1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Andererseits wusste er diese schrecklichen Dinge über ihn und das konnte er nicht einfach ignorieren. Vielleicht wäre es ja möglich, sein Vorhaben noch ein wenig hinauszuzögern und erst den Auftrag zu Ende zu bringen, wobei er die sicherlich üppige Bezahlung vorher abkassieren könnte. Bestehlen würde er ihn nicht.
Gute Arbeit für gutes Geld, das war sein Credo.
Jedoch musste sichergestellt werden, dass Dooley keine Dummheiten anstellte, während er den Job erledigte. Nur wie sollte er das bewältigen? Die vielen parallel laufenden Baustellen machten es nicht gerade einfacher.
Ray nippte an seinem Cappuccino und wischte sich den Milchschaumbart mit dem Handrücken von der Oberlippe. Mit sich selbst und seinen Problemen hatte er nun wirklich schon genug an der Backe. Und er konnte ja schlecht an mehreren Orten gleichzeitig sein.
Dem Tagesgeschäft musste nachgegangen werden, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Gleichzeitig musste er Dooleys Auftrag abwickeln, wobei noch unklar war, wie viel seiner Aufmerksamkeit das in Anspruch nehmen würde. Zwischenzeitlich dürfte er Dooley jedoch keine Sekunde aus den Augen lassen, damit niemand zu Schaden kam.
Obendrein war nach wie vor unklar, ob diese Gefängniszelle, in die man das Mädchen gesperrt hatte, heute noch existierte.
Dooley war erkennbar jünger und auch schlanker gewesen in Rays Vision. Daher war es schwierig, das Ganze zeitlich einzuordnen. Es kann fünf Jahre her sein oder zehn.
Und mal ganz abgesehen von dieser ganzen Dooley-Katastrophe, war da immer noch der gestrige Abend, der so ganz anders verlaufen war, als Ray es eigentlich geplant hatte. Auch dieser Sache musste nachgegangen werden.
Es war zum Mäusemelken. Er konnte sich ja schlecht zerteilen. Und Patt würde er nicht mit in diesen Irrsinn hineinziehen.
Zu Hause angekommen, schleppte er sich erschöpft zum Bett, nahm eine halb volle Flasche seiner kostbaren Mount Gay Reserven aus dem Nachtschrank und trank sie in gierigen Zügen leer. Sein Hals brannte von dem hochprozentigen Alkohol und er musste husten.
»Die auf Barbados wissen, wie ein guter Rum zu schmecken hat«, lallte er übertrieben in den leeren Raum hinein. Schon bald trat die ersehnte Entspannung ein und die Müdigkeit überwältigte ihn, noch bevor er seine Sachen ausziehen konnte.
Ohne einen weiteren Gedanken an seine verzwickte Lage zu verschwenden, holte sich sein Körper den so dringend benötigten Schlaf.
ώώώ
Es war tiefe Nacht, als Ray hochschreckte und mit einem lauten Keuchen nach Luft rang.
Er hatte schon wieder von dieser entsetzlichen Farbe geträumt. Jedes Mal waren es schemenhafte graue Bilder, die keinen Sinn ergaben. Und dann war es plötzlich da, dieses Rot – heller als die Sonne und von tödlicher Schönheit. Bis es in einer Flutwelle über ihn hinweg schwappte und er glaubte, darin zu ertrinken. Danach kam das Feuer und verzehrte ihn. An dieser Stelle wachte er für gewöhnlich auf.
Ray hüpfte aus dem Bett, streifte sein neues Paar Laufschuhe über die Füße und joggte, aufgeladen wie das Duracell -Häschen, Richtung Tür. Noch auf der Türschwelle vollführte er eine wacklige Pirouette, kehrte wieder um und zog sich seinen Anzug aus. Nein, er würde nicht schon wieder einen seiner wenigen Nobelfummel einsauen.
Im Kleiderschrank wühlte er nach einem bequemeren Outfit und stellte genervt fest, dass sich fast alles noch immer in der Dreckwäsche befand. Er hatte seine schmutzigen Sachen zwar vorbildlich in die Waschmaschine gestopft, aber natürlich sollte man auch das Programm starten.
»Idiot!«
Das einzig Taugliche, was der Schrank ausspuckte, war ein potthässlicher, quietsch-gelber Trainingsanzug mit dem kanadischen Wahrzeichen, dem Maple Leaf , auf der linken Brust. Patt hatte ihm das Schmuckstück mal in den Weihnachtsstrumpf gestopft und er fragte sich bis heute, ob das ein schlechter Scherz gewesen sein sollte.
Bei seinem Leben, er liebte diese Frau – wirklich, das tat er. Aber in so einem Aufzug wurde man in manchen Bundesstaaten verhaftet oder von homophoben Terrorbanden durch die Straßen gehetzt und bekam am Ende die Shorts in die Arschritze gezogen.
Egal! Es war dunkel und er konnte ja schlecht nackt gehen.
Geschwind schlüpfte er hinein, band sich seinen Messergürtel um die Hüften und machte sich zum zweiten Mal an diesem Tag auf zum Griffith Park . Die Messer lugten unter der viel zu kurzen Jacke hervor, also zog er die Hose darüber, damit niemand auf der Straße einen Schreck bekam.
In der Baywood Street, abseits des Parks, stellte er seinen Wagen ab und schlich im Schatten der Nacht durch die lang gestreckte Anlage.
»Ganz alleine unterwegs, meine Schöne?«, flirtete ihn ein versiffter Fixer von seiner Parkbank aus an.
»Vielen Dank auch, Patt«, blubberte Ray kaum hörbar und beschleunigte sein Tempo. Er zog sich den engen Schritt wieder etwas tiefer und hoffte, nicht mehr wie Madonna auszusehen.
Vorbei an wild wachsenden Sträuchern und dichtem Blattwerk näherte er sich langsam der großen Lichtung, bei der er sich am Tag zuvor mit Levy verabredet hatte. Sie hatten telefoniert, er erinnerte sich wieder genau. Kurz hielt er inne und verbarg sich hinter einem der Dornenbüsche, um die Umgebung zu mustern.
++++CRIME SCENE DO NOT CROSS++++
Das gelbe Absperrband der Mordkommission dekorierte die Lichtung wie ein geschmackloses Geschenkband. Ansonsten war niemand zu sehen.
Als Ray sich näher zum Tatort vorwagte, blieb sein Ärmel an den kleinen Widerhaken des Gestrüpps hängen und riss ein hässliches Loch in seine Jacke.
»Wie schade«, murmelte er mit morbider Belustigung und freute sich wie ein Kind. Er duckte sich unter der Absperrung hindurch und kroch quer über den bemoosten Untergrund bis zu der Stelle, an der sie Levy gefunden hatten.
Der gigantische Blutfleck stach deutlich auf dem sonst grünen Boden hervor. Selbst jetzt noch konnte er den kupfrigen Geruch unverkennbar wahrnehmen.
Aufmerksam blickte er sich um, obwohl die Polizei mit Sicherheit saubere Arbeit geleistet hatte. Die moderne Technik konnte ein richtiges Arschloch sein, denn es war für ihn immer mühevoller, keine auffindbaren Spuren zu hinterlassen.
Trotz der Dunkelheit vermochte Ray die Umgebung gründlich abzusuchen und lief systematisch den Boden ab.
Als er nach dreißig Minuten noch immer nicht gefunden hatte, wovon er nicht einmal wusste, was es war, erkletterte er den Hügel aus Kalkfelsen in der Mitte der Lichtung und setzte sich an der Spitze nieder. Wäre an diesem Ort gestern kein Mensch ums Leben gekommen, hätte man die Stille und den idyllischen Ausblick wirklich genießen können.
Grillen zirpten im angrenzenden Waldgebiet und der Wind raschelte geheimnisvoll in den Bäumen. Wie ein melodisches Flüstern glitt er durch die Blätter, die im Mondschein verspielt tanzten. Die Sterne funkelten in der Schwärze der Nacht und es herrschte eine friedvolle Stimmung – irgendwie.
Festentschlossen sah Ray hoch in den Sternenhimmel und wusste, er musste noch einmal zum Vorabend zurückkehren, um sich selbst seine Erinnerungen zu bestätigen.
Er schloss seine Augen und konzentrierte sich nur noch auf das Schlagen seines Herzens. Das gleichmäßige Klopfen beschleunigte sich und Ray bündelte seine ganze Energie tief im Inneren, wobei er den Rhythmus noch weiter beeinflusste.
Heißes Blut raste durch seine Venen und das leise Pochen verwandelte sich in ein erbittertes Hämmern. Die Brennzone sammelte sich in seiner Mitte und er dirigierte die Hitze direkt in seinen Kopf.
Just in dem Moment, als das Feuer zu explodieren drohte, öffnete er seine Gedanken und ließ sich im Fluss der Erinnerung treiben, direkt zu dem Ereignis, das er suchte.
Wie auf einer Zeittafel sprang er zurück und erlebte als stummer Zuschauer im Geist die Geschehnisse des Vortages aufs Neue …
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