Bevor ich einen weiteren Bissen nehmen kann, reißt Isabell meine Hand runter und der Windbeutel landet auf dem Fußboden.
»Was soll der Mist?«, schreie ich sie an.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und schaut mich zufrieden an.
Mein Blick fällt auf die restlichen Teilchen, die noch auf dem Tisch liegen.
Isabell verfolgt meinen Blick. Eh ich mich versehe, greift sie sich die Packung. »Die brauchst du jetzt nicht mehr!« Mit den Worten versenkt sie die Kalorienbomben im Mülleimer.
»Ey, du kannst die doch nicht so einfach wegwerfen, die haben Geld gekostet. Und zwar mei n Geld.«
»Serena, hör endlich auf! Sei froh, dass ich dich von den überflüssigen Kalorien befreit habe. Statt das Geld in so einen Mist zu investieren, wirst du es bald für neue Klamotten brauchen. Wenn wir erst mal mit dir fertig …«
»Du bist so gemein!«, schreie ich Isabell an. Ich spüre, wie meine Augen langsam feucht werden. Noch bevor ich etwas unternehmen kann, laufen mir die Tränen an den Wangen hinunter.
Ich halte mir die Hände vor das Gesicht und schluchze hinein.
Als mir die Flüssigkeit ungehalten aus den Augen und aus der Nase läuft, stehe ich auf und renne ins Badezimmer. Damit Isabell mir nicht folgen kann, schließe ich mich ein.
Traurig setze ich mich auf den Badewannenrand, greife nach der Rolle Toilettenpapier und reiße mir etwas davon ab, um mir die Nase zu putzen.
Als ich fertig bin, halte ich mir erneut die Hände vors Gesicht und lasse einen weiteren Heulkrampf über mich ergehen.
Ein Kratzen an der Tür lässt mich zusammenfahren. »Perry!«, flüstere ich und haste zur Tür, um sie zu öffnen.
Als die Tür nur einen Spalt auf ist, stürmt mein Kater hinein.
Aus der Küche sind Schritte zuhören. Sie kommen näher.
Ich schließe die Tür und drehe den Schlüssel wieder herum. Dann setze ich mich auf den Fußboden und lehne mich mit dem Rücken gegen die Wanne. Mein graues Schmusetier nutzt die Gelegenheit und reibt schnurrend seinen Körper an mir. Ich streichle ihn und spüre, wie ich langsam ruhiger werde.
»Serena, mach auf!«, höre ich Isabell auf der anderen Seite der Tür krakeelen, nachdem sie mehrfach erfolglos versucht hat, die Tür zu öffnen. »Serena, ich will doch nur dein Bestes. Ich möchte dich glücklich sehen. Verdammt noch mal, mach jetzt auf!« Ihre Stimme wird lauter und höher. Sie klingt verzweifelt.
Ich hadere mit mir, ob ich ihr aufmachen soll.
Isabell stöhnt frustriert auf. »Komm schon, Süße! Lass uns zu Kasper gehen und schauen, was er dir empfiehlt! Falls es dir nicht gefallen sollte, dann belassen wir es bei dem einen Termin.«
Schön wär`s.
Ich kenne Isabell gut genug, um zu wissen, dass dieses Versprechen keine lange Haltbarkeitsdauer hat. »Von wegen«, nuschele ich.
»Na ja, vielleicht gefällt es dir auch.«
»Bestimmt nicht! Es wird mir mit Sicherheit keinen Spaß machen. Also kann ich es gleich bleiben lassen.«
»Süße, lass uns in Ruhe reden, aber nicht so! Wenn eine Tür zwischen uns ist und ich dich nicht sehen kann, ist es irgendwie dämlich.«
Genau! So kannst du mich nicht weichklopfen, weil mir dein Hundeblick erspart bleibt.
Ich grinse in mich hinein. Dennoch erhebe ich mich und gehe zur Tür. Dort nehme ich den Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger und harre so aus. Einerseits möchte ich mich mit Isabell versöhnen, weil ich es furchtbar finde, wenn wir uns streiten. Andererseits weiß ich, sie wird nicht eher Ruhe geben, bis sie ihren Willen durchgesetzt hat. Sie wird mich auch dieses Mal so lange bequatschen, bis ich nachgegeben habe. Das ist so, seit wir uns kennen. Manchmal hasse ich sie dafür, obwohl ich sie liebe, als wäre sie meine Schwester.
Isis Hartnäckigkeit hat mir schon immer imponiert, jedoch nur so lange, wie ich nicht davon betroffen bin. Sobald sie mich im Visier hat, hört der Spaß auf.
»Na schön«, murmle ich. »Ich mache dir auf, aber nur unter einer Bedingung.«
»Gut«, kommt ihre Bestätigung viel zu schnell.
»Du weißt doch noch gar nicht, was ich will, wie kannst du also sofort zustimmen? Das bedeutet nur, dir ist egal, was ich möchte. Am Ende setzt du dich wieder durch, stimmt`s?«
»Nein, quatsch! Ich habe nur so schnell zugestimmt, weil ich so ziemlich alles dafür tun würde, damit du nicht mehr sauer auf mich bist. Also, was ist deine Bedingung?«
Ich atme tief durch. »Versprich mir, mich nach dem Termin mit allem, was mein Gewicht betrifft, in Ruhe zu lassen! Ich werde alleine entscheiden, ob ich danach weiter zu diesem Kasper gehe oder mich so akzeptiere, wie ich bin.«
»Ja«, kommt Isabells stöhnende Antwort.
»Ich meine es ernst, versprich es mir!«
»Serena …«
»Nein, nicht Serena! Du versuchst schon seit Jahren, mich zum Abnehmen zu zwingen. Wenn du es mir jetzt nicht versprichst und du dich nicht daran hältst, muss ich über den Sinn unserer Freundschaft nachdenken. Also überlege dir gut, ob du mir dieses Versprechen geben kannst!« Mein Herz hämmert lautstark in meiner Brust. Noch nie habe ich Isi ein solches Ultimatum gestellt. Ich hoffe, sie respektiert meinen Wunsch. Ohne sie wäre mein Leben leer und einsam.
Auf der anderen Seite der Tür herrscht Stille.
Mir schnürt sich die Kehle zu. Ich vermute, Isabell kann nicht über ihren Schatten springen.
Doch dann überrascht sie mich. »Gut.« Sie atmet laut aus. »Ich verspreche dir, dich mit dem Thema Diät in Ruhe zu lassen. Wenn du nach dem Termin nicht weitermachen möchtest, werde ich dich in Ruhe lassen.« Ihre Stimme klingt ernst.
Insgeheim habe ich Zweifel. Mich würde es nicht wundern, wenn sie mit überkreuzten Fingern hinter der Tür steht und sich nur so lange daran hält, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist. Es ist schwer vorstellbar, dass Isabell sich meinem Willen beugt.
Jeder Tag, an dem du deine Ruhe hast , ist viel wert , ertönt meine innere Stimme. Ich gebe ihr recht und atme erleichtert auf.
Vielleicht hätte ich darauf bestehen sollen, den Termin bei diesem Kasper sausen zu lassen.
Ich drehe den Schlüssel herum. Bevor ich mich versehe, hat Isabell die Tür geöffnet und fällt mir um den Hals. »Es tut mir leid, Süße! Du hast ja recht. Es ist dein Leben, ich sollte mich nicht immer einmischen.« Ihre Worte überschlagen sich.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Perry davonläuft, und muss schmunzeln.
***
»Jetzt rase doch nicht so!«, ermahne ich Isabell, die mit ihrem kleinen silbernen Flitzer fährt, als ginge es um Leben und Tod. Na ja, in gewisser Weise tut es das auch. Es geht darum, lebend unser Ziel zu erreichen. Wobei es mir recht wäre, nie bei diesem Kasper anzukommen, aber sterben möchte ich deshalb nicht. Insgeheim hoffe ich auf eine Panne, die ausreichend lange dauert, um den Termin abzusagen. Anschließend würde ich keinen Neuen vereinbaren. Sollte Isi auf die Idee kommen, müsste ich sie einfach an ihr Versprechen erinnern.
Isabell reagiert nicht. Sie fährt weiterhin so, als wäre der Leibhaftige hinter uns her.
Ich halte mich ängstlich am Türgriff fest und bete innerlich, dass alles gut gehen möge.
Nach zehn Minuten Fahrzeit wird unsere Geschwindigkeit langsamer. Kurz darauf hält Isabell am Stadtrand vor einem Einfamilienhaus. Ich schaue mich um. »Hier soll das sein?«, frage ich skeptisch.
»Ja, Kasper wohnt hier in der oberen Etage. Unten wohnen seine Eltern. Das hat mir Alex gesagt.«
»Also warst du noch nie hier?«
»Nein, Alex und ich sind aber schon ein paar Mal vorbei gefahren. Jedes Mal hat er mir von seinem Cousin erzählt. Die beiden hatten in den letzten Jahren keinen Kontakt, weil sie wegen einer Kleinigkeit im Streit lagen. Was es genau war, hat mir Alex nicht gesagt. Das war bestimmt irgendeine bescheuerte Lappalie.«
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