Ihr Gewichtsproblem stellt nicht das einzige Hindernis dar. Serena könnte sich auch ein bisschen hübscher stylen. Solange Isabell sie kennt, trägt Serena diesen komischen Topfschnitt. Früher hat sie ihn von ihrer Mutter verpasst bekommen und nun sorgt eine ältere Friseurin, die sich auf Omafrisuren spezialisiert hat, dafür, dass Serenas Haar so unvorteilhaft aussieht. Isabell versteht nicht, warum ihre Freundin nicht einfach den Friseur wechselt. Jeder, der in den Laden geht, kommt entweder mit einem Topfschnitt oder mit dauergewellten Haar wieder raus. Es ist beinahe so, als würde es in dem Salon nur die beiden Frisuren zur Auswahl geben. Die Friseurin steht kurz vor der Rente, sie wird sich jetzt keine neuen Fertigkeiten mehr aneignen. Sie wird bis zum Schluss an ihrem jetzigen Stil festhalten. Isabell ist der Meinung, sie könnte neunundneunzig Prozent der Kunden aus diesem Laden selbigem zuordnen.
Isabell ist fest entschlossen, ihre Freundin nicht nur bei ihrem Figurproblem behilflich zu sein. Sie wird ihr auch einen Friseurbesuch bei ihrer eigenen Friseurin schmackhaft machen, mit ihr shoppen gehen und ihr beibringen, sich richtig zu schminken.
Sie kann sich nicht erinnern, ihre Freundin jemals mit Make-up gesehen zu haben. Es mag schon sein, dass es Männer gibt, die auf den natürlichen Typ Frau stehen, das bedeutet aber nicht den kompletten Verzicht auf Kosmetikprodukte. So weit Isabell weiß, besitzt Serena nur einen Lippenstift, den sie zu besonderen Anlässen trägt. Diese wenigen Male im Jahr kann sie an einer Hand abzählen.
Isabell sieht die neue Serena bereits vor sich. Sie weiß, wie viel Arbeit vor ihr liegt, bis es so weit ist. Aber die Mühen werden sich lohnen.
»Oh Gott, diese Windbeutel sind einfach himmlisch«, sage ich zu mir selber, als ich gerade in den Dritten hineingebissen habe.
Heute ist wieder einer dieser fiesen Tage, an denen ich unbedingt für einen erhöhten Zuckergehalt sorgen muss. Im Laden hatte ich nur nörgelnde Kundschaft und mein Chef war alles andere als hilfreich. Manchmal macht er den Eindruck, als wäre er ein Zuschauer und nicht der Inhaber.
Ich arbeite mittlerweile seit drei Jahren in dem Schuhladen. Eigentlich macht mir der Job Spaß, aber nur, solange ich es mit normalen Menschen zu tun habe. Leider verirren sich diese selten zu uns in den Laden. Unsere Kundschaft besteht aus Tussis, die ganz ohne Essen auszukommen scheinen. Sie sind teilweise so dünn, dass es sicher nicht mehr gesund sein kann. Als ob ihr Anblick mir nicht reichen würde, mustern mich diese Frauen von oben bis unten und rümpfen dabei ihre Nasen. Wenn sie mir anschließend ins Gesicht schauen, sind sie im Besitz eines unnatürlichen Lächelns. Umso weiter ihre Augen an mir heruntergleiten, desto mehr verblasst es, als ob ihr Gesichtsausdruck unsichtbar werden würde.
Sobald sie meinen zugegeben sehr üppigen Bauch erreichen, nehme ich die ersten Regungen wahr, zumindest bei denen, die noch im Besitz einer Mimik sind. In letzter Zeit tauchen häufiger Frauen auf, die sich mit Botox vollpumpen lassen haben. Bei den Damen bin ich mir nie sicher, wie ihre Gefühlslage gerade ist. Ihre Gesichtszüge bewegen sich keinen Millimeter.
Der zweite Halt bei den Musterungen sind meine breiten Oberschenkel. Darum trage ich meist weite Hosen und Pullover in Überlänge. Isi bezeichnet sie immer als Säcke, aber bei meinem Gewicht kann ich mich wohl kaum figurbetont kleiden. Ich habe es ein Mal versucht. Anschließend hatte ich die Vorstellung davon, wie sich eine Wurst in ihrer Pelle fühlt. Es war unangenehm, deshalb ziehe ich die weiten Sachen vor.
Ich will mir gerade den vierten Windbeutel schnappen, als es an der Tür klingelt. Stöhnend erhebe ich mich, gehe in den Flur und schaue durch den Türspion meiner Wohnungstür.
Oh Mist !, denke ich, als ich Isabell sehe. Ich hätte die Windbeutel verstecken sollen.
Noch bevor sie die süßen Köstlichkeiten gesehen hat, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf, die mir eine Moralpredigt hält. Für einen Sekundenbruchteil überlege ich so zu tun, als wäre ich nicht zu Hause, aber dann besinne ich mich eines Besseren.
Ich habe es nicht nötig, mich in meiner eigenen Wohnung zu verleumden. Außerdem weiß jeder, der Isabell kennt, wie hartnäckig sie sein kann. Sie würde die nächste halbe Stunde damit verbringen, abwechselnd zu klingeln und gegen die Tür zu hämmern. Danach würde sie sich dem Telefonterror hingeben. Da ich ihr in spätestens einer Stunde sowieso genervt öffnen werde, kann ich es auch gleich tun.
»Waren wir verabredet?«, platzt es aus mir heraus, als Isabell an mir vorbei in meine Wohnung stürmt.
Sie läuft schnurstracks in die Küche, lässt sich auf einen der Küchenstühle fallen und starrt auf die restlichen Windbeutel. »Ist das dein Ernst?«, fragt sie mich schockiert. Ihre Augen sind so groß, dass es ein wenig beängstigend wirkt.
»Äh, ich …«, stammle ich.
»Ich denke, du willst abnehmen?«, stichelt sie weiter.
»Wozu? Ich schaffe es doch sowieso nicht, also kann ich auch essen. Hör endlich auf, dich einzumischen!«, gifte ich los. Meine Stimme wird immer lauter.
»Du bist meine Freundin. Ich kann nicht aufhören, mich einzumischen. Deshalb habe ich eine Überraschung für dich.« Isi setzt ein schiefes Lächeln auf.
Mir schwant Böses. »Was für eine Überraschung?«, antworte ich und verdrehe die Augen. »Du weißt, wie sehr ich Überraschungen hasse, oder?«
»Wir fahren jetzt zu Kasper, er wird dir helfen.«
»Was soll ich denn im Kaspertheater?«, frage ich gestellt dumm. Ich weiß, wen sie damit meint. Alex` Cousin heißt so. Er hat ihn irgendwann mal erwähnt und mir verraten, wie lange sie keinen Kontakt mehr miteinander hatten. Deswegen bin ich verwundert, warum er nun eine Rolle spielt.
Wann haben sich die beiden wiedergetroffen? Und warum?
»Serena! Sei nicht albern! Wir fahren zu Kasper. Er ist Ernährungsberater und macht neuerdings auch Personaltraining.«
»Und was machen wir da?«, frage ich trotzig und verschränke meine Arme vor der Brust.
»Du lernst ihn kennen und er berät …«
»Sag mir nicht, du hast mir einen Termin bei dem gemacht?«, schreie ich meine Freundin an.
»Doch, natürlich! Wir gehen deinen Kilos jetzt an den Kragen«, beschließt Isabell mit fester Stimme.
»Meine Kilos bleiben da, wo sie sind! Kümmere dich um deine Eigenen. Wenn du unbedingt Kilos loswerden willst, dann friss dir selber welche an!« Meine Stimme klingt kratzig.
»Serena, Süße. Ich meine es doch nur gut mit dir. du sollst endlich glücklich werden. Du willst doch irgendwann einen Mann kennenlernen, dem du deine Jungfräulichkeit schenken kannst.« Isi schaut mich mitleidig an.
Ich muss schlucken. »I-Ich … W-Wer sagt denn, dass ich das will?« Ich atme hörbar aus. »Außerdem kann ich keinen Mann gebrauchen, der mich nur nimmt, weil ich Modelmaße habe. Ich möchte einen, der mich liebt, weil ich bin, wie ich bin«, argumentiere ich.
»Ja, ich verstehe dich ja, aber du weißt doch, wie entscheidend der erste Eindruck ist. Er ist ausschlaggebend, ob man jemanden anspricht oder nicht.«
»Wie auch immer. Ich bleibe dabei! Du kannst alleine zu diesem Kasperletheater gehen.« Bei dem Wortspiel muss ich mir das Grinsen verkneifen. »Ich werde weder meine Ernährung umstellen, noch mich abquälen, nur damit ich irgendeinem Typen gefalle. Lieber bleibe ich Single. Und weißt du was?« Ich rede mich so richtig in Rage.
Isabell schaut mich mit großen Augen an.
Ich greife mir einen Windbeutel, führe ihn zu meinem Mund und stoppe kurz vorher. »Ich werde diese leckeren Teile jetzt alle in mich hineinstopfen und du kannst nichts dagegen tun.« Genüsslich beiße ich ein Stück von dem Gebäck ab. »Mmh, die sind so gut.«
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