur möglich, weil sie an einer roten Ampel anhalten musste.
Tom seufzte genervt und grübelte bereits über eine Ausrede, als sie rasant anfuhr und den Wagen unnötig schnell beschleunigte. Überrascht wegen ihres ungewöhnlichen Fahrstiles schaute er sie von der Seite an und zuckte zusammen, als sie eine Vollbremsung machte.
„Scheiße, diese neuen Fahrradregeln sind gefährlich. Ich hätte den Kerl auf dem Rad doch fast übersehen“, schimpfte sie und fuhr heftig mit dem Kopf schüttelnd weiter. Tom schluckte und hatte plötzlich arge Zweifel, ob er unversehrt aus dem Wagen wieder würde aussteigen können.
„Also, Süßer. Du bist doch sicher in unsere Stadt gewechselt, weil dir eine Frau den Kopf verdreht hat, oder?“ Sie gab nicht auf und wollte unbedingt den wahren Grund wissen. Tom antwortete nicht. Er hatte beschlossen, ihre Fragen zu ignorieren. Doch er hatte nicht mit Waldtrauts Hartnäckigkeit gerechnet.
Unvermittelt legte sie ihm die rechte Hand auf den linken Oberschenkel und wanderte damit fast in seinen Schritt. „So ein junger Kerl wie du, denkt doch sicher immer an Sex, oder?“ Tom erschrak und wurde augenblicklich kühl und sachlich. „Nehmen Sie die Hand von meinem Oberschenkel. Das ist sexuelle Belästigung.“ Ermahnte er seine Kollegin mit harter Stimme und einer grimmigen Miene.
Waltraut jedoch lachte laut und heftig. Ihre Hand zog sie nur deshalb zurück, weil sie damit in einen anderen Gang schalten musste. „Ach, hab dich doch nicht so. Kannst ruhig zugeben, dass du immer geil bist und wegen einer Frau die Stadt gewechselt hast.“ Sie nickte vielsagend, hielt unvermittelt an und stieg aus.
Tom schnaubte verärgert und beobachtete dann seine Kollegin durch die Windschutzscheibe des Wagens. Sie schien sich in der Gegend gut auszukennen. Sie hatte ohne Navigationssystem zielsicher diesen Ort angesteuert.
Wo sind wir hier eigentlich ? dachte Tom und sah sich um. Grinsend erkannte er den Stadtteil, in dem sie sich befanden. Wir sind auf St. Pauli. Eine Straße weiter und die Reeperbahn begrüßt uns mit all ihrem Trubel. Aber was will sie hier ? Während er noch grübelte, wanderte sein Blick zurück auf seine Kollegin.
Waltraud hatte sich gerade zwei zwielichtig aussehenden jungen Männern in den Weg gestellt. Sie stemmte dazu ihre Hände in ihre Hüften und sprach mit so lauter und kräftiger Stimme, dass selbst Tom im geschlossenen Auto fast jedes Wort verstehen konnte.
Er schüttelte nachdenklich seinen Kopf. „ Hoffentlich “, so dachte er inständig, „ muss ich nicht mit dieser grässlichen Person zusammen arbeiten .“ Mit entsprechend grimmigem Gesichtsausdruck verfolgte er das weitere Geschehen und entschied schließlich, auch auszusteigen.
„Ach, Walli, hab dich doch nicht so“, beschwerte sich einer der jungen Männer. „Das hier ist ehrlich verdientes Geld.“ Er hielt ein Bündel Fünfziger in einer Hand und wehrte den fachkundigen Zugriff der Polizistin mit der anderen Hand ab.
„Her damit Ali. Ich will wissen, ob das Blüten sind.“ Waltraud machte ein ernstes Gesicht und ging einen Schritt auf ihn zu. Sein Freund hielt blitzschnell einen Arm dazwischen, damit ein Minimum von Abstand übrig blieb.
Die Polizistin grinste, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig, bis Ali erneut versuchen würde, sich zu rechtfertigen und sich damit in Schwierigkeiten brachte.
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