Als sie später alle am Tisch saßen und ihre Brotsuppe löffelten, war es ungewöhnlich still und lange sprach keiner von ihnen ein Wort. Amanoue schlief bereits, er hatte sich lange nicht beruhigen können, vor Aufregung über sein erstes Schneesehen, doch nachdem er seinen Teller Eintopf mit gutem Appetit gegessen und dazu noch einen Becher des starken Gewürzweines getrunken hatte, war er beinahe augenblicklich vor Erschöpfung eingeschlafen. Schließlich sah Alecto auf. „Ich habe, in meinem ganzen Leben, noch nie etwas so Schönes gesehen“, sagte er auf seine monotone, ruhige Art. „Er ist der schönste Mensch, den ich kenne.“ Augenblicklich hielten alle inne und sahen ihn verwundert an. „Findet ihr nicht? Vorhin, als wir draußen waren, da dachte ich, so müssen die Engel im Himmel aussehen! Er hat geleuchtet, habt ihr das nicht gesehen?“ „Das war der Schnee“, sagte Falco, „und die Sonne.“ Er aß weiter, doch Alecto schüttelte überzeugt den Kopf. „Nein, Hauptmann! Das Leuchten, kam von ihm! Es war ein richtiger, heller Schein, um ihn! Das müsst ihr doch gesehen haben und ist euch nicht aufgefallen, wie es hier drinnen riecht?“ Er sah sie reihum an. „Nach Blumen!“, fügte er hinzu, als keiner antwortete und Matto räusperte sich. „Was meinst`n damit? Meine Güte, das ist das Zelt des Königs! Hier riechts halt besser, als bei uns“, meinte er achselzuckend. „Blödsinn! Der furzt auch nicht anders, als wir! Es ist Amanoue! Er riecht nach Blumen! Leg dich doch mal zu ihm! Mensch, Brac, das muss dir doch auch aufgefallen sein!“, widersprach Alecto und stieß Brac an, der neben ihm saß. „Oh, ich würde mich gerne mal zu ihm legen! Besonders auf ihn, aber das Bett ist ja ständig von euch beiden besetzt, besonders von dir“, warf Matto ein und lachte dreckig. „Was willst du damit sagen?“, fuhr Alecto ihn an. „Ich hab ihn nicht angerührt!“ „Wer`s glaubt!“ Matto trank spöttisch einen Schluck. „Du Arschloch! Nicht jeder, denkt wie du!“ Alecto rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ach halt doch die Klappe“, raunte Matto spottend, „ich würde mich auch lieber die ganze Nacht zu ihm legen und mich mit ihm vergnügen, anstatt deine Wache zu übernehmen und mir den Arsch draußen abzufrieren!“ „Hört sofort auf!“, befahl Falco scharf. „Seid ihr total durchgeknallt? Jetzt ist augenblicklich Ruhe!“ „Das würde ich dir ebenfalls raten, Matto“, sagte Brac mit einem finsteren Blick auf den, „sonst hau ich dir `n paar auf die Fresse! Weder Alecto noch ich, haben den Kleinen angerührt und der Hauptmann auch nicht!“ Er deutete auf sich und seinen Kameraden, sah dann zu seinem Kommandanten und deutete kurz auf ihn, doch Falco wich seinem Blick aus und sah rasch zur Seite. „Und Alecto hat recht!“, fuhr Brac unbeirrt fort, „der Kleine duftet wie tausend Veilchen!“ Matto schnaubte nur höhnisch und widmete sich wieder seinem kargen Essen, während Alecto hinüber zum Bett schlenderte und Amanoue mit einem unübersehbar zärtlichen Blick bedachte. Und nicht nur Mattos eifersüchtige Augen waren dabei auf ihn gerichtet.
In dieser Nacht lag Falco noch lange wach und verging beinahe vor Eifersucht, nachdem Alecto sich am Abend wie selbstverständlich zu Amanoue gelegt hatte, um ihn zu wärmen. Matto hatte sich danach nochmals bei ihm beschwert und offen kundgetan, dass er es nicht für gerecht hielt, dass Alecto anscheinend eine Sonderbehandlung zuteilwurde und er nicht länger einsehe, jetzt da es Amanoue doch augenscheinlich besser ginge, Alectos Wachdienst weiterhin zu übernehmen. Falco hatte ihn still angehört und Matto daraufhin versprochen, eine neue Regelung zu treffen und nun grübelte er schon ewig vor sich hin. Ruhelos wälzte er sich auf seiner schmalen Pritsche hin und her und die Sehnsucht nach Amanoue nagte unaufhörlich an ihm, wie ein böses Geschwür. Er musste endlich eine Entscheidung treffen, für seine Männer und auch, für sich! Und das würde er, gleich am nächsten Morgen, dachte er noch, bevor ihm endlich die Augen zufielen. Gleich nach ihrem dürftigen Frühstück, schickte Falco sie alle nach draußen. Die Soldaten saßen um das Feuer und blickten ihrem Hauptmann fragend nach, der ruhelos vor ihnen auf und ab ging. Schließlich blieb er stehen, wandte sich ihnen zu und holte tief Luft. „Hört zu! Ich will, dass ihr über den Pass reitet, nach Averna!“, sagte er ruhig. Mati verzog sein Gesicht, als hätte er einen Schluck sauren Wein geschluckt und schüttelte den Kopf. „Falco!“ „Was? Es ist das Beste! Ich habe lange darüber nachgedacht! Das bisschen Wild, das wir noch finden, ist viel zu wenig, für uns alle! Und die Vorräte werden auch schon knapp! Die Pferde finden auch kaum noch etwas zu fressen, jetzt, da Schnee liegt! Wie lange sollen wir noch warten? Bis der Schnee meterhoch liegt und keiner mehr von uns, über den Pass kommt? Nein! Ihr werdet ohne uns weiterziehen! Ich werde mit Amanoue noch einige Zeit hierbleiben und wenn er kräftig genug ist, reite ich mit ihm ins Tal. Dort werden wir in einem Dorf oder bei einem Bauern überwintern!“, sagte er mit Nachdruck und blickte gereizt auf seinen Freund nieder. „Du willst uns doch nur loshaben!“, rief Mati aufgebracht und sprang auf. „Aber das kannst du dir abschminken! Ich werde nicht gehen!“ Er sah Falco herausfordernd an. „Das war keine Bitte, sondern ein Befehl!“, sagte Falco ruhig, aber entschieden. „Ihr wollt ihn gar nicht, über den Pass bringen. Das war nie Eure Absicht!“, rief Alecto plötzlich dazwischen und stand ebenfalls auf. „Manou hatte recht, ich fasse es nicht“, raunte er ungläubig und die anderen sahen ihn verblüfft an. „Was soll`n das heißen?“, fragte Brac. „Manou hat mir erzählt, dass der Hauptmann ihn zurückbringt, ins Hurenhaus! Ich wollte es nicht glauben, aber anscheinend hat er nun genau das vor“, antwortete Alecto und machte eine wütende Kopfbewegung in Falcos Richtung. Einen Moment herrschte absolute Stille, dann stand auch Brac auf. „Das ist doch nicht wahr? Falco?“, stammelte er und sah seinen Hauptmann fassungslos an. Falco zuckte mit den Schultern. „Nun, ich weiß zwar nicht, wie er darauf kommt, aber ins Hurenhaus wollte ich ihn eigentlich nicht bringen, sondern nach Asconien“, erwiderte er trocken. „Das hast du dir ja sauber ausgedacht!“, schrie Mati wutentbrannt, „du wirfst also alles, einfach weg! Alles, unsere ganzen Pläne, unsere Freundschaft! Ist dir das alles, egal geworden? Für ihn?“ Seine Stimme überschlug sich fast, vor Zorn und Fassungslosigkeit. „Mati, bitte. Du weißt, dass das nicht stimmt! Aber der Herzog, hat recht! Amanoue darf nicht zu Henry zurück! Das wäre Henrys Untergang! Und ich möchte nicht, daran mitschuldig sein! Bitte versteh das doch, es muss sein“, sagte Falco beschwörend, machte einen Schritt auf seinen Freund zu und streckte ihm seine Hand entgegen, doch Mati schüttelte nur seinen Kopf und wich zurück. Er war den Tränen nahe. „Ich glaub dir kein Wort! Du willst uns nur loshaben und ihn für dich allein haben! Damit du ihn weiterhin vögeln kannst! In aller Ruhe!“, schrie er erneut. Falco zuckte zurück, wie unter einem Schlag. Er drehte sich ruckartig um und ging eilig davon. „Falco! Oh Gott, bitte warte! Es tut mir leid!“, rief Mati und rannte ihm nach. Er packte ihn am Arm und Falco blieb zwar stehen, riss sich aber los. „Ich sagte es bereits. Das war ein Befehl! Ich bin immer noch, euer Hauptmann“, sagte er ruhig, aber energisch. Er blickte dabei von einem zum anderen und zuletzt sah er Mati kalt an. „Und wer mir den Befehl verweigert, den werde ich auf der Stelle richten!“, raunte er, drehte sich wieder um und ging weiter. Mati stand noch einen Moment wie angewurzelt da und kam zurück zum Feuer. Ohne einen von ihnen anzusehen, setzte er sich und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Brac sah auf ihn nieder und setzte sich seufzend neben ihn. „Das war doch nicht dein Ernst, vorhin? Oder? Ich meine, dass Falco, ähm, und Manou?“ Mati schüttelte schwach seinen Kopf. „Was ist nur in mich gefahren? Wie konnte ich nur so etwas zu ihm sagen? Das wird er mir nie verzeihen“, murmelte er bedauernd. „Also, ich, werde dem Hauptmann die Stange halten“, warf Matto ein, „er hat schon recht! Das Königreich ist wichtiger, als die kleine Metze! Wir haben doch alle miterlebt, was der Asconier aus unserem König gemacht hat! Henry war nicht mehr, er selbst und Alecto, ohne dir zu nahe treten zu wollen, Ravio war auch mein Freund, aber das war nicht mehr der Ravio, den wir kannten. Er war dem Kleinen genauso verfallen! Und wenn ich ehrlich bin, ich war auch schon fast soweit! Immerhin wären wir uns beinahe gegenseitig an die Gurgel gegangen, wegen ihm!“, sagte er und schnaufte tief durch. „Es ist wirklich, besser so!“ „Nein!“, rief Alecto, „das hätte Ravio nie gewollt! Er hat ihn wirklich geliebt, glaubt mir! Er wollte sogar mit ihm fliehen, das weiß ich!“ „Setz dich“, raunte Brac zu ihm hin und wartete, bis Alecto sich wieder neben ihm niedergelassen hatte. „Es tut mir zwar leid, aber ich muss Matto zustimmen“, sagte er und hob schnell einhaltgebietend seine riesige Pranke, als Alecto ihn protestierend ansah. „Und außerdem, will Falco ihn nach Asconien bringen! In seine Heimat. Dann wäre Amanoue frei! Also damit, könnte ich schon leben. Der Kleine hat so viel durchgemacht, unter Henry! Alecto, ich glaube schon, dass das Ravios größter Wunsch gewesen wäre, denkst du nicht auch?“ Alecto sah ihn mit tränengefüllten Augen an, dann nickte er langsam. „Ja“, erwiderte er heiser, „das, hätte Ravio so gewollt.“
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