»Nein!«, protestiere ich energisch, bevor Isabell den Gedanken ausgesprochen hat. Ich weiß genau, worauf das hinauslaufen soll. Sie ist dabei einen neuen Verkupplungsversuch zu starten. »Du weißt, wie sehr ich das hasse. Ich muss alleine jemanden finden«, füge ich etwas freundlicher hinzu.
Die Kellnerin stellt wortlos den Kaffee und den Eisbecher ab und will gerade wieder verschwinden. »Ich hätte gern noch ein Stück«, sage ich hastig und deute auf meinen Teller.
Die Kellnerin lächelt mich an, aber es ist nur aufgesetzt. Schließlich muss sie zu allen Gästen freundlich sein. Ich weiß genau, was sie denkt. Es ist immer das Gleiche. Wenn sie könnte, würde sie mir sagen, dass ich fette Trulla nicht noch mehr fressen soll, weil ich meine Situation damit nur verschlimmere. Als ob ich das nicht selber wüsste.
Statt diese Worte laut auszusprechen, nickt sie nur und verschwindet.
Isi schaut mich streng an, sagt aber keinen Ton. Stattdessen löffelt sie ihre winzige Portion Eis.
Wir schweigen uns an.
Dann kommt die Kellnerin mit meinem Kuchen und stellt ihn wortlos vor mir ab. Dabei mustert sie mich mit einem frechen Grinsen.
»Wie willst du jemanden kennenlernen?«, fragt Isi, als wir wieder alleine sind.
»Keine Ahnung. Durch einen Zufall halt.«
»Aha. Und wie genau soll das gehen? Du verlässt das Haus doch nur, wenn ich dich dazu zwinge.«
»Jetzt übertreibst du aber!«, widerspreche ich.
»Stimmt, ich vergaß. Wenn es etwas zu essen gibt, kommst du freiwillig mit.«
Treffer versenkt.
Isabell hat keine Ahnung, was sie mit ihren Worten bei mir anrichtet. Sie bringt mich erst recht dazu, Trost im Essen zu suchen. Diese Seite finde ich an meiner Freundin abscheulich.
Es fällt mir schwer, meine Gefühle zu verbergen. Mir schießen die Tränen in die Augen, mein Blick wird immer verschwommener. Tröstend schaufele ich den Kuchen im Eiltempo in mich hinein. Wenig später ist mein Teller leer.
Am liebsten würde ich mir ein weiteres Stück ordern, aber ich sehe schon die Blicke der Kellnerin und höre Isabell einen ihrer dummen Sprüche aufsagen. Das kann ich jetzt nicht ertragen. Also verkneife ich es mir. Sobald ich zu Hause bin, werde ich mich am Kühlschrank zu schaffen machen und es nachholen.
»Mensch Serena, ich meine es doch nicht böse. Ich will nur, dass du endlich glücklich bist. Diese ganze Fresserei macht dich nur unglücklich. Lass uns zusammen ins Fitnesscenter gehen und einen Anfang für dein neues Leben machen. Nebenbei erstellen wir dir gleich einen Ernährungsplan. Weißt du was? Der Cousin von Alex ist Ernährungsberater. Du solltest dich mit ihm zusammensetzen.« Während Isabell ihren kleinen Vortrag hält, tätschelt sie meine Hand.
Ich schlucke und verdrehe gedanklich die Augen. In der Vergangenheit hat sie mir unzählige solcher Vorschläge unterbreitet. Bisher konnte ich alles abblocken, aber irgendwas sagt mir, dass sie sich dieses Mal nicht abwimmeln lässt. Sie scheint es todernst zu meinen. Einen Experten hinzuzuziehen, hat sie noch nie vorgeschlagen. Mich würde es kaum wundern, wenn sie mit ihm schon etwas ausgemacht hätte. »Das ist nicht nötig!«, versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen.
»Natürlich ist es das! Morgen mache ich einen Termin bei ihm. Wir gehen zusammen da hin! Es wäre doch gelacht, wenn wir dich nicht an den Mann bringen könnten. Mit einem bisschen Tuning laufen dir die Kerle bald scharrenweise hinterher.
»Isi, bitte lass es gut sein! Es bringt sowieso nichts!«
Statt zu antworten, grinst Isabell mich an. Ich kenne dieses Grinsen genau. Es bedeutet, sie hat sich längst entschieden. Egal, was ich jetzt noch sage, ich habe keine Chance. Ich kann mir die Mühe sparen, ihr zu widersprechen.
Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und hoffe insgeheim auf eine Gelegenheit, um aus der Nummer rauszukommen.
Sie schließt die Wohnungstür auf und betritt den Flur. »Schatz, bist du da?«, ruft sie in seine Wohnung hinein. Wenig später erscheint ein verschlafener Alex. »Ja«, kommt die kurze Antwort gebrummt.
»Wie siehst du denn aus?«
»Ich habe geschlafen«, murmelt Alex kaum verständlich.
»Jetzt?« Isabell klingt empört.
»Ja, warum? Ist das verboten? Ich war total kaputt«, rechtfertigt er sich.
Isabell schnauft. Sie atmet tief durch. »Können wir Kasper anrufen?«
Alex schaut seine Freundin fragend an. Er wartet auf weitere Informationen. Als sie nichts mehr sagt, fragt er: »Warum?«
»Wegen Serena«, antwortet sie, als würde das alles erklären.
Alex reißt die Augen auf. »Und?«
»Langsam muss mal was bei ihr passieren. Wenn sie nicht bald die Kurve bekommt, frisst sie sich irgendwann tot. Kasper muss sie beraten.«
»Isabell!«, sagt Alex schockiert. »Ich dachte, Serena ist eine Freundin …«
»Ist sie ja auch, was meinst du, warum ich mir so viele Gedanken über sie mache?«
»Und dann sprichst du so über sie?« Alex atmet scharf ein. »Redest du von mir auch so, wenn ich nicht da bin?«
»Nein, aber du weißt doch, dass ich es nicht böse meine«, besänftigt sie ihn und gibt ihm einen schnellen Kuss auf den Mund.
»Weiß Serena darüber Bescheid oder ist das wieder so eine Aktion hinter ihrem Rücken?«
Isabell funkelt ihren Freund böse an. »Was glaubst du denn? Natürlich weiß sie Bescheid! Ich habe es ihr vorhin erzählt.«
»Hast du es ihr nur gesagt oder sie gefragt?« Alex grinst.
Isabell verzieht den Mund zu einer schmalen Linie.
»Also ist sie einverstanden?«, hakt er nach.
»Natürlich«, säuselt sie lächelnd.
Alex schaut sie misstrauisch an. In seinem Blick sind Zweifel zu erkennen. Er kennt seine Freundin gut genug, um nicht weiter auf der Sache herumzureiten. Isabell geht schnell an die Decke, wenn sie ihren Willen nicht bekommt.
Obwohl Alex Serena mag und er es kaum mit ansehen kann, wie sie wegen ihres Gewichts permanent behandelt wird, ist er zu erschöpft, um sich ihretwegen jetzt mit seiner Freundin anzulegen. »Na schön«, sagt er. »Aber ich kann Kasper erst übermorgen anrufen.«
Isabell schürzt die Lippen. »Warum?«
»Kasper ist bei einer Fortbildung. Er macht neuerdings nämlich auch Personal…« Alex bricht mitten im Satz ab, als ihm bewusst wird, was diese Information für Isabell bedeutet. Sie wird Serena nicht nur einen Termin zur Ernährungsberatung machen, sie wird ihre Freundin direkt zum Training anmelden.
»Das ist ja interessant und kommt genau zur richtigen Zeit. Dann kann Serena gleich mit ihm trainieren.«
Alex verzieht den Mund. Innerlich bittet er Serena um Verzeihung für das, was auf sie zukommen wird. Andererseits hätte Isi die Information auch direkt von seinem Cousin bekommen können. »Ja, vielleicht. Du solltest das vorher mit Serena absprechen. Es ist nicht gut, sie so zu überrumpeln«, gibt er zu bedenken.
Isabell nickt. Ihr Gesichtsausdruck sagt das Gegenteil. Sie hält sich mit ihren wahren Gedanken zurück, da sie weiß, was Alex von ihren Einmischungen hält. Würde sie mit Serena darüber sprechen, hätte sie Ausreden parat, um dem Training zu entkommen. Das kann Isabell nicht zulassen. Aus Erfahrung hat sie gelernt, dass es besser ist, ihre Freundin vor vollendete Tatsachen zu stellen. Sie ist sicher, Serena ist ihr tief in ihrem Inneren dankbar dafür.
Sie muss endlich etwas tun. Viel zu lange hat sie sich Zeit gelassen. Serena ist einer der liebsten Menschen, die sie kennt. Sie hat ein großes Herz und ist immer für andere da. Leider wird sie dadurch ausgenutzt. Wenn es um sich selber geht, steckt Serena ständig zurück und strengt sich kaum an. Dabei hat sie so ein schönes Gesicht. Sie könnte mehr aus sich machen und die Männer würden ihr zu Füßen liegen.
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